Unterm StrichEinschränkung der Aktionärsrechte

Hauptversammlung als Vorstands-TV

Das Vordringen der virtuellen Hauptversammlung hat zu terminlicher Verdichtung geführt. Noch gravierender sind aber die mit dem virtuellen Format möglichen Beschränkungen des Rede- und Auskunftsrechts.

Hauptversammlung als Vorstands-TV

Hauptversammlung
als Vorstands-TV

Hauptversammlung
als Vorstands-TV

Von Claus Döring

Das virtuelle Format degradiert Hauptversammlungen zu Vorstands-TV und beschränkt die Rechte der Aktionäre.

Dax-Investoren, die ihre Anlageentscheidungen nicht an der Garderobe eines ETF-Anbieters abgeben, haben schwierige Tage hinter sich. Als Aktionäre von heute sollten sie multitaskingfähig sein und in der technischen Ausstattung nicht von gestern. Denn das Vordringen des virtuellen Hauptversammlungsformats hat zur terminlichen Verdichtung geführt. Allein für den vergangenen Mittwoch luden jeweils vier Dax- und vier MDax-Unternehmen zur Aktionärsversammlung. Und auch schon in der Woche zuvor, am 12. Mai, erreichte die HV-Saison mit sechs Dax-Unternehmen Tagesrekord. Um als Aktionär daran teilnehmen zu können, wäre ein Schreibtisch mit so vielen Monitoren nötig, wie man sie sonst allenfalls von den Arbeitsplätzen der Börsenhändler kennt.

Dies ist freilich noch die geringste Einschränkung von Aktionärsrechten. Gravierender sind die mit dem virtuellen Format möglichen Beschränkungen des Rede- und Auskunftsrechts, die der Gesetzgeber ermöglicht hat und von denen Gesellschaften gerne Gebrauch machen. Beispiel  Deutsche Bank. Sie gehörte in Coronazeiten zu den innovationsfreudigen Gesellschaften, die versuchten, das Bewährte aus der Welt der Präsenz-HV mit den neuen Möglichkeiten der virtuellen Hauptversammlung zu verbinden. Doch die Vorbildrolle hat die Bank inzwischen aufgegeben, indem sie die Debatte ins Vorfeld zu ziehen suchte, Fragen bis spätestens drei Tage vor der HV einreichen ließ und diese dann vorab auf der Website beantwortete. Das Ergebnis war ein 205 Seiten langes Frage-Antwort-Dokument, das dennoch kaum dazu betrug, die Redebeiträge in der Versammlung selbst zu straffen, sondern vielmehr zu Doppelungen bei Fragen wie auch Antworten führte.

Die Argumente für die virtuelle HV überzeugen derweil nicht. Weder hat dieses Format zu substanziell höheren Präsenzen geführt, noch sticht das Kostenargument. Insbesondere in der Dax- und MDax-Liga ist es angesichts der Ausgaben für Kundenveranstaltungen oder allgemeiner Verwaltungskosten geradezu lächerlich. Beispielsweise beliefen sich die Kosten der letzten Präsenz-HV der Deutschen Bank im Jahr 2019 auf 4,6 Mill. Euro, die der virtuellen HV vor wenigen Tagen beliefen sich auf geschätzt 3 Mill. Euro. Mehr als 1 bis 2 Mill. Euro Kostendifferenz sind es auch bei den anderen Dax-Werten nicht. Hat die Kommunikation mit den Eigentümern einen so geringen Stellenwert, dass man sich nicht wenigstens einmal im Jahr ein physisches Treffen leisten will? Ähnlich an den Haaren herbeigezogen wirkt der Verweis auf den Umweltaspekt, wonach der Verzicht auf ein Präsenztreffen Emissionen und Energie einspare. Für Kapitalmarkttage, Investorentreffen und Einzelmeetings mit institutionellen Aktionären rund um die Welt scheint den Emittenten kein Aufwand zu hoch. Der Streubesitz, für den die HV die einzige Möglichkeit zur persönlichen Begegnung mit Vorstand und Aufsichtsrat darstellt, wird vom virtuellen Format zu Aktionären zweiter Klasse degradiert.

Die Unternehmen haben – meist gegen das Votum deutscher Fondsgesellschaften und Aktionärsvereinigungen – die vom Gesetzgeber eröffnete Möglichkeit genutzt, von den Ak­tionären die Option zur virtuellen HV ohne Bedingungen beschließen zu lassen. Überwiegend für zu­-nächst zwei Jahre, um Erfahrungen zu sammeln. Die technischen Probleme, die in diesem Jahr vor allem die virtuellen Hauptversammlungen von Thyssenkrupp, Siemens Energy, Tui und Covestro beeinträchtigten, mag man in den Griff bekommen. Eine authentische und engagierte Aussprache zwischen Aktionären, Vorstand und Aufsichtsrat lässt sich virtuell aber nicht führen. Aktionärskultur in Deutschland entsteht nicht durch Distanz-Hauptversammlungen mit Vorstands-TV und Vorlesen vorab bereits veröffentlichter Statements.
Deshalb kann es für Emittenten, die ihre Aktionäre wirklich wertschätzen, künftig nur ein Format geben: die hybride HV. Sie verbindet
das Beste aus Präsenz- und virtueller Haupt­versammlung.

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