Im Windkanal
Seit Beginn der Pandemie kündigt sich für Banken starker Gegenwind an. Die Institute müssen sich für Schuldnerausfälle in einem Ausmaß wappnen, das selbst hartgesottene Risikomanager ins Schwitzen bringen dürfte. Zugleich genießen die Institute aber große Freiheiten, wenn es darum geht, die Auswirkungen der Seuche auf die Bonität ihrer Schuldner, auf ihre Risikovorsorge und damit auf Ergebnis und Eigenkapital zu erfassen und ihnen Rechnung zu tragen: Die EU-Kommission mit ihrem sinnfällig benannten „Quick Fix“, die Bankenaufsicht mit zahlreichen Erleichterungen von Kapitalanforderungen sowie die internationalen Standardsetzer mit Lockerungen von Bilanzierungsregeln haben, gemeinsam mit der Geldpolitik und beispiellosen Programmen der öffentlichen Hand, den Instituten mächtig Rückenwind verliehen.
Weil er sich dabei einen Zug und einen steifen Nacken geholt hat, könnte manch ein Bankvorstand in den kommenden Wochen in ungewohnter Haltung vor den Aufsichts- oder Verwaltungsrat treten, um Jahresergebnisse zu präsentieren. Andere Häuser haben in Erwartung vermehrter Kreditausfälle die Möglichkeit genutzt, mit Hilfe sogenannter „Management Overlays“ nach internationalen Bilanzierungsregeln weit mehr Rückstellungen zu bilden oder nach HGB §340f ihre Reserven kräftig aufzustocken. Öffentlichkeit und Investoren hingegen rätseln derweil, wie die Zahlenwerke aussähen, wären sie nicht im Windkanal entstanden. Früher oder später werden sie es herausfinden.
Denn langsam, aber sicher scheint der Wind zu drehen. Aufseher und Prüfer rüsten rhetorisch auf. Den Auftakt machte Anfang Dezember der oberste EZB-Bankenaufseher Andrea Enria, als er den Chefs der Großbanken Eurolands in einem zwölfseitigen Brief darlegte, wie er sich die Erfassung und Bilanzierung von Kreditrisiken in der Pandemie vorstellt. Wenige Tage später ermahnte das Institut der Wirtschaftsprüfer (IDW) mit Blick auf Staatshilfen die Zunft in schönstem Amtsdeutsch: „Unterstützungsmaßnahmen, die nicht nachhaltig für eine Gewährleistung der Schuldendienstfähigkeit von Kreditnehmern sorgen, mindern nicht den Umfang der notwendigen Risikovorsorge, wenn sie lediglich dazu führen, dass Kreditausfälle in die Zukunft verschoben werden.“
Vor wenigen Tagen dann legte Enria nach, indem er sinngemäß feststellte, die bisherige Risikovorsorge der Banken sehe niedrig aus, und José Manuel Campa, Chef der Regulierungsbehörde European Banking Authority (EBA), stieß ins selbe Horn. Da hatte die Aareal Bank die neue Witterung bereits zum Anlass genommen, das Portfolio nochmals nach den alten Bilanzregeln durchzurechnen – um danach prompt die Prognose zu kassieren und einen Verlust für 2020 anzukündigen. Wie bekannt geworden ist, hat die Pandemie auch die Commerzbank schon vor umbaubedingten Restrukturierungskosten und Abschreibungen ins Minus gedrückt.
Deshalb wird nicht gleich die gesamte Bilanzsaison in roten Zahlen gemalt. So bläst dem Wiesbadener Immobilienfinanzierer, dessen 26 Mrd. Euro schweres Portfolio zu gut 60% auf Hotels oder Büroimmobilien entfällt, derzeit sicher eine besonders steife Brise ins Gesicht. Auch die markigen Worte Enrias und Campas darf man wohl mit einem Korn Salz nehmen: Wer als Aufseher in diesen Tagen von Banken nicht erhöhte Wachsamkeit mit Blick auf Kreditrisiken fordert, sollte sich das Lehrgeld wiedergeben lassen. Zumindest für deutsche Banken startet der Stress ohnehin von denkbar günstigem Niveau. Ihre Quote an notleidenden Forderungen ist so niedrig wie kaum irgendwo sonst in Europa.
Klar ist aber auch: Aufseher und Prüfer werden Banken verstärkt auf den Zahn fühlen und einzelnen auf die Finger klopfen. In der Pandemie herrscht nicht nur deshalb maximale Unsicherheit, weil niemand den Erfolg von Impfkampagnen vorhersagen oder garantieren kann, dass ein dritter Lockdown vermieden wird. Im Falle der Banken kommt hinzu, dass derzeit methodisch Kraut und Rüben herrschen: So hat, wie es bei Prüfern heißt, immerhin jede dritte Großbank in Euroland davon abgesehen, mit einem Management Overlay für Ausfälle vorzusorgen, die erst im zweiten Halbjahr ihren Höhepunkt erreichen dürften. Auf der anderen Seite hat längst nicht jedes Haus die Krisenhilfe der Bilanzregelsetzer genutzt. Fürs Erste müssen die Ergebnisse im Bankensektor deshalb nicht schlechter werden. Nur ihre Vergleichbarkeit. Investoren müssen wissen, dass sie letztlich nicht viel wissen.