Labour Party

In Not

Labour muss sich entscheiden: Volkspartei oder Kulturrevolution. Beides geht nicht. Tony Blair warnt schon vor dem Ableben der Partei.

In Not

Man kann in Großbritannien keine Stimmen gewinnen, indem man fragt, wer eigentlich für die Luxus-Ökotapete von Boris Johnsons Dienstwohnung in der Downing Street bezahlt hat, als hätte das Land sonst keine Probleme. Keir Starmers Fototermin in der Tapetenabteilung eines gutbürgerlichen Kaufhauses gehörte zu den kläglichsten Auftritten des Chefs der Labour Party. Aus der verheerenden Niederlage bei den jüngsten Wahlen hat er nichts gelernt. Der hölzerne Oppositionsführer und seine Verbündeten machen die Pandemie dafür verantwortlich, dass sie die Bürger nicht erreichen konnten. Die Brexit-Befürworter unter ihnen hätten am Ende eben für Boris Johnsons Partei gestimmt, die ihnen den heiß ersehnten EU-Austritt beschert habe. Zudem laste immer noch der Schatten seines Vorgängers Jeremy Corbyn auf der Partei. Die Tories hätten außerdem reichlich Staatsknete in die seit dem Niedergang der Montanindustrie vernachlässigten Kommunen im englischen Norden gepumpt.

Dort nahmen die Konservativen Labour unter anderem das Unterhausmandat für Hartlepool ab, einen Sitz, den die einst so stolze Partei der Arbeiterklasse seit 1964 innehatte. Starmers Versuch, seine Stellvertreterin Angela Rayner für das Wahldebakel verantwortlich zu machen, scheiterte kläglich. Statt ihren Job zu verlieren und aus dem Rampenlicht zu verschwinden, konnte sich die Arbeitertochter aus dem Norden im darauf folgenden Machtkampf noch größere Kompetenzen sichern. Nachdem sich auch noch Tony Blair zu Wort meldete, dürften sich die internen Auseinandersetzungen weiter verschärfen. Der erfolgreichste Premierminister, den Labour je hervorbrachte, warnte vor dem Ableben der Partei und forderte nichts weniger als ihre völlige Dekonstruktion und anschließenden Wiederaufbau.

Tatsächlich hat sich Labour – wie viele sozialdemokratische oder sozialistische Parteien in Europa – über die Jahre zur Interessenvertretung für Akademiker, Angehörige des öffentlichen Diensts, Leistungsempfänger und studentische Aktivisten entwickelt. Die von Labour verfolgte Mischung aus bevormundendem Staat und Steuererhöhungen ist weder neu, noch kommt sie bei den Wählern jenseits der Großstädte gut an. Hohe öffentliche Ausgaben wären für sie schon attraktiv, allerdings haben die Konservativen in der Coronakrise demonstriert, dass auch sie dazu bereit sind, den Geldhahn aufzudrehen. Die von Lifestyle-Linken betriebene extreme Identitätspolitik sorgt dafür, dass sich selbst hartgesottene Labour-Anhänger in den ehemaligen Hochburgen der Partei abwenden. Das Verlangen, der Polizei die Finanzierung zu entziehen, könnte der schädlichste Slogan seit der Forderung nach der Diktatur des Proletariats sein, kritisierte Blair. Es wird wohl keiner auf ihn hören, schließlich haben aus Sicht vieler Aktivisten alte weiße Männer wie er lange genug den Ton angegeben.

Die Parteiführung wird ihre Gratwanderung zwischen traditioneller Arbeiternehmerpolitik und Kulturrevolution nicht lange fortsetzen können. Schon beim Thema Brexit zeigten sich unüberbrückbare interne Gegensätze. Corbyn versuchte, sie auszusitzen, indem er keine klare Position bezog. Am Ende war er gezwungen, ein erneutes EU-Referendum zu befürworten, was ihn bei vielen Anhängern der Partei letzte Sympathien kostete. In der Londoner Zentrale schrieb man die Brexiteers, die Nation, Familie und traditionelle Werte hochhielten, ebenso ab wie die Führung der US-Demokraten die Anhänger von Donald Trump. Statt Antworten auf den beschleunigten technologischen Wandel zu formulieren, versucht Labour nun auch noch, eine öffentliche Untersuchung der Reaktion der Regierung auf die Coronavirus-Pandemie zu erzwingen. Natürlich hofft man, am Ende den Tories die Schuld für die vielen Toten geben zu können. Das ist nicht nur geschmacklos. Ein Spektakel dieser Art wird auch nicht dabei helfen, die Partei zusammenzuhalten oder gar Stimmen zu gewinnen.

Bleibt Johnson also für das kommende Jahrzehnt Premierminister? Auch die Konservativen sind eine brüchige Koalition. Die neuen Wähler aus den ehemaligen Arbeitervierteln des Nordens verstehen sich vielleicht ganz gut mit den sozialkonservativen Tories aus den Shires. Mit kostspieligen Klimaschutzzielen, wie sie Johnson und sein sozialliberales Umfeld gerade propagieren, lässt sich bei ihnen aber kein Blumentopf gewinnen. Es ist ein ganz ähnliches Spannungsverhältnis zwischen Metropole und Peripherie wie bei der Konkurrenz.