Unterm Strich

Inflations­bekämpfung braucht einen Whatever-it-takes-Moment

EZB-Präsidentin Lagarde sollte mit konsequenter Inflationsbekämpfung zeigen, was die eigentliche Aufgabe und Existenzgrundlage der EZB ist.

Inflations­bekämpfung braucht einen Whatever-it-takes-Moment

Allmählich reift auch im Direktorium der Europäischen Zentralbank (EZB) die Erkenntnis, dass die Inflationsrate für die Eurozone nicht nur höher, sondern vor allem länger höher ausfallen könnte. Ausgerechnet die Energiepreise, die wegen ihrer Volatilität von Geldpolitikern so gerne aus den Inflationsdaten herausgerechnet werden, scheinen nun für ein Umdenken zu sorgen. Jedenfalls warnte Direktoriumsmitglied Isabel Schnabel jüngst, dass die steigenden Energiepreise nicht nur aktuell, sondern auch mittelfristig das Inflationsrisiko erhöhen könnten. Mag sein, dass sie als Deutsche besonders sensibilisiert ist für die preistreibenden Folgen der Energiepolitik der neuen Bundesregierung mit dem Mix aus mehr erneuerbaren Energien und Herunterfahren fossiler Energieträger und Atomkraft. Auch mag sein, dass EZB-Präsidentin Christine Lagarde als Französin die Gefahr steigender Energiepreise anders bewertet, nachdem Frankreich und nun auch die EU-Kommission den billigen Atomstrom als nachhaltig einstufen.

EZB muss umdenken

Dass die Alltagserfahrung des Bürgers von der Straße nun die obersten Etagen der EZB-Türme erreicht hat und dort zumindest ein Nachdenken auslöst, lässt hoffen. Denn die Bereitschaft von Geldpolitikern, absehbare Entwicklungen frühzeitig zu antizipieren und dadurch mit ihren geldpolitischen Beschlüssen vor die Kurve zu kommen, ist schwach ausgeprägt. Umso größer die Aufregung, wenn die Zahlen drastischer ausfallen als von den Extrapolationskünstlern in den volkswirtschaftlichen Abteilungen der Notenbanken prognostiziert, wie bei der US-Notenbank Fed und der EZB. Dabei sollten alle Geldpolitiker gerade für Stimmungen ein feines Näschen entwickeln. Schließlich spielen die Inflationserwartungen eine zentrale Rolle für die tatsächliche Preisentwicklung.

Deutsche erwarten Inflation

Zumindest für Deutschland sprechen die Zahlen für sich: Bei den Privatpersonen hat sich der Anteil derer, die für 2022 eine deutlich steigende Inflationsrate erwarten, im Laufe des Jahres 2021 von 20% auf 40% erhöht, wie eine Studie der Deutschen Bundesbank vom Dezember ergab. Bei einer für 2022 erwarteten Inflationsrate von 4% (Mittelwert wie auch Median) dürfte klar sein, wohin die Reise geht, wenn geldpolitisch nicht entschieden gegengesteuert wird. Auch mittelfristig erwarten die Deutschen laut Bundesbank-Panel Inflationsraten zwischen 4% (Mittelwert) und 3,5% (Median). Diese seit dem Jahr 2019 regelmäßig von der Bundesbank zusammen mit den Forsa-Meinungsforschern erhobenen Daten stellen der EZB-Kommunikation ein erbärmliches Zeugnis aus: Die Deutschen glauben weder an das Versprechen einer nur temporär erhöhten Inflation noch an die Fähigkeit der EZB, die Inflation mittelfristig auf die Zielmarke von 2% zu drücken.

Das alles wäre halb so wild, wenn es nicht die Gefahr einer Self-Fulfilling Prophecy in sich trüge. Denn die Entankerung der Inflationserwartung mündet oft in eine Lohn-Preis-Spirale. Und diese Preissteigerungen haben eine andere Qualität als jene von vorübergehenden Knappheiten, Lieferengpässen und Pandemiefolgen getriebenen Güterpreiserhöhungen. Verstärkt wird die Wirkung auf die Lohn-Preis-Spirale von der demografischen Entwicklung, die den in etlichen Branchen bestehenden Fachkräftemangel verschärfen wird. Die Macht der Arbeitnehmer zur Durchsetzung von Lohnsteigerungen wächst und damit die Wahrscheinlichkeit einer Perpetuierung der Inflation deutlich oberhalb der von der EZB angestrebten Zielgröße, jedenfalls in Deutschland.

Was wäre die angemessene Reaktion der Geldpolitik auf eine solche Entwicklung? Nur die ultralockere Geldpolitik etwas zu verlangsamen, indem die Staatsanleihekäufe eingestellt werden, wird nicht reichen. Selbst die für 2022 von der Fed erwarteten Zinserhöhungen werden wohl verpuffen. Was soll sich auch ändern, wenn in einem Jahr zwar der US-Leitzins um 100 Basispunkte höher liegt, aber der Realzins ähnlich negativ bleibt wie aktuell? Werden dadurch die Investitionen der Unternehmen oder die Konsumnachfrage der Verbraucher gebremst?

„What do you do, sir?“

Entscheidend für den Erfolg der Inflationsbekämpfung wird sein, ob Menschen und Märkte den Notenbanken ein konsequentes Umsteuern zutrauen. „When my information changes, I alter my conclusions. What do you do, sir?“, antwortete einst John Maynard Keynes den Kritikern seines geldpolitischen Kurswechsels in der großen Depression. Für US-Notenbank-Chef Je­rome Powell ist der Umschaltmoment gekommen. Wenn er jetzt nicht ganz schnell die Zügel anzieht, sondern auf Zeit spielt, weil die Beschäftigung noch nicht das gewünschte Niveau erreicht hat, wird er scheitern. Dann könnten die USA in einen Teufelskreis rutschen wie vor gut 40 Jahren. Die folgende Hyperinflation bekam der damalige Fed-Chef Paul Volcker nur mit einem als „Volcker-Moment“ in die Geschichtsbücher eingegangenen Hammer-Leitzins oberhalb 20% in den Griff. Diese seinerzeit heftig umstrittene, aber erfolgreiche Geldpolitik schuf die Vertrauensbasis für die Fed unter Volckers Nachfolgern.

EZB-Präsidentin Lagarde muss mit einer Hypothek leben, die ihr die Glaubwürdigkeit in der Inflationsbekämpfung schwer machen wird. Denn bei den Menschen in Euroland herrscht große Verwirrung über die Aufgaben – und damit die Fähigkeiten – der EZB (vgl. BZ vom 13. Januar). Nur 64% wissen, dass die Inflationsbekämpfung Aufgabe der EZB ist. 67% dagegen glauben, dass es zu ihren Aufgaben gehört, finanziell klammen Euro-Ländern zu helfen, und 40% halten gar explizit die Staatsfinanzierung für eine Aufgabe der EZB. Die Geldpolitik von La­gardes Vorgänger Mario Draghi lässt grüßen! Lagarde hat jetzt die historische Chance, nein Pflicht, mit einer schnellen und konsequenten Inflationsbekämpfung zu zeigen, was die eigentliche Aufgabe und Existenzberechtigung der EZB ist. Es braucht einen Whatever-it-takes-Moment in der Inflationsbekämpfung.

c.doering@boersen-zeitung.de

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