LEITARTIKEL

Inspiration dringend gesucht

Die Nachricht am Abend des 24. Oktober war ein Paukenschlag: Henkel wechselt den Vorstandschef aus. Hans Van Bylen muss noch vor Ablauf seiner ersten Amtszeit gehen - ein für den familiendominierten Traditionskonzern höchst ungewöhnlicher Schritt....

Inspiration dringend gesucht

Die Nachricht am Abend des 24. Oktober war ein Paukenschlag: Henkel wechselt den Vorstandschef aus. Hans Van Bylen muss noch vor Ablauf seiner ersten Amtszeit gehen – ein für den familiendominierten Traditionskonzern höchst ungewöhnlicher Schritt. Es war jedoch höchste Zeit. Margenverfall, fehlendes Wachstum und diverse Zielverfehlungen haben in den vergangenen zwei Jahren an den Nerven aller Stakeholder des Konsumgüter- und Klebstoffkonzerns gezerrt. Selten war ein Chefwechsel nötiger. Denn es ging nicht nur um schwache Zahlen: Der Henkel-Konzern unter Van Bylen wirkte starr, unflexibel, wenig innovativ und intransparent. Sein Abschied wird auch im Unternehmen nur von wenigen bedauert, ist zu hören.Sein Nachfolger Carsten Knobel übernimmt einen Konzern mit erheblichen Problemen, aber solider Substanz. Vor dem Manager, der seit 2012 im Henkel-Vorstand die Finanzen verantwortet, liegen strategische Herausforderungen und eine kulturelle Aufgabe. Strategische Priorität hat: Die Henkel-Kosmetik (Beauty Care) braucht dringend ein Konzept. Derzeit funktioniert lediglich das Geschäft mit Friseuren, das jedoch nur für ein Viertel der Sparte steht. In den Drogerie- und Supermärkten jedoch verkaufen sich die Shampoos, Duschgels und Cremes des Konzerns nur mäßig.Die Entwicklung von Beauty Care zeigt: Henkel hat den Kontakt zu den Konsumenten teilweise verloren. Die Wettbewerber demonstrieren gerade in einem schwierigen konjunkturellen Marktumfeld, wie man es schafft, trotzdem Wachstum zu generieren. Es braucht Kreativität, Offenheit und Innovationsfreude. Das wieder zu fördern ist Aufgabe des neuen Konzernchefs. Es existieren Zweifel bei Analysten und auch im Hause Henkel selbst, ob der Zahlenmensch Knobel dafür der richtige Mann ist. Denn Kreativität und Innovation erfordern die Gelassenheit, auch mal Fehler und Irrwege zuzulassen und auszuhalten. Dass die Eigentümerfamilie dem fruchtlosen Wirken Van Bylens so lange tatenlos zugesehen hat, bedeutet jetzt eine zusätzliche Bürde für Knobel. Von ihm werden schnelle Erfolge erwartet. Gleichzeitig muss er seinen kreativen Köpfen Raum geben – und nicht zu viel Druck in die Organisation geben.Die Versuchung für Knobel, die zum Verkauf stehende Haarpflegemarke Wella im dritten Versuch endlich zu übernehmen, ist groß. Eine Milliardenübernahme als Schritt nach vorne und Befreiungsschlag aus der Lethargie wirkt verlockend. An dieser Stelle könnte der disziplinierte Zahlenmensch Knobel nun wieder der Richtige sein, der den kühlen Kopf behält und Chancen und Risiken realistisch bemisst. Denn gleich zwei Eigentümer wurden in den vergangenen Jahren mit Wella nicht glücklich, und Henkel hat mit den Korrekturen in der eigenen Kosmetik auch genug zu tun. Auf der anderen Seite böten Wella und die anderen im Schaufenster stehenden Haarpflege-Marken von Coty die Chance für Henkel, das Profil von Beauty Care zu schärfen und sich stärker zu fokussieren. Strategisch passt es einfach.Die kulturelle Aufgabe Knobels lautet: Transparenz. Unter Van Bylen herrschte eine Wagenburgmentalität. Je stärker die Probleme zu- tage getreten waren, desto mehr schottete der Konzern sich ab. Die Spartenvorstände traten öffentlich nicht auf, in Interviews durften sie sich nicht mehr äußern. Auch die schriftliche Berichterstattung von Henkel fiel in den vergangenen Jahren zunehmend schmaler aus. Zwischen- und Geschäftsberichte enthielten zuletzt kaum mehr als die Verbalisierung der glücklicherweise immer noch umfangreichen Tabellen. Erläuterungen, Hintergründe und Einordnungen fehlten jedoch. Die Digitalisierung bei Henkel blieb ein blasses Schlagwort, immerhin darf seit Oktober ein neuer Chief Digital Officer sein Glück versuchen.Ein Unternehmen, bei dem es nicht rund läuft, das aber “public”, also börsennotiert ist, muss sich öffentlich erklären. Kommunikation ist Pflicht und schafft Verständnis sowie Vertrauen. Eigentlich Binsenweisheiten – unter Van Bylen aber ignoriert.Carsten Knobel hat viel zu tun. Und er steht unter Druck. Von Januar an, wenn der neue Chef sein Amt antritt, wird sich bei Henkel was bewegen. Wie weit Knobel dabei auch personell umbaut, bleibt abzuwarten. Ein neuer Finanzvorstand muss auf jeden Fall noch her. Doch die Probleme von Henkel sind lösbar. Ein Kreativer ist gefragt, kein Restrukturierer. ——Von Antje KullrichHenkel braucht ein Konzept für die Kosmetik, mehr Innovationsfreude und Transparenz. Der neue Chef steht erheblich unter Druck.——