Notiert inLondon

Jede Menge dicke Luft

Londons Bürgermeister Sadiq Khan darf die Ultra-Niedrigemissionszone auf die Außenbezirke der britischen Metropole ausweiten. Die Wähler haben Labour dafür bereits einen Denkzettel erteilt.

Jede Menge dicke Luft

Notiert in London

Jede Menge dicke Luft

Von Andreas Hippin

Der High Court hat Londons Bürgermeister Sadiq Khan recht gegeben. Er darf die Ultraniedrigemissionszone ULEZ ausweiten. Fünf von den Konservativen dominierte Lokalverwaltungen hatten dagegen geklagt. Ab dem 29. August werden nun auch dort die Besitzer von Diesel-Pkw, die älter als sieben Jahre sind, oder von Benzinern, die schon mehr als 15 Jahre auf dem Buckel haben, mit einer Strafsteuer von 12,50 Pfund pro Tag belegt. Dabei handelt es sich nicht etwa um die berüchtigte Innenstadtmaut. Die “Congestion Charge” wird zusätzlich erhoben, wenn man ins Zentrum fährt. Die Entscheidung, ULEZ zu erweitern, sei ihm nicht leichtgefallen, sagte Khan danach. Er werde sich auch weiterhin um die Sorgen der Londoner kümmern, versprach er.

Dabei dürfte er innerlich vor Freude geplatzt sein, denn der Sieg vor Gericht hat ihm einen dringend benötigten politischen Erfolg verschafft. Kurz zuvor hatten die Tories bei einer Nachwahl den ehemaligen Wahlkreis von Boris Johnson, Uxbridge & South Ruislip, verteidigt – angesichts der wegbrechenden Popularität der Konservativen eine echte Überraschung. Die Nummer 2 von Labour, Angela Rayner, führte das auf die verbissene Entschlossenheit Khans zurück, auch die Bewohner der Londoner Außenbezirke mit der Abgabe zur Kasse zu bitten. Auch Parteichef Keir Starmer machte die ULEZ-Ausweitung dafür verantwortlich.

Tatsächlich ist die Wahlurne der Ort, an dem über solche Fragen entschieden werden sollte, nicht der Gerichtssaal. Denn in dem Verfahren ging es natürlich nicht um das Für und Wider der ULEZ, sondern darum, ob der Prozess ihrer Ausweitung rechtlich einwandfrei war. Die Kläger waren der Meinung, vorher nicht ausreichend zu Rate gezogen worden zu sein, und bezweifelten, dass Khan überhaupt befugt war, eine solche Entscheidung zu treffen. Alles in allem keine erfolgversprechende Argumentation, denn es gab ja schon eine Ultraniedrigemissionszone. Wenn sie rechtmäßig ist, wie könnte ihre Ausweitung rechtswidrig sein?

Für Transport for London bedeutet Khans Sieg einen warmen Geldregen. In den Londoner Außenbezirken entsprechen schätzungsweise einer von fünf Pkw und die Hälfte aller Lieferwagen nicht den Anforderungen, die für einen gebührenfreien Aufenthalt in der ULEZ erfüllt werden müssen. Man kann sich die Freude der Betroffenen vorstellen, egal ob es sich bei ihnen um Handwerker handelt, die eine Menge Werkzeug und Material herumtransportieren müssen, oder um schlecht bezahlte Mitarbeiter mobiler Pflegedienste, die von Patient zu Patient eilen müssen. Londons öffentlicher Nahverkehrsbetreiber, der auch für die diversen Mautmodelle verantwortlich ist, hat ein großes Loch in der Kasse. Die Pandemie hat die Einnahmen wegbrechen lassen, während die Ausgaben – unter anderem für die Elizabeth Line – in die Höhe schossen. Seitdem sorgt die anhaltende Beliebtheit des Arbeitens von zu Hause dafür, dass das Passagieraufkommen unter dem 2019 erreichten Niveau geblieben ist. Die Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe sind natürlich nicht bereit, auf einen Inflationsausgleich zu verzichten. Doch statt damit offen umzugehen, gibt sich Khan als Vorkämpfer für saubere Luft. Dafür instrumentalisiert er gern den Fall eines neunjährigen Mädchens, das an Asthma starb. Ella Kissi-Debrah war der erste Mensch, bei dem Luftverschmutzung von einem Gerichtsmediziner als eine der Todesursachen festgestellt wurde. Das ist allerdings nicht die ganze Geschichte. 2010 kam sie nach einem Hustenanfall das erste Mal ins Krankenhaus, wie die BBC berichtete. Im Alter von sechs Jahren musste sie für drei Tage in ein künstliches Koma versetzt werden. Bereits 2012 wurde sie als Behinderte eingestuft. In den drei Jahren vor ihrem Tod hatte sie mehrere Schlaganfälle und wurde 27-mal in ein Krankenhaus eingeliefert. Ihre tragische Geschichte lässt sich nicht auf andere übertragen. Es stellt sich allerdings die Frage, warum die Mutter von den Ärzten nicht zum Umzug gedrängt wurde. Sie wohnte an einer der vielbefahrensten Straßen Londons.

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