KI-Agenten stoßen im Finanzsektor auf Widerstände
KI-Agenten stoßen im Finanzsektor auf Widerstände
KI-Agenten stoßen
im Finanzsektor
auf Widerstände
Künstliche Intelligenz soll den Finanzsektor revolutionieren. Doch während Krypto-Firmen und einige Großbanken den Einsatz vorantreiben, gibt es bei anderen starke Hemmnisse.
Von Alex Wehnert, New York
Sollten sich die Mitarbeiter von Amerikas führendem Geldhaus künftig über einen unpersönlicheren Ton in ihren Jahresend-Beurteilungen wundern, dann hat das einen Grund: Diese werden wohl bald in bedeutenden Teilen von künstlicher Intelligenz geschrieben. Denn J.P. Morgan weitet die Nutzung der Technologie innerhalb der Belegschaft aus und will über ihr eigenes großes Sprachmodell (LLM) hohe Effizienzgewinne erzielen. So sollen Führungskräfte den internen Chatbot mit Prompts füttern können und damit den langwierigen Prozess der multiplen Mitarbeiter-Bewertungen deutlich abkürzen können, wie die „Financial Times“ berichtet.
Für das finale Schriftstück soll angeblich noch immer ein Mensch verantwortlich sein, die KI werde nicht für Entscheidungen über Vergütungen eingesetzt. Doch Branchenkenner mahnen, dass die Linien bei der Nutzung der Technologie zunehmend verschwimmen, je stärker sich die Belegschaft an ihren Einsatz gewöhnt. J.P. Morgan äußert sich in der Angelegenheit nicht – allerdings ist bekannt, dass die Bank den Anspruch hat, an der Speerspitze einer vermeintlichen KI-Revolution im Finanzsektor zu stehen.
Ausgaben in Milliardenhöhe
„Wir haben bisher 200 Mrd. Dollar für KI ausgegeben und befüllen unsere Systeme ständig mit mehr und mehr Daten“, sagte CEO Jamie Dimon bereits auf einer Konferenz des Cloud-Dienstleisters Databricks im Juni. J.P. Morgan und andere Häuser müssten schon deshalb mehr investieren, um gegen die wachsenden Gefahren durch Cyberangriffe gewappnet zu sein. Allein für 2025 hat das größte US-Finanzinstitut ein IT-Budget von 18 Mrd. Dollar veranschlagt. Es beschäftigt tausende eigene Entwickler, die KI laut dem CEO nutzbar machen sollen, um in jedem Geschäftsbereich Effizienzen zu heben, von Kreditkarten bis hin zum Devisentrading.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Seth Wenig
Das Geldhaus begann im Sommer 2024, seine LLM Suite – eine Version des OpenAI-Textgenerators ChatGPT – für die Belegschaft verfügbar zu machen. Innerhalb der ersten acht Monate hob J.P. Morgan nach eigenen Angaben 200.000 der 300.000 konzernweiten Mitarbeiter auf die Plattform. Die Mitarbeiterbewertungen zum Jahresabschluss sind dabei der jüngste Anwendungsfall, der große Einsparungen ermöglichen soll. Boston Consulting Group legte im September offen, dass sie Mitarbeiter mittels KI erste Entwürfe von „Performance Reviews“ erstellen lasse und den Schreibprozess so um 40% abgekürzt habe.
Damit hält ein Narrativ, das bereits in Sektoren wie dem Online-Handel verbreitet ist, auch in der Finanzbranche Einzug: Lass KI redundante Fleißaufgaben übernehmen, damit menschliche Mitarbeiter sich um komplexere Projekte kümmern können. KI-Agenten, also Software-Systeme, die gezielt für autonome Arbeit programmiert werden können, kommen dabei insbesondere schon verstärkt im Kundenkontakt zum Einsatz.
Einsparungen im Kundendienst
Die Digital-Assets-Plattform Nexo baut auf Anwendungen von Salesforce, durch die es gelungen sei, die „Deflection Rate“ im Customer Service – also den Anteil der Anfragen, bei denen kein menschlicher Mitarbeiter mehr eingreifen muss – von einst 30% auf nun 75% zu steigern. Allein 2025 habe das Unternehmen damit 4.000 Arbeitsstunden eingespart und zahlreiche Mitarbeiter aus dem Kundendienst in andere Abteilungen versetzen könnten.
In die gleiche Kerbe schlägt James Schenck, CEO der Kreditgenossenschaft PenFed. „Wir müssen in den USA gegen über 4.000 Banken und über 4.000 andere Kreditgenossenschaften bestehen und dabei einfach schneller und effizienter sein als die Konkurrenz“, sagt der Manager bei einer Rede auf der „Dreamforce“, der jährlichen Kundenkonferenz des Software-Riesen Salesforce in San Francisco.
Versicherer schrecken zurück
Doch während sich spezialisierte Wealth Manager, Krypto-Firmen und zunehmend auch Großbanken auf die Technologie stürzen, wird beim Besuch der „Dreamforce“ eines deutlich: Zahlreiche große Institutionen des Sektors haben bedeutende Schwierigkeiten, bei diesem Tempo der Innovation und Anwendung den Anschluss zu halten. Vertreter großer US-Versicherer und -Rückversicherer betonen gegenüber der Börsen-Zeitung, dass ihre Arbeitgeber unter bedeutendem Sparzwang stünden. Die Einführung neuer technologischer Plattformen bedinge ein hohes Anfangsinvestment, gegenüber dem potenzielle langfristige Einsparungen in den Hintergrund träten.
„Wir sind bei der Einführung von Salesforce-Systemen extrem kostenorientiert“, sagt eine Managerin eines führenden Altersvorsorge-Anbieters aus dem Großraum New York. Ein weiteres Problem, das ein Mitarbeiter eines Lebensversicherers aus Massachusetts hervorhebt, sind die Legacy-Systeme der Branche: „Unsere Buchführungsplattformen sind sehr alt – die Daten so aufzubereiten, dass sie über KI-Agenten nutzbar werden, erscheint unglaublich aufwendig.“ Die neue Technologie könne in jedem Anwendungsbereich aber nur so gut sein wie die Unternehmensdaten, die sie fütterten.
Sorge um Datensicherheit
Zudem herrscht in den Organisationen große Sorge um die Sicherheit. Versicherer, die in einem für US-Verhältnisse engen regulatorischen Korsett operieren, scheuen sich davor, Daten in Systeme einzugeben, die außerhalb ihrer Kontrolle liegen. „Das ist in den meisten Fällen aber eine Ausrede für eine mangelnde Bereitschaft, etablierte Prozesse zu ändern“, sagt Alexander Wallner, Deutschlandchef von Salesforce, in San Francisco. Die Datensicherheit bei großen Cloud-Dienstleister sei zumeist höher als in den internen Legacy-Datenbanken vieler Unternehmen.
Allerdings räumt Wallner ein, dass die Assekuranz bei der KI-Adoption bisher nur geringe Fortschritte mache. „Dort läuft das Geschäft noch – in Branchen, in denen der operative Druck größer ist, schreitet die KI-Adoption hingegen schneller voran“, sagt Wallner. Auch Branchenvertreter geben zu, dass sich viele Mitarbeiter „einfach zu bequem“ eingerichtet hätten und keine Hilfe von KI annähmen, auch wenn dadurch massive Zeitersparnisse möglich wären.
Harter Konkurrenzkampf
Die Wettbewerber im Enterprise-AI-Geschäft stehen in Teilen des Finanzsektors also vor bedeutenden Hindernissen. Diese zu überwinden, wird in dem zunehmend härteren Konkurrenzkampf zur entscheidenden Aufgabe für die Software-Entwickler. Alphabet lancierte jüngst die Produktsuite „Gemini Enterprise“, mit der Entwickler KI-Agenten für spezifische Aufgaben bauen können sollen. Zu den frühen Kunden gehören die Design-Plattform Figma und der Zahlungsdienstleister Klarna. Und das Anthropic-Produkt Claude Enterprise gewinnt nach Partnerschaften mit Deloitte und IBM ebenfalls an Popularität.

picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Jessica Christian
Salesforce reagiert darauf mit dem globalen Start ihrer Plattform „Agentforce 360“, den das Unternehmen bei der diesjährigen „Dreamforce“ Mitte Oktober ankündigte. Die leistungsfähigere Version der 2024 lancierten „Agentforce“-Anwendung enthält neue Möglichkeiten, KI-Agenten für gezielte automatisierbare Aufgaben per Text und Stimme in natürlicher Sprache zu bauen und zu instruieren.
Die Adoptionsrate von „Agentforce“ überzeugt die Wall Street trotz Benioffs hochfliegenden Ambitionen aber noch nicht: Das Unternehmen hat insgesamt über 150.000 Kunden, erst rund 12.500 sind bisher auf die neue Plattform umgestiegen. Dabei hat Salesforce den Finanzsektor, der rund 10% der gesamten Kundenbasis ausmacht, zum Kernsegment erklärt – muss dort aber wohl noch einen steinigen Weg beschreiten.
