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KI ist das neue Corona

Egal ob Ausgabenschub, strategische Neuausrichtung oder Stellenabbau: Immer öfter wird KI als Grund genannt. Das erinnert an die Corona-Zeit und ist mit Vorsicht zu genießen.

KI ist das neue Corona

Investor Relations

KI ist
das neue Corona

Von Sebastian Schmid

Die Chancen, die generative künstliche Intelligenz in vielen Branchen eröffnet, sind fraglos enorm. Wenn Allianz Partners eine vierstellige Anzahl an Call-Center-Mitarbeitern durch KI ablöst, sind das messbare Einsparungen. Doch, wenn ein Thema wie KI im allgemeinen Fokus steht, muss es schnell für alles herhalten. Die Kosten laufen aus dem Ruder? Die Investitionen in Künstliche Intelligenz sind schuld! Ein Geschäft wird zurück skaliert, wie das Metaverse der Facebook-Mutter? Das liegt natürlich nicht daran, dass die virtuelle Welt dünner besiedelt ist als die Wüste Gobi, sondern an höheren Investitionen in KI!

Das Ganze erinnert ein wenig an die Zeit, in der neben Ereignissen, die im unmittelbaren Zusammenhang mit der Coronakrise standen, auch hausgemachte Probleme mit dem C-Wort abmoderiert wurden. Investoren sollten also längst nicht jede Erklärung schlucken, die das verbal versierte Investor-Relations-Team mundgerecht und KI-gewürzt auftischt. Denn bislang sind viele Projekte in einer frühen Erprobungsphase und bringen nichts bis wenig Zählbares.

Der KI-Boom hebt nicht alle Boote

Dem stehen indes Kosten gegenüber, die gigantisch sind. Die einzig wahren Gewinner des Booms sind bislang die Chipproduzenten, denen Hyperscaler, Techkonzerne und Infrastrukturinvestoren die Taschen füllen. Das ist nicht nur bei Nvidia zu beobachten, die auf gigantische Wachstumsraten kommt. In Taiwan erlebt eine ganze Volkswirtschaft scheinbar die größte Blütezeit seit der Erholung nach der Finanzkrise. Der Export der in der Chipproduktion global führenden Nation dürfte dieses Jahr um fast ein Drittel zugelegt haben. Insgesamt wird der Wirtschaft Taiwans 2025 ein Wachstum um 7,4% prognostiziert – und das bei einer Inflationsrate weit unter 2%. Auch hier kann berechtigterweise auf den KI-Boom verwiesen werden.

Wenn es aber um die KI-Transformation klassischer Industrien geht, lohnt es sich, skeptisch zu bleiben. Denn selbst in Taiwan geht es der Wirtschaft abgesehen von der Halbleiter- und Konsumelektronikbranche oft alles andere als gut. Autozulieferer und Maschinenbauer kämpfen in dem fernöstlichen Land mit ähnlichen Problemen wie hierzulande. An der Börse hebt die KI-Welle derzeit zwar noch nahezu alle Boote. Dabei wird aber verkannt, dass zwischen den vielen steigenden Booten einige liegen, die bereits dabei sind, voll zu laufen. Künstlicher Intelligenz dient ihnen allenfalls als Ausrede. KI ist eben das neue Corona.