Im BlickfeldUS-Jobmarkt in der Zeitenwende

KI droht den US-Jobmarkt zu destabilisieren

Künstliche Intelligenz bedroht 40% aller US-Jobs, warnen Ökonomen. In Zeiten einer ohnehin angespannten Lage auf dem Arbeitsmarkt eine gefährliche Entwicklung bis hin zur gesellschaftlichen Destabilisierung. US-Präsident Trump will der Branche trotzdem freie Hand lassen.

KI droht den US-Jobmarkt zu destabilisieren

KI droht den US-Jobmarkt zu destabilisieren

Millionen von Jobs können durch Künstliche Intelligenz ersetzt werden – Experten warnen vor sozialer Destabilisierung – Trump will Deregulierung noch beschleunigen.

Von Peter De Thier, Washington

Das Timing könnte nicht schlechter sein. Gerade in einer Phase ausgeprägter Schwäche steht der amerikanische Arbeitsmarkt an der Schwelle zu einer folgenschweren Transformation. Während Anleger über den Höhenflug von Tech-Aktien jubeln, dem die rasante Entwicklung neuer KI-Produkte zugrunde liegt, warnen Ökonomen vor verheerenden Begleiterscheinungen. Sie räumen zwar ein, dass künstliche Intelligenz die gesamtwirtschaftliche Produktivität deutlich erhöhen wird. Gleichzeitig warnen sie aber vor einer düsteren Zukunft für Personen im erwerbstätigen Alter. 

So hat eine Studie des Massachusetts Institute of Technology (MIT) jüngst gezeigt, dass KI bereits heute 11,7% aller bestehenden Jobs ersetzen könnte. Dabei nimmt sich der Bericht der angesehenen Universität gegen die Prognosen anderer Forscher relativ harmlos aus. So meint das McKinsey Global Institute, dass in 5 Jahren Roboter und andere KI-Produkte 40% aller Arbeitsplätze in den USA ablösen würden. 

Wer wird die Grenzen setzen?

Vor diesem Hintergrund ist es eine Herausforderung, die Politiker auf der einen mit privaten Unternehmen auf der anderen Seite verbindet: Wie weit sollte die Forschung bei der Entwicklung neuer KI gehen? Wichtiger noch: Sollten die entsprechenden Produkte in der Wirtschaft eingesetzt werden, wenn sie die finanzielle Existenz von Millionen von Bürgern bedrohen? Den richtigen Mittelweg zu finden, wird zur Gratwanderung.

Die Titanen der Tech-Industrie haben das Dilemma offenbar für sich gelöst. Sie wollen über automatisierte Betriebsabläufe effizienter produzieren und ihre Produktivität steigern. Folglich will der Online Einzelhandels-Gigant Amazon in seinen Lagerhallen und „Fulfillment Centers“ 600.000 Stellen streichen. An die Stelle der „menschlichen Mitarbeiter“ sollen Roboter treten. Amazons erklärtes Ziel ist es, auf diesem Wege 75% des gesamten Geschäftsbetriebs vollständig zu automatisieren.

Über 1 Mill. Stellenstreichungen

Ähnliche Bemühungen sind bei anderen Konzernen im Gange. So planen Firmen aus unterschiedlichen Branchen, als direkte Folge von KI insgesamt mehr als 1 Million Jobs zu streichen. Unter ihnen Amazons Hauptkonkurrent WalMart. Auch Großkonzerne wie Meta, Sales Force, die Medienplattform YouTube und das Filmstudio Paramount haben bereits umfangreiche Entlassungen auf dem Programm.

Wie weit können und werden sie aber gehen? Auf diese Fragen gibt es zwei fundamental unterschiedliche Antworten. Ein geradezu dystopisches Bild zeichnete bereits vor fünf Jahren der ehemalige US-Präsidentschaftskandidat Andrew Yang. „Die Roboter kommen!“ warnte der Politiker und Geschäftsmann während der Präsidentschaftskampagne im Jahr 2020.

Mehr als 40% der Jobs gefährdet

Seine These: Es werde nicht mehr lange dauern, bis selbstfahrende Autos herkömmliche Fahrzeuge ablösen. Das würde zur Folge haben, dass mehr als 1 Millionen LkW-Fahrer in den USA ihren Job verlieren. Über 90% von ihnen seien Männer ohne einen akademischen Abschluss. Yangs düstere Prognose: „Es wird zu Unruhen und einer gesellschaftlichen Destabilisierung kommen“. Auch wenn das (bisher) ausgeblieben ist, bleibt der Unternehmer auch fünf Jahre später immer noch skeptisch.

Ob es um selbst fahrende Autos geht, die Fahrdienste wie Uber immer häufiger einsetzen, oder um andere Branchen, gilt für alle dasselbe. Denn laut Yang wird der Trend auch andere Branchen erfassen. „In den USA sind 44% aller Jobs manuell, kognitiv oder repetitiv“, stellt der ex-Politiker fest. Diese Eigenschaften würden auch auf Fabrikarbeiter, Handwerker, Kundendienstmitarbeiter, Angestellte in Schnellimbissketten, und selbst Dienstleister wie Buchhalter und Steuerberater zutreffen. „Diese Positionen sind allesamt anfällig“ glaubt er. „Dort wird KI Millionen von Arbeitsplätzen vernichten“.

Angeschlagener Arbeitsmarkt

Kritiker werfen dem Multimillionär vor, mit Weltuntergangsszenarien Panik verbreiten zu wollen. Währenddessen durchlaufen die Analysen anderer Experten ein breites Spektrum. Einig sind sich alle darüber, dass das Timing kaum ungünstiger sein könnte. So ist im laufenden Jahr das Stellenwachstum fast zum Stillstand gekommen. Ein Monatsschnitt von 76.000 neue Jobs könnte der Vorbote eines tiefen Einbruchs sein. Unternehmen halten sich insbesondere wegen der hohen Unsicherheit über den weiteren Konjunkturverlauf und die potenziellen Nachbeben von Trumps Strafzöllen mit Neueinstellungen zurück. 

Einige spielen die Gefahren von KI für den Jobmarkt herunter. So zum Beispiel eine Studie der Yale Universität. Diese kommt zu dem Schluss, dass „trotz der weitverbreiteten Nervosität die Folgen größtenteils spekulativ sind“. Die Forscher an der Elit-Uni meinen, dass emprische Analysen feststellen, dass  KI „eher die Stabilität stärken als Störungen auf gesamtwirtschatlicher Ebene herbeiführt“.

Düstere Aussichten

Ganz anders schätzt Roman Yampolskiy, Professor für Informatik an der University of Louisville, die Folgen ein. Yampolskiy ist verantwortlich für den Begriff „KI-Sicherheit“. In seinem jüngsten Buch erklärt er, dass „in 5 Jahren theoretisch 99% aller Jobs, die manuell und repetitiv sind, der KI zum Opfer fallen könnten“.

Dass dies tatsächlich gesehen wird, glaubt er nicht, weil viele Arbeitsplatze "angestammt sind". Diese würden ohne Rücksicht darauf weiterbestehen, obwohl sie verzichtbar seien. Gleichwohl prognostizieren andere Experten längerfristig einen Anstieg der Arbeitslosenquote auf bis zu 40%. Immerhin sind schon heute zahlreiche Jobs der KI-Revolution zum Opfer gefallen, und keineswegs nur in der Tech-Branche.

Traditionsunternehmen betroffen

Der Paketdienst United Parcel Service (UPS) hat 20.000 Mitarbeiter entlassen, um mit KI die Automatisierung voranzutreiben. Auch traditionsreiche Einzelhandelskonzerne wie Ikea und die US-Heimelektronikkette Best Buy haben ihre Belegschaften gekürzt. Die Entlassungswelle hat selbst Nachrichtenorganisationen wie die Microsoft-Tochter MSN erfasst. MSN hat Dutzende von Journalisten vor die Tür gesetzt und lässt Nachrichtenartikel für die Homepage nun mit KI erstellen. 

Angesichts dieses immensen Potenzials drängt sich die Frage auf über die Rolle der Politik. Immerhin verspricht der Kongress nun, die Branche genauer unter die Lupe zu nehmen. Auf parlamentarischer Ebene zählt die Regulierung zu den wenigen Bereichen, in denen Demokraten und Republikaner an einem Strang ziehen. Große Sorgen macht sich der demokratische Senator Mark Warner. Der kommt aus der Tech-Branche und weist darauf hin, dass die Arbeitslosigkeit unter jungen Akademikern bereits bei 9% liege. „Allein aufgrund künstlicher Intelligenz kann diese Zahl bei Personen in ihren Zwanzigern in 5 Jahren auf 25% steigen“, glaubt der Senator. Das Problem sieht Warner darin, „dass wir diese Branche überhaupt nicht im Griff haben“.

Soziale Unruhen möglich

Gemeinsam mit seinem republikanischen Kollegen Josh Hawley arbeitet er daher an verschärfter Regulierung. Warner und Hawley wollen ein Gesetz verabschieden, das zu Datenerhebungen über die Folgen von KI für den Jobmarkt führen würde. Beide befürchten, dass ein sprunghafter Anstieg der Arbeitslosigkeit zu weit verbreiteten sozialen Unruhen führen würde. Hawleys Haltung ist deswegen interessant, weil er ein glühender Anhänger von US-Präsident Donald Trump ist. Fast nie wendet sich der Senator gegen den Präsidenten, kann sich dessen Vorgaben aber diesmal nicht anschließen.

Wird Präsident Trump der florierenden KI-Branche irgendwelche regulatorischen Fesseln anlegen? Keineswegs, denn dem Präsidenten liegt es nicht nur fern, Playern wie Microsoft, Google, Nvidia, OpenAI oder Anthropic strikter zu beaufsichtigen. Er hat bereits begonnen, bestehende Regularien zu lockern oder aufzuheben. Diese Entwicklung begann wenige Tage nach Trumps zweiten Amtsantritt. So unterschrieb er am 23 Januar ein entsprechendes Dekret. Dessen erklärtes Ziel ist es, „Hindernisse für Amerikas globale Führungsrolle im Bereich der künstlichen Intelligenz aufzuheben“.

Trumps verkündet „Genesis Mission“

Damit hob Trump nicht nur ein Dekret seines Vorgängers Joe Biden auf, dessen Gegenstand die „sichere und vertrauenswürdige Entwicklung und Anwendung von KI“ war.  Auch kippte er eine Biden-Direktive, die Risiken für die nationale Sicherheit minimieren sollte. Folglich mussten sämtliche Geheimdienste und Sicherheitsbehörden Regeln und Warnungen über die Anwendung von KI von ihren Websites streichen. Ende November legte Trump nach und kündigte eine neue Initiative an, die „Genesis Mission“. Der noch unklar definierte Auftrag besteht in der Bündelung aller verfügbaren staatlichen Ressourcen, um den US-Spitzenrang bei KI zu garantieren. 

Dazu zählen wissenschaftliche Labore des Bundes und den schnellsten Supercomputern sowie den Einsatz angesehener Wissenschaftler und Tech-Experten. Energieminister Chris Wright, dessen Ressort das Programm leitet, greift nach den Sternen. „Das wird vergleichbar mit dem Manhattan Project und der Apollo Mission“, erklärte Wright. „Wir müssen die US-Führungsrolle bei KI sicherstellen“. 

Bürgerrechtler warnen

Besonders kritisch ist die Bürgerrechtsorganisation American Civil Liberties Union (ACLU). Von der Aufhebung sämtlicher Schutzmaßnahmen aus der Biden-Ära würden ausschließlich die Tech-Giganten profitieren, warnt die ACLU. „Es ist ein Beweis für die herausragende Rolle, die Big Tech in dieser Regierung spielt“, kritisierte die Organisation in einer Stellungnahme.

Gefährlich sei dies nicht nur für die vertrauliche Arbeit der Geheimdienste und somit die nationale Sicherheit der USA. Denn es werde auch zu einer verstärkten Missachtung von Datenschutzregeln und der ungestraften Verletzung der Privatsphäre der Bürger kommen. Ferner, so die ACLU, würden Millionen von Amerikanern die Folgen der KI in Form von Stellenstreichungen zu spüren bekommen. Jobverluste, die nun aber permanent sein werden.