LeitartikelSilicon Valley

KI würgt Innovationspotenzial im amerikanischen Tech-Sektor ab

Die Tech-Bros des Silicon Valley sehen den Menschen in einer von KI geprägten Zukunft nur noch als Kontrolleur automatisierter Prozesse. Doch braucht es für Innovation humane Kreativität.

KI würgt Innovationspotenzial im amerikanischen Tech-Sektor ab

Künstliche Intelligenz

Unkreatives Gegurke im Silicon Valley

Von Alex Wehnert

Die Tech-Bros des Silicon Valley sehen den Menschen in einer von KI geprägten Zukunft nur noch als Kontrolleur automatisierter Prozesse. Doch braucht es für Innovation humane Ideen und Instinkte.

Amerikas Tech-Bros haben ein großes Problem: Sie mögen derzeit zwar alle möglichen cleveren Anwendungen auf Basis künstlicher Intelligenz (KI) entwickeln – doch ihren Lösungen geht wahre menschliche Kreativität häufig nicht nur ab, sie blockieren diese in einigen Fällen regelrecht. Das hat sich auch beim „Data + AI Summit“ in der vergangenen Woche gezeigt, der mit über 20.000 Besuchern ein Rekordpublikum ins Moscone-Messezentrum in der Innenstadt von San Francisco lockte.

Agenten stoßen an harte Grenzen

Ali Ghodsi, CEO des Cloud-Dienstleisters Databricks, präsentierte dabei stolz neue Anwendungen wie „Agent Bricks“, mit der Unternehmen auf sich zugeschnittene KI-Agenten erstellen können sollen. Eine Aufgabenbeschreibung und die Eingabe relevanter Firmendaten soll ausreichen, um das neue System für komplexe Prozesse wie die Produktentwicklung einsetzen zu können. Der KI-Agent soll im bei Ghodsis Keynote vorgeführten Beispiel eines Getränkeherstellers die komplizierte Abstimmung zwischen Teams wie Marketing, Finanzen und Forschung sowie der Rechtsabteilung überflüssig machen, indem er von allen eingespeiste Datensätze miteinander interagieren lässt. Auf der Bühne in San Francisco kommt das Programm zu einer klaren Empfehlung: Unsere zwei beliebtesten Geschmacksrichtungen sind Wassermelone und Gurke, beide lassen sich effizient kombinieren und bewerben – also lasst uns doch einen Wassermelone-Gurke-Gesundheitsdrink lancieren.

Dies macht deutlich, an welche Grenzen solche technologischen Anwendungen noch immer stoßen: Auf den Gedanken, eine völlig neue Geschmacksrichtung vorzuschlagen, kommt der KI-Agent nicht – und darauf zu fragen, ob der Markt für Gesundheitsdrinks nicht längst übersättigt und es Zeit für völlig neue Produktlinien ist, schon gar nicht. Wenn sich alle Abteilungen allerdings darauf verlassen, dass das rein technisch betrachtet hoch effiziente Programm mit geringerem Zeit- und Ressourcenaufwand zu den gleichen oder intelligenteren Schlüssen kommt als sie selbst in ihrer Kommunikation untereinander, dann stellt irgendwann niemand mehr die wichtigen Fragen. Diese sind es aber, die Unternehmen dazu bringen, sich neu zu erfinden, und damit wahre Innovation überhaupt erst ermöglichen.

Menschlicher Einfluss zeigt sich gerade bei Microsoft

Dass gerade Databricks-Cloud-Partner Microsoft weiterhin blind Milliarden in die KI-Weiterentwicklung pumpt – obwohl Anleger längst an der Nachhaltigkeit und Sinnhaftigkeit dieser Investitionen zweifeln – ist mit Blick auf die eigene Firmenhistorie ironisch. Denn der neue Siegeszug des Riesen aus Redmond unter dem 2014 angetretenen CEO Satya Nadella ist Paradebeispiel dafür, welchen Einfluss ein einzelner Manager mit seiner menschlichen Kreativität und seinem Instinkt auf eine gigantische Organisation haben kann.

Unter Nadellas Vorgänger Steve Ballmer verpasste Microsoft zahlreiche Trends im Konsumtechnologiebereich – im Gedächtnis der Anleger sind Aussagen des Vorstandschefs, das iPhone von Rivalin Apple habe „keine Chance, signifikante Marktanteile zu gewinnen“, bis heute hängen geblieben. Doch statt solchen Entwicklungen hinterherzulaufen, hat Nadella Microsoft vom traditionellen Software- zum modernen Cloud- und Mobile-First-Konzern geformt. Das Resultat ist eine Verzehnfachung des Aktienkurses unter seiner Ägide.

Mensch muss mehr sein als nur Kontrolleur

Inzwischen drängt sich wie bei anderen Riesen der Branche aber der Eindruck auf, dass Microsoft selbst zu groß geworden ist, um Innovation noch agil im eigenen Haus voranzutreiben. Vielmehr ist Big Tech zunehmend von Partnerschaften mit beweglicheren Startups wie OpenAI abhängig geworden – mit dem ChatGPT-Entwickler führt Microsoft einen zunehmend unbequemeren Konflikt um die Kontrolle über dessen Technologien. Doch ist das Silicon Valley eben mit Nerds durchsetzt, die den Mensch kaum als soziales Tier begreifen und den Wert humaner Interaktion bei der Generierung neuer Ideen nur sehr bedingt zu schätzen wissen. Die von ihnen entwickelten, cleveren Anwendungen erreichen hinsichtlich ihres realökonomischen Gegenwerts damit schnell ihr Limit.

Databricks-Gründer Ghodsi betont beim Tech-Gipfel in San Francisco zwar mehrfach, KI brauche einen „Human Touch“. Nebenbei lässt er aber durchblicken, was er wirklich meint: Dass bei Anwendungen großer Sprachmodelle immer noch ein menschlicher „Supervisor“ dabei sitzen muss, der sich bei Fehlern zur Verantwortung ziehen und rechtlich belangen lässt. Doch das reicht nicht aus, um langfristige Innovation zu fördern. KI effektiv einzusetzen, bedeutet, sie mit menschlicher Kreativität und Kommunikation zu kombinieren – sonst ertrinkt die Welt eines Tages in Gesöff mit Wassermelone-Gurke-Geschmack.

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