Knall im Hamburger Hafen
Knall im Hamburger Hafen
Nach einem Gegenantrag der HHLA-Eigentümer Hamburg und MSC zur Gewinnverwendung folgt das Aus für Vorstandschefin Angela Titzrath – Das Logistikunternehmen kommt nach dem Einstieg der weltgrößten Reederei nicht in ruhiges Fahrwasser.
Von Carsten Steevens, Hamburg
Zäsuren hat es in der 140-Jährigen Geschichte des Hamburger Hafenkonzerns HHLA und seiner Vorgängergesellschaft HFLG (Hamburger Freihafen-Lagerhaus-Gesellschaft) viele gegeben. Einen Einschnitt etwa markiert der Beginn der Container-Ära: 1968 startet am Burchardkai als erste Spezialanlage in Hamburg die Abfertigung der neuartigen Containerschiffe. 1996 und 2002 kommen mit Tollerort und Altenwerder weitere Containerterminals hinzu. Die HHLA, die diese drei von vier Umschlagplätze für Stahlboxen an den Kaimauern des größten deutschen Seehafens führt, kommt im November 2007 mit ihrem Teilkonzern Hafenlogistik an die Börse. Von einem „Meilenstein für Hamburgs Zukunft“ spricht der damalige Hamburger Finanzsenator Michael Freytag (CDU), als erstmals rund 30% des Grundkapitals bei Anlegern platziert werden. Der Emissionserlös von knapp 1,2 Mrd. Euro soll dem Ausbau der Hafeninfrastruktur dienen. Der Hafen könne „jetzt seine Position im harten internationalen Wettbewerb nachhaltig ausbauen“.
Optimismus trügt
Der große Optimismus rund um die HHLA, die sich zu diesem Zeitpunkt als Gewinner und auch Treiber der Globalisierung versteht, trügt jedoch. Hohe Wachstumserwartungen für den Hamburger Hafen als östlichstem Nordseehafen und Verkehrsknotenpunkt für den Ostseeraum und den Hinterlandtransport nach Mittel- und Osteuropa erfüllen sich nicht. Rotterdam und Antwerpen ziehen in den Folgejahren als Konkurrenzhäfen im Wettbewerb der „Nordrange“ davon. Um den Abwärtstrend zu stoppen und die Bedeutung des Hafens und der HHLA für die globale Logistikbranche zu steigern, kündigt der rot-grüne Hamburger Senat am 13. September 2023 überraschend eine Partnerschaft mit der Mediterranean Shipping Company (MSC) an.
War der jüngste Einschnitt in der Geschichte der HHLA ein Befreiungsschlag? Der weltgrößte Reedereikonzern mit Sitz in Genf beteiligt sich mit einem Anteil von 49,9% an Hamburgs wichtigster Hafengesellschaft. Im Gegenzug sagt MSC unter anderem größere Volumina im Hafen zu. An den Hamburger HHLA-Terminals, an denen im vergangenen Jahr ähnlich wie 2023 rund 5,7 Millionen Standardcontainer (TEU) umgeschlagen wurden, will die Reederei 2031 mindestens 1 Million TEU pro Jahr ent- und beladen. Für notwendige Investitionen in den Geschäftsbetrieb der HHLA verpflichtet sich MSC gemeinsam mit der Stadt, Eigenkapital über 450 Mill. Euro zur Verfügung zu stellen.
Verwaltung desavouiert
Doch der Teilverkauf an MSC ist von Anfang an umstritten, nicht zuletzt in der Belegschaft des Hafenkonzerns. Die seit Anfang 2017 amtierende HHLA-Vorstandsvorsitzende Angela Titzrath, die von den Plänen Hamburgs für den Einstieg der Reederei erst am Vorabend der Ankündigung erfährt, lässt schnell auch öffentlich erkennen, dass sie sich bei den Planungen der HHLA-Zukunft übergangen sieht. Zwar empfiehlt der HHLA-Vorstand gemeinsam mit dem Aufsichtsrat im November 2023 in einer begründeten Stellungnahme die Annahme des MSC-Übernahmeangebots. Und der Aufsichtsrat verlängert den Ende September 2024 auslaufenden Vertrag der 59-Jährigen kurz darauf um fünf Jahre bis Herbst 2029. „Die Zusammenarbeit setzen wir sehr gern fort“, lässt sich Aufsichtsratschef Rüdiger Grube in einer Mitteilung Mitte Januar 2024 zitieren. Doch das Verhältnis von Titzrath zum Hamburger Senat gilt da bereits als beschädigt – und es bessert sich in der Folgezeit auch nicht mehr.
Kurz vor der diesjährigen Hauptversammlung am 3. Juli folgt der Knall: Spätestens zum Ende dieses Jahres werde Angela Titzrath das Unternehmen verlassen, wird am 23. Juni mitgeteilt. Wenige Tage zuvor haben Stadt und Reederei über die Port of Hamburg Beteiligungsgesellschaft die HHLA-Führung mit einem Gegenantrag zur Verwendung des Bilanzgewinns für das Geschäftsjahr 2024 offensichtlich desavouiert: Anstatt 16 Cent je dividendenberechtigter A-Aktie – wie von Vorstand und Aufsichtsrat vorgeschlagen – sollen nur 10 Cent je Aktie ausgeschüttet werden. Eigenkapital und Liquidität würden damit gestärkt, um Investitionen künftig besser finanzieren zu können, heißt es in einer am 18. Juni veröffentlichten Adhoc-Information der Mehrheitsaktionärin, die aktuell rund 90,4% des HHLA-Grundkapitals hält.
Nachfolgesuche läuft
Da es sich aber kaum um eine beträchtliche Entlastung für die HHLA durch die geringere Dividendenzahlung handelt, entsteht der Eindruck, dass es Stadt und Reederei mit dem Gegenantrag um etwas anderes gehen muss als um finanzielle Stärkung – was die Hamburger Wirtschaftsbehörde nach Angaben eines Sprechers bestreitet. In der Mitteilung der HHLA zum Ausscheiden von Titzrath ist von Dissonanzen keine Rede. Der Wechsel an der Unternehmensspitze markiere „den Abschluss einer strategischen Phase, in der Angela Titzrath maßgeblich zur erfolgreichen Ausrichtung des Unternehmens beigetragen hat“, heißt es. Die Nachfolgesuche für den Vorstandsvorsitz sei bereits eingeleitet.
Im Verlauf der im virtuellen Format abgehaltenen Hauptversammlung gibt Aufsichtsratschef Grube nach Kritik von Aktionärsschutzvereinigungen an der Dividendenkürzung und an der Vertragsverlängerung für Titzrath bis 2029 preis, dass die Möglichkeit einer vorzeitigen Beendigung des Vertragsverhältnisses vereinbart worden sei. Titzrath selbst hält sich bedeckt und spricht nur von einem „besten gegenseitigen Einvernehmen“. Was das konkret auch heißt, erläutert der frühere Bahn-Chef Grube ebenfalls auf Nachfrage: Neben ihrem Gehalt bis Jahresende soll die erste Frau an der HHLA-Vorstandsspitze eine einmalige Abfindung über 1,58 Mill. Euro erhalten.
Trennung folgerichtig
Für Branchenbeobachter erscheint der Abschied von Titzrath folgerichtig. „Die Tatsache, dass sie bei den Gesprächen rund um den Einstieg von MSC als Großaktionär nicht eingebunden war, deutet ebenso wie die Kontroverse um den Dividendenvorschlag auf ein gestörtes Vertrauensverhältnis hin“, erklärt Jan Ninnemann, Professor für Betriebswirtschaftslehre und Logistikmanagement an der Hamburg School of Business Administration (HSBA), der Börsen-Zeitung. Offenbar habe es keine tragfähige Basis mehr für eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen der Vorstandsvorsitzenden und den Haupteigentümern der HHLA, insbesondere der Stadt Hamburg, gegeben.
Jan Tiedemann, Analyst beim Branchendienst Alphaliner, sieht die Gründe für das vorzeitige Ausscheiden von Titzrath „in der Notwendigkeit, die HHLA neu auszurichten und dort jemanden ans Ruder zu stellen, der sich im technisch-operativen Tagesgeschäft eines Terminalbetreibers wohler fühlt und der vielleicht auch die Häfen der Welt besser kennt“. Titzrath, die lange im Daimler-Konzern und später einige Jahre im Vorstand der Deutschen Post tätig war, habe sich „in das Geschäft eingearbeitet, aber ich hatte nie den Eindruck, dass sie mit voller Leidenschaft ein Schifffahrtsmensch ist, der denkt und fühlt wie jemand, der in diesem speziellen Buisiness aufgewachsen ist“.
Bilanz durchwachsen
Die Bilanz von Titzrath in ihrer Amtszeit als HHLA-Vorstandsvorsitzende werten die beiden Branchenexperten als „gemischt“ bzw. „durchwachsen“. Sie habe wichtige Impulse in den Bereichen Automatisierung und Digitalisierung gesetzt, etwa durch das Projekt zur weiteren Automatisierung des Containerterminals Burchardkai, das nun auf die Zielgerade einbiege, so Ninnemann. Auch die Einführung neuer IT-Systeme an den Terminals zähle zu den Fortschritten in Titzraths Amtszeit. Zudem sei die Internationalisierung der HHLA durch Beteiligungen unter anderem in Italien und Estland vorangetrieben worden.
Allerdings habe die HHLA zentrale operative Herausforderungen nicht ausreichend gelöst, fügt Ninnemann hinzu. Wiederkehrende Engpässe in der Containerabfertigung hätten die Leistungsfähigkeit des Standorts regelmäßig beeinträchtigt. Zugleich seien vereinzelt Innovationsprojekte verfolgt worden, „deren Nutzen sich rückblickend als begrenzt oder unausgereift erwiesen hat – etwa im Bereich Drohnentechnologie oder Hyperloop-Vorhaben“. Für den Logistikexperten wiegt jedoch der kontinuierliche Verlust von Marktanteilen im Wettbewerb mit anderen Nordrange-Häfen am schwersten. „Trotz einzelner Fortschritte gelang es nicht, dem Bedeutungsverlust Hamburgs im internationalen Hafen-Ranking wirksam entgegenzusteuern“, so Ninnemann. „Das ist ein zentraler Kritikpunkt, der Frau Titzrath zuzurechnen ist.“
Generelle Probleme
Für Alphaliner-Analyst Tiedemann war die Performance der HHLA „unter dem Strich schwach“. Dies sei aber nicht nur der HHLA selbst oder der Vorstandsvorsitzenden anzulasten. Generelle Probleme seien der Investitionsstau im deutschen Hinterland bei Bahn und Straße, die „ewig verschleppte“ Elbvertiefung, das Desinteresse Berlins an der deutschen Hafenwirtschaft, das Russland-Embargo und die Situation am HHLA-Terminal im ukrainischen Odessa. „Da“, so Tiedemann, „hatten es viele Konkurrenten in Antwerpen oder Rotterdam auch deutlich leichter als Hamburg.“
Anzuerkennen sei, dass bei der HHLA einiges an Investitionen erfolgt sei. Nach Angaben von Vorstandschefin Titzrath in der Hauptversammlung investierte die HHLA in den vergangenen fünf Jahren über 1 Mrd. Euro im Teilkonzern Hafenlogistik, davon rund die Hälfte in die Modernisierung der Hamburger Terminals. Für Analyst Tiedemann muss das Kerngeschäft jedoch mehr in den Fokus rücken. „Maximal ,nice to have'“ sei eine eigene Startup-Abteilung. „Man muss konstatieren, dass die HHLA unter dem Strich in den Titzrath-Jahren nicht umfassend am Gesamtwachstum im Containertransport teilgenommen hat. Das muss sich in den kommenden Jahren ändern.“
Rückzug von der Börse
Für Ninnemann spricht vieles dafür, dass nach dem MSC-Einstieg „zeitnah“ ein Squeeze-out-Verfahren angestrebt und die freien Aktionäre ein Abfindungsangebot erhalten werden. Aus Sicht der Mehrheitsgesellschafter liege es nahe, den Rückzug von der Börse zügig zu vollziehen, um das Unternehmen künftig ohne den Aufwand börsennotierter Strukturen weiterentwickeln zu können. Der Rückzug von der Börse erscheine folgerichtig, wenn damit die Möglichkeit verbunden sei, zur langfristigen Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit unabhängig von kurzfristigen Marktanforderungen in Modernisierung und Automatisierung zu investieren.
Im Herbst 2007 war die HHLA-Aktie zu 53 Euro in den Handel gekommen, konnte sich aber von einem Kurssturz im Zuge der Finanz- und Wirtschaftskrise 2009 nicht wieder erholen. MSC zahlte für den Minderheitsanteil 16,75 Euro je A-Aktie. Der Börsengang, so Analyst Tiedemann, sei „eine politische Notlösung“ gewesen und ihr „einziger Vorteil, die berühmte HHLA-Milliarde, in kurzer Zeit verpufft“.