Finanzsektor

Italiens Banken sind stabil, haben aber Schwächen

Italiens Banken sind heute deutlich stabiler als vor wenigen Jahren. Doch sie bergen dennoch eine Reihe von Risiken, die teilweise von außen kommen können, teilweise systemisch sind.

Italiens Banken sind stabil, haben aber Schwächen

Italiens Banken

Italiens Banken bergen noch immer große Risiken

Die Institute haben Fortschritte gemacht, doch die jüngste Entwicklung birgt Gefahren

Von Gerhard Bläske, Mailand

Die italienischen Banken haben für 2022 fast durch die Bank Rekordgewinne ausgewiesen. Das Kosten-Ertrags-Verhältnis ist mit 64,2% besser als das der deutschen oder französischen Institute. Auch die Resultate des ersten Quartals 2023 dürften gut ausfallen. Das Kriseninstitut Monte dei Paschi di Siena (MPS), das zeitweise die Stabilität des gesamten Finanzsektors gefährdete, hat Ende 2022 eine zwar mühevolle, aber letztlich erfolgreiche Kapitalerhöhung um 2,5 Mrd. Euro geschafft, die den dringend nötigen Personalabbau ermöglichte. Damit und mit weiteren Maßnahmen wie der Umsetzung eines Strategieplans soll Italiens fünftgrößte Bank nun attraktiv genug sein, um einen Käufer zu finden, so die Hoffnung.

“Die italienischen Finanzinstitute sind sehr gut kapitalisiert”, sagt Stefano Caselli, Dekan der renommierten Mailänder SDA Bocconi School of Management. “Insgesamt sind die italienischen Banken heute robuster aufgestellt als vor einigen Jahren. So haben sie in den letzten Jahren ihren Bestand an faulen Krediten stark abgebaut, ebenso wie auch die Banken in anderen EU-Ländern. Sie sind heute auch besser kapitalisiert als noch vor einigen Jahren, vor allem aber als vor der Finanzkrise von 2008”, meint auch Eckhard Wurzel. Der langjährige OECD-Ökonom unterrichtet Ökonomie der Europäischen Integration an den Universitäten Konstanz und Göttingen.

Caselli unterstreicht, dass die Banken das Volumen von Staatsanleihen in ihren Bilanzen stark reduziert haben: “Sie haben sehr solide Geschäftsmodelle”, findet er und fügt hinzu: “Im Hinblick auf die faulen Kredite sehe ich keine Risiken, und ich erwarte auch keine Welle neuer Kreditausfälle. Die Banken haben Vorsorge getroffen, es gibt viel Liquidität und die Wirtschaft in Europa ist stabiler als erwartet. Außerdem profitieren die Banken von den hohen Zinsen.”

Abbau von Kosten

Die gestiegenen Zinsüberschüsse waren neben dem Abbau von Kosten und der Reduzierung von Rückstellungen für ausfallgefährdete Kredite die Hauptfaktoren für die Ergebnisverbesserungen der Institute. In den vergangenen zehn Jahren wurden mehr als 12.000 Geschäftsstellen geschlossen: Das war mehr als ein Drittel des gesamten Netzes, und weitere Schritte sollen folgen. Intesa Sanpaolo steht kurz davor, den Startschuss für die Digitalbank Isybank zu geben, die auch ausländische Kunden ins Visier nimmt. Das dürfte den Wandel des Bankensystems in Italien noch beschleunigen.

Die Eigenkapitalausstattung der italienischen Institute von 14,7% (CET 1) ist sehr solide und ist etwa doppelt so hoch wie Ende 2017. Das Volumen fauler Kredite sank von 7,5% im Jahr 2012 laut Banca d`Italia bis Juni 2022 auf netto 1,5% und brutto 2,9%. Die Institute haben angesichts der jahrelangen Niedrig- bzw. Negativzinsen ihre Geschäftsmodelle auf ertragsstärkere Segmente wie Bankassurance, die Vermögensverwaltung und die Beratung mittelständischer Unternehmen sowie von Family Offices umgestellt. Im Visier ist vor allem auch das sehr umfangreiche Brutto-Privatvermögen der Italiener von 11.000 Mrd. Euro. Etwa die Hälfte davon ist in Immobilien angelegt, aber immerhin 1.800 Mrd. Euro liegen auf Kontokorrentkonten. Darüber hinaus sind die Italiener im internationalen Vergleich stark unterversichert, etwa bei Lebensversicherungen oder privaten Krankenversicherungen, weshalb viele Banken entweder eigene Versicherungsaktivitäten (Intesa Sanpaolo) aufgebaut haben oder Partnerschaften (Unicredit, BPM) eingegangen sind.

Trotz der vielen positiven Rahmendaten wächst die Unruhe. Obwohl die Banken auch in den vergangenen Monaten große Portfolios fauler Kredite verkauft haben, ist das Volumen ausfallgefährdeter Darlehen nach Auskunft von Antonio Patuelli, Präsident des Bankenverbandes Abi, im Februar gegenüber Januar netto um 1 Mrd. Euro gewachsen. Es ist noch immer deutlich höher als etwa in Deutschland oder Frankreich. Steigende Zinsen, die größere konjunkturelle Unsicherheit, auch im Zusammenhang mit dem Ukraine-Krieg, der Zinsabstand gegenüber Deutschland und anderen Ländern, belasten die Institute. Der Bankenverband erwartet für dieses Jahr einen Anstieg des Volumens ausfallgefährdeter Kredite auf brutto 3,8%. Das wäre das höchste Niveau seit 2017. Vor allem Unternehmen aus dem Bausektor, der Landwirtschaft und generell die vielen Kleinstunternehmen könnten Schwierigkeiten bekommen, und die Banken könnten vorsichtiger bei der Kreditvergabe werden. Schon geht das Volumen der Kredite an Unternehmen, die allerdings noch eine hohe Liquidität haben, zurück. Unter den Banken gelten vor allem kleinere Institute und die Monte dei Paschi (MPS), die überdies noch in Rechtsstreitigkeiten verwickelt ist, als gefährdet.

Die MPS gehört auch zu den Banken, die mit am meisten italienische Staatsanleihen in ihrem Portfolio hat. Italiens Banken haben zwar ihre Exposure gegenüber Juli 2022, als sie etwa 415 Mrd. Euro an Bonds hielten, auf 390,9 Mrd. Euro reduziert. Dabei werden aber 72% zu historischen Kaufwerten verbucht und nur etwa 28% entsprechend schwankenden Marktpreisen (Fair Value). Doch bei einzelnen Instituten wie etwa der MPS ist dieser Anteil höher. Und da sich die Europäische Zentralbank (EZB) als Käufer italienischer Staatsanleihen zurückgezogen hat, könnte der Druck auf die Banken, diese Lücke auszufüllen, wieder steigen.

Gefährdet sind vor allem BPER, wo die Staatsbonds etwa 14% der Aktiva erreichen oder das 3,2-fache des Eigenkapitals, die Volksbank von Sondrio (17%), aber auch BPM und Intesa Sanpaolo. “Die Sensibilität gegenüber Risiken in den Bankenbilanzen ist gewachsen, gefördert durch die Probleme, die sich gerade erst anderswo gezeigt haben und wegen des makroökonomischen Umfelds”, urteilt Wurzel. In Bezug auf den hohen Anteil einheimischer Staatsanleihen in den Bilanzen italienischer Banken fügt er hinzu, “dass bei steigenden Zinsen der Wert von Anleihen in den Bankenbilanzen fällt. Das gilt insbesondere für Staatsanleihen. Das spüren die italienischen Banken, die im europäischen Vergleich einen überdurchschnittlich hohen Anteil an Staatsanleihen in ihren Bilanzen haben.” Zwar halten die meisten Beobachter das Risiko auch im Fall eines größeren Zinsanstiegs für beherrschbar. Wurzel aber ist da angesichts der generell gestiegenen Sensibilität in Bezug auf den Bankensektor skeptischer: “Es rächt sich nun, dass europäische Staatsanleihen in der Bankenregulierung gegenüber allen anderen Krediten privilegiert werden, vor allem was die Unterlegung mit risikoabsorbierendem Eigenkapital angeht. Vor dem Hintergrund der Erfahrungen mit der Finanzkrise von 2008 ist diese Privilegierung absurd.”

Grund dafür sei gewesen, dass man befürchtet habe, zusätzliche Eigenkapitalanforderungen würden eine Belastung für die Banken darstellen, die deren Kreditvergabe einschränkt: “Gerade mit Blick auf Italien wurde so immer argumentiert. Daneben dürfte es aber noch einen viel trivialeren Grund geben: Regierungen lieben es, wenn sie sich zu geringeren Kosten verschulden können. Und genau dazu trägt die laxe regulatorische Handhabung von Staatsanleihen bei.”

“In Zugzwang gebracht”

Für Wurzel trägt auch die Geldpolitik Mitschuld an möglichen Problemen im italienischen Bankensektor. Sie habe sich “selbst in Zugzwang gebracht, die Zinsen nun relativ schnell von einem beispiellos niedrigen Niveau aus anheben zu müssen. Die monetäre Hochexpansion hätte schon vor Jahren schrittweise zurückgefahren werden sollen. Stattdessen ist man jahrelang munter mit Vollgas gefahren, mit mäßigem geldpolitischen Erfolg, aber steigendem Risiko für die Allokation von Ressourcen über die Finanzmärkte und möglichen Friktionen bei einem abrupten geldpolitischen Regimewechsel, auch im Bankenbereich.”

Wurzel kritisiert die im Vergleich zu den Unternehmen zu geringen Anforderungen an die Kapitalisierung der Banken. Er hält die regulatorischen Anforderungen an die Banken für zu komplex, aber auch für lückenhaft. “Vor allem aber fährt sie am Kern des Problems vorbei: Nämlich, dass die wirkungsvollste Prävention gegen systemische Bankenkrisen wäre, eine viel höhere Eigenkapitalquote zu verlangen.” Caselli sieht aufgrund wachsender Unsicherheiten, steigender regulatorischer Anforderungen sowie höherer Kosten etwa durch steigende Zinsen und höhere Löhne Handlungsbedarf in der Bankenlandschaft. Die Fusionswelle unter den italienischen Banken mit einem Rückgang der Zahl unabhängiger Bankengruppen innerhalb von nur wenig mehr als fünf Jahren von mehr als 430 auf etwa hundert kann aus seiner Sicht nicht das letzte Wort sein. Sein Credo lautet: “Fusionen, Fusionen, Fusionen”. Nur so lassen sich nach seiner Ansicht leistungsfähige Strukturen schaffen. “Es gibt ein Problem der Profitabilität. Es braucht eine weitere Konsolidierung und dafür ist Raum. Außerdem gibt es noch zu viele Geschäftsstellen und die cost-income-Quoten sind noch immer zu hoch. Wir brauchen Skaleneffekte. Die italienischen, aber auch die deutschen Banken müssen sich konsolidieren, so wie das in Frankreich geschehen ist.”

Dass mögliche Gefahren für Italiens Bankenwesen auch von den kleineren und mittelgroßen Instituten ausgehen könnten, das sehen auch andere Beobachter so. Notenbank-Chef Ignazio Visco hat 2022 darauf hingewiesen. Zusammen mit dem Wirtschaftsministerium und dem Einlagensicherungsfonds Fitd der Privatbanken hat er an der Einrichtung eines Hilfsfonds im Volumen von etwa 500 Mill. Euro für solche Institute gearbeitet. Doch die konkrete Umsetzung lässt auf sich warten, weil viele der größeren Banken, die sich an einer solchen Lösung beteiligen müssten, davon nicht begeistert sind. Dass allein der Staat die Mittel für einen Hilfsfonds bereitstellt, hält wiederum Caselli für keine gute Idee.

Doch die Entwicklung in Richtung einer weiteren Konsolidierung könnte sich womöglich schon bald beschleunigen. Denn die italienischen Banken haben zwischen 2020 und März 2023 Steuergutschriften für die staatlicherseits vollständig übernommenen Kosten der ökologischen Sanierung von Gebäuden im Umfang von insgesamt 51,3 Mrd. Euro aufgekauft. Für Aufsehen gesorgt hat in diesem Zusammenhang die staatliche Post, die dafür nun Rückstellungen von 320 Mill. Euro gebildet hat. Grund sind mögliche Pfändungen solcher Gutschriften, weil es in hohem Maße Betrug gab. Das könnte zwar auch große Banken treffen, wird sich aber nach Einschätzung von Experten vor allem auf kleinere Institute auswirken, die weniger effektive Kontrollen haben. Es könnte auch Folgen für die Kreditqualität haben, weil die Steuerbehörden vermutlich auch bei Bauunternehmen fündig werden, die Kredite bei den Banken haben.

Noch immer Gefahren

Italiens Bankenwesen ist zwar deutlich stabiler geworden, aber es besteht kein Grund zur Entwarnung. Es gibt sowohl systemische Risiken im Land, als auch Risiken, die mit der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung Italien und Europas zusammenhängen, etwa im Zusammenhang mit europäischen Hilfsprogrammen oder der Konjunktur, die das Bankenwesen ins Wanken bringen könnten. Europa wird jedoch kaum die Eigenkapitalanforderungen etwa für Staatsanleihen verschärfen. Bleibt zu hoffen, dass italienische Regierungen von Abenteuern Abstand nehmen.