BlickfeldKI-Kundendialog bei Banken

Künstliche Intelligenz übernimmt den Bankschalter

Immer mehr Banken öffnen generative KI-Bots für alle – auch ohne Login. Die Assistenten beantworten Fragen, erklären Produkte und führen Interessenten durch erste Finanzdialoge. Was schon heute möglich ist – und wo die Grenzen liegen.

Künstliche Intelligenz übernimmt den Bankschalter

Künstliche Intelligenz übernimmt den Bankschalter

Von der FAQ-Hilfe bis zum digitalen Finanz-Coach: KI-Chatbots werden zum neuen Zugangskanal. Sie könnten mittelfristig die Beratung ergänzen oder sogar ersetzen.

Von Wolf Brandes, Frankfurt

Weniger Filialen, mehr Algorithmen: Banken und Sparkassen experimentieren seit 2024 verstärkt mit öffentlich zugänglichen Chatbots auf Basis von KI. Die neuen Systeme basieren meist auf generativer KI wie ChatGPT und sind oft ohne Login nutzbar. Die Bandbreite reicht von statischen FAQ-Helfern bis hin zu dialogorientierten Assistenten, die Sparkonten, Fondssparpläne oder Rentenprodukte erklären.

Mit SparkasseGPT und Quirion AI haben zwei Anbieter in Deutschland erste Maßstäbe für niedrigschwellige Anwendungen gesetzt. Die Idee: Einstiegshürden senken, Grundwissen vermitteln und potenzielle Kunden vorbereiten. „Wir richten unsere AI ganz bewusst an Interessenten – nicht nur an Kunden. Vor allem junge Menschen sollen spielerisch lernen, wie Geldanlage funktioniert, was ETFs sind, welche Risiken es gibt“, erklärt Martin Daut, CEO des Robo-Advisors Quirion, einer Tochter der Quirin Privatbank. In vielen Fällen gehe es um erste Orientierung: „Gerade jüngere Menschen nutzen KI wie einen Kumpel – sie schreiben: ‚Ich bin Nele, 28, mein Vater hat mir Geld geschenkt – was soll ich tun?‘“

Berater gegen Maschine

Laut einer Bitkom-Umfrage von Juni 2025 nimmt die Akzeptanz von KI in Geldfragen deutlich zu. Bereits 28% der Befragten würden heute eine KI nutzen, die ihre persönliche Finanzplanung unterstützt – etwa durch Hinweise auf Einsparpotenziale oder Machbarkeitsanalysen für größere Ausgaben. Im Vorjahr waren es noch 20%. Und 30% der Befragten glauben sogar, dass KI bessere Produktempfehlungen aussprechen kann als menschliche Berater.

„Auch wenn eine Mehrheit noch skeptisch ist, zeigt sich das steigende Interesse der Deutschen an KI-Anwendungen auch in Sachen Finanzen“, wird Bitkom-Hauptgeschäftsführer Bernhard Rohleder in einer Mitteilung zitiert. Die Technologie biete Banken enormes Potenzial, sie könne eine hochgradig individualisierte Finanzplanung ermöglichen – auch im Privatkundengeschäft.

KI wird zum neuen Normal

Eine PwC-Marktstudie mit 171 deutschen Finanzinstituten zeigt, dass der KI-Einsatz in der Breite angekommen ist. 73% der Häuser verfügen bereits über mindestens einen produktiven KI-Anwendungsfall. Am häufigsten kommt KI im Risikomanagement (59% der Banken) sowie im Kundensupport zum Einsatz – etwa in Form von Chat- oder Voicebots, die rund um die Uhr für Standardfragen zur Verfügung stehen.

Der Kontakt zwischen dem Bankkunden und KI wird zum neuen Normal. Dabei rücken nicht nur Serviceanwendungen, sondern auch Marketing und digitale Vermögensberatung stärker in den Fokus: Immer mehr Institute nutzen KI, um Angebote und Kampagnen auf Kundenprofile abzustimmen. Rund 10% haben laut PwC Robo-Advisor mit KI im Einsatz, die auch Kleinanlegern professionelles Portfoliomanagement ermöglichen.

Keine Empfehlungen

Die neuen KI-Bots versprechen mehr als nur Informationsbereitstellung. Im Idealfall führen sie individuelle Dialoge. Doch regulatorische Vorgaben setzen klare Grenzen. „Der Bot muss explizit mitteilen, dass er nur allgemeine, edukative Informationen bietet und keine individuelle Beratung oder Kaufempfehlungen“, betont Konstantinos Dagianis, Partner bei PwC Deutschland. Bei Fragen, die eine persönliche Einschätzung oder Produktempfehlung erfordern, solle der Bot an einen menschlichen Berater verweisen.

Auch der Deutsche Sparkassenverlag macht diese Trennung deutlich: „Es gibt keine konkreten Anlageempfehlungen, sondern grundsätzlich nur Informationen zu Produkten oder Anlagemöglichkeiten“, so ein Sprecher. SparkasseGPT basiert auf ausgewählten Sparkasseninhalten, gibt aber bei sensiblen Themen wie Altersvorsorge nur eingeschränkte Auskunft. „Das geschieht, um das Risiko von Falschinformationen zu begrenzen.“

Gefahr durch Erfindung

Die Herausforderungen liegen im Detail. Halluzinationen – also sachlich falsche oder erfundene Aussagen – stellen ein zentrales Problem generativer Systeme dar. Daher überwachen Institute die sogenannte Halluzinationsquote. Ziel sind Werte unter 5%, idealerweise nahe Null, so PwC. Ergänzend wird die Fallback-Rate gemessen, also der Anteil unbeantworteter Anfragen. Dabei greift der Bot nur auf Standardantworten zurück oder verweist an menschliche Stellen.

PwC empfiehlt eine risikobasierte Überprüfung: Während der Pilotphase sind wöchentliche Analysen sinnvoll, in späteren Betriebsphasen reichen monatliche Management-Reports oder quartalsweise Audits. Die Einbindung der Rechts- und Compliance-Abteilungen ist obligatorisch, ebenso wie eine umfassende Protokollierung aller Chatverläufe.

Systeme mit Licht und Schatten

Ein Blick auf die ersten frei zugänglichen Systeme offenbart Licht und Schatten. Quirion AI führt strukturierte Gespräche, beginnt DSGVO-konform mit einer Opt-in-Frage und stellt offene Rückfragen. Doch die inhaltliche Tiefe bleibt begrenzt: Weder werden Renditeszenarien noch Portfolioideen durchgerechnet. Auf Nachfrage fehlen Quellenangaben oder konkrete Fondsfakten.

Auch SparkasseGPT punktet zunächst mit konsistenter Markenführung und benutzerfreundlicher Navigation. Die Produkterklärungen bleiben im Sparkassen-Kosmos, orientieren sich an typischen Kategorien und leiten bei Bedarf in die Filiale weiter. Doch sobald die Nutzerin etwa fragt: „Reicht mein Kapital bis 90?“, endet die Hilfestellung. Komplexere Berechnungen oder Modellrechnungen sind nicht vorgesehen – hier endet die KI, und der menschliche Sparkassenberater muss übernehmen.

Große Zukunft

Trotz Einschränkungen sehen Experten enormes Potenzial. Standardanfragen lassen sich automatisieren, Callcenter werden entlastet, und Kunden erhalten rund um die Uhr einen qualifizierten Zugang. „In Zukunft kann solch ein ChatBot sogar von Kunden vorausgesetzt werden“, so Dagianis. Er könne damit zur Absicherung der Wettbewerbsfähigkeit beitragen. Die Bedeutung sieht auch Daut: „Ich glaube, dass in fünf Jahren die Hälfte des provisionsbasierten Filialbetriebs durch KI ergänzt oder ersetzt sein wird. KI kann Standardberatung sprachlich besser leisten als viele Menschen – das verändert die Bankenlandschaft dramatisch.“

Andere Experte warnen: Generative KI könnte neue Betrugsarten fördern und weltweit Schäden in Milliardenhöhe verursachen. Auch die BaFin zählt „Digitalisierung und KI“ zu den sechs Hauptrisiken 2025. Die Abhängigkeit von Drittanbietern und unbeabsichtigte Effekte großer Sprachmodelle werden kritisch gesehen.

Ob Quirion, Sparkassen oder andere – der Einsatz generativer KI im Finanzsektor nimmt Fahrt auf. Noch sind die Systeme nicht perfekt. Doch der Trend ist klar: Immer mehr Banken binden KI in den Kundendialog ein.