Letzter Schnitt für Argentiniens Kettensägenreformer Milei?
Letzter Schnitt für Argentiniens Kettensägenreformer Milei?
Kettensägenreformer Milei am Ende?
Die Umfragen sind desaströs und mögliche Gegenleistungen für eine US-Wahlhilfe könnten die Inflation wieder nach oben katapultieren. Bei den bevorstehenden Regionalwahlen entscheidet sich das Schicksal von Argentiniens Präsidenten Milei.
Von Andreas Fink, Buenos Aires
Drei Tage lang hatte Javier Mileis Reformprojekt am Rand des Zusammenbruchs gestanden – nur Wochen vor den entscheidenden Parlamentswahlen am 26. Oktober. Nach Niederlagen seiner Partei „La Libertad Avanza“ in mehreren Provinzen, der einbrechenden Konjunktur und ausgabensteigernden Parlamentsbeschlüssen zogen immer mehr Investoren ihre Gelder ab. Argentinien, zumal ohne große Devisenreserven, geriet in eine Abwärtsspirale. Der IWF lehnte weitere Hilfen ab. Die letzte Hoffnung für Argentiniens Präsident Milei hieß Donald Trump.
Die Turbulenzen begann am 7. September, als Mileis Partei die Parlamentswahl in der Provinz Buenos Aires mit 14% Rückstand auf die der verhafteten Ex-Präsidentin Cristina Kirchner nahe stehenden Peronisten verlor. Eine Wahl eigentlich ohne formale nationale Bedeutung. Doch Regierung und Märkte hatten sie zum Stimmungstest vor den Oktober-Wahlen erklärt. Die These, Milei könne auch ärmere Schichten mit seiner radikalen Agenda überzeugen, war widerlegt – und damit auch die Aussicht auf einen klaren Wahlsieg im Oktober erschüttert.
Noch rigidere Reformen
Milei zeigte sich trotzig: Er kündigte eine noch rigidere Reformpolitik an. Das Parlament reagierte mit Gegenwehr und beschloss wieder höhere Zuweisungen an Kliniken, Menschen mit Behinderungen und Universitäten. Milei wertete dies als Frontalangriff auf sein zentrales Ziel: einen Haushaltsüberschuss zu erzielen. Die Märkte reagierten mit massiven Kapitalabflüssen. Der Risikoaufschlag auf Staatsanleihen stieg auf 1.456 Basispunkte, doppelt so hoch wie im August. Die Zentralbank musste 1,1 Mrd. Dollar aufwenden, um den Peso zu stützen. Der 19. September war ein schwarzer Freitag – doch der folgende Montag drohte noch schlimmer zu werden.
Die Wende kam buchstäblich in letzter Minute: Kurz vor der Börseneröffnung am 22. September erklärte US-Finanzminister Scott Bessent auf X, Argentinien sei ein „systemrelevanter Verbündeter“, die USA seien bereit, „zu tun, was nötig ist“. Am Tag darauf erklärte Donald Trump: „Argentina will be Great Again.“ Bessent bestätigte sogleich Verhandlungen über einen 20-Mrd.-Dollar-Währungstausch mit Argentinien. Zudem wolle Washington Anleihen aufkaufen und die Möglichkeit für Kredite über den „Exchange Stabilisation Fund“ des US-Finanzministeriums prüfen. All das zusammen wäre das größte US-Hilfspaket für ein einzelnes Land – ausgerechnet für Argentinien, das bereits neunmal pleite ging.
Großzügigkeit der USA
Warum diese Großzügigkeit? Erstens ist Milei ein glühender Trump-Verehrer, der ihn früh unterstützte. Zweitens gelten Argentinien und El Salvador als letzte verlässliche US-Partner in Lateinamerika – ein Kontinent, in dem China immer präsenter wird. Drittens winken wirtschaftliche Vorteile: Argentinien liegt im „Lithium-Dreieck“ mit Bolivien und Chile, verfügt über riesige Kupfervorkommen und bietet Investoren 30 Jahre Steuererleichterungen. Bessent sieht hier lukrative Gelegenheiten für US-Konzerne.
Das US-Versprechen zeigte zunächst Wirkung: Der Peso wertete um 4% auf, der Leitindex S&P Merval sprang um 6%, Dollar-Staatsanleihen legten deutlich zu. Binnen 48 Stunden fiel das Länderrisiko auf 898 Basispunkte. Zudem stiegen die Devisenreserven: Finanzminister Luis Caputo gewährte dem Agrarsektor einen Steuerrabatt von 26% – binnen drei Tagen wurden Soja und Mais für fast 7 Mrd. Dollar verkauft.
Doch die Euphorie währte nur kurz. Bald nahmen Investoren Gewinne mit, die Unsicherheit über den Wahlausgang wuchs erneut. In New York fielen argentinische Aktien um bis zu 6,8%, das Länderrisiko stieg wieder über 1.000 Punkte – ein Niveau, das als Vorstufe der Zahlungsunfähigkeit gilt.
Neue Nervositäten
Zusätzliche Nervosität löste Caputos Entscheidung aus, alte Kapitalverkehrskontrollen aus der Kirchner-Ära zu reaktivieren: Wer nun am offiziellen Markt Dollar kauft, darf 90 Tage lang nicht am Finanzmarkt handeln. Diese Maßnahme sollte Arbitrage verhindern, befeuerte aber die inoffiziellen Dollarkurse – und damit die Wechselkurslücke.
Ökonomen warnen: Weder US-Zusagen noch frische Agrardollars lösten die strukturellen Schwierigkeiten. Argentiniens zentrales Problem sei politisch. Mileis Fraktion im Kongress ist durch interne Konflikte weiter geschrumpft. Zudem liegt er im Dauerstreit mit den 24 Gouverneuren, deren Abgeordnete nun regelmäßig seine Gesetze und Vetos überstimmen. Solange Umfragen ihn stark darstellten, konnte Milei Druck ausüben – doch die Wahlniederlagen beschädigten sein Image nachhaltig.
Die Wahl als Wegscheide
Die Parlamentswahl Ende Oktober wird nun zur Wegscheide. Wird La Libertad Avanza stärkste Kraft, kann Milei seine Reformagenda fortsetzen. Aber er müsste Kompromisse eingehen und Partner gewinnen, etwa bei den Gouverneuren oder der liberalen Partei PRO. Doch selbst ein Wahlsieg brächte ihm keine Mehrheit, denn nur die Hälfte der Kongressmandate und ein Drittel der Senatssitze werden neu vergeben. Sollte Mileis Partei kein Drittel der Sitze mehr besetzen können, droht Machtverlust bis hin zum Amtsenthebungsverfahren.
Eine Niederlage wäre auch aus anderem Grund fatal. Denn US-Minister Bessent hat seine Versprechen ausdrücklich an einen Wahlsieg geknüpft. Über den Umfang möglicher US-Hilfen wird weiter spekuliert. Finanzminister Caputo verhandelt aktuell weiter mit den USA über Garantien, um Anlegern die Furcht vor einem neuen Staatsbankrott zu nehmen. In den nächsten zwei Jahren muss Argentinien für den Schuldendienst mehr als 40 Mrd. Dollar ausgeben, aber die Devisenreserven sind aufgebraucht. Eine klare Beistandserklärung von Donald Trump könnte die Märkte beruhigen.
Spekulation über Gegenleistungen
Währenddessen spekulieren Beobachter in Buenos Aires über Argentiniens Gegenleistungen für Washington. Hoch gehandelt: Bevorzugter Zugang für US-Investoren, Rückzug Argentiniens aus seinem 18-Mrd.-Swap mit China, Ratifizierung des internationalen Patentabkommens PCT sowie die Zusage für eine US-Marinebasis in Feuerland. Vor allem erwarten die USA den Aufbau von Dollarreserven, und die Marktteilnehmer eine Überarbeitung der Schwankungsbreiten des Peso bis hin zur Freigabe des Wechselkurses – bei dann allerdings wieder steigender Inflation. Milei dürfte versuchen, letzteres bis nach der Wahl hinauszuzögern. Bis dahin bleibt der Druck hoch, wenn keine klare Trendwende in den Umfragen sichtbar wird. Jüngste Umfragen in der Provinz Buenos Aires deuten sogar auf einen noch größeren Rückstand hin als am 7. September vermeldet. Sollte Milei erneut verlieren, dürfte die Kapitalflucht wieder einsetzen.
