Tech-Sektor

Licht aus im Leuchtturm

Der Absturz europäischer IPO-Raketen wie Teamviewer oder The Hut Group an der Börse nährt die traditionelle Skepsis hiesiger Investoren gegenüber dem Tech-Sektor und trübt das Kapitalmarktumfeld für junge Unternehmen mit digitalen Geschäftsmodellen ein.

Licht aus im Leuchtturm

Nach dem Debakel des Neuen Marktes und dem jähen Absturz der einst vollmundig als Wachstumswert etikettierten T-Aktie ist es über Jahre nicht gelungen, den deutschen Investoren IPO-Kandidaten schmackhaft zu machen, die dem Telekom-, Medien- und Technologie(TMT)-Umfeld zuzuordnen waren. Schwergewichte von Kabel Deutschland bis hin zu Vantage Towers konnten kaum mehr als 10% ihrer Aktien bei den notorisch zurückhaltenden Anlegern hierzulande unterbringen, die sowohl dem Geschäftsmodell als auch den aus ihrer Sicht hohen Bewertungen der Unternehmen vielfach skeptisch gegenüberstanden. Kapitalmarktexperten hielten deshalb angestrengt Ausschau nach wahlweise „Eisbrechern“ oder besser noch „Leuchttürmen“, deren Strahlkraft geeignet war, das Börsenklima für den Sektor zu erwärmen.

Hoffnung keimte auf, als 2014 die Start-up-Schmiede Rocket Internet gemeinsam mit ihrer E-Commerce-Beteiligung Zalando Kurs auf die Börse nahm. Allerdings machte das Duo im buchstäblichen Sinne halbe Sachen. Während Zalando eine echte Erfolgsgeschichte wurde und vor kurzem den Sprung in den neuformierten Dax 40 geschafft hat, machte Rocket von Beginn an durch eine Reihe von Zielverfehlungen und strategischen Bocksprüngen das Vertrauen der Anleger zunichte, so dass die Aktie nach einem kurzlebigen Höhenflug abschmierte und das IPO-Niveau in Jahren nie wiedersah. Ein Delisting zum Spottpreis beendete die unrühmliche Börsenkarriere des Berliner Inkubators, der immerhin im MDax geführt wurde – nicht ohne den öffentlichen Kapitalmarkt auch verbal als angesichts von reichlich verfügbarem Privatkapital „unnötig“ zu diskreditieren.

Damit hinterließ der zuvor hochgelobte Internet-Konzern bei hiesigen Institutionellen reichlich verbrannte Erde, so dass sich auch der sagenhafte IPO-Erfolg der kleinen Göppinger Softwareschmiede Teamviewer erneut primär auf den Zuspruch einer angelsächsischen Klientel stützen musste. Bevor allerdings aus dem zarten Pflänzchen ein starker Baum mit üppigen Früchten werden kann, droht es aus Mangel an Nährstoffen schon wieder zu verkümmern. Denn selbst die mit jungen Technologieunternehmen ungleich geduldigeren US-Anleger, die auch daran gewöhnt sind, magere Gewinne oder gar turmhohe Verluste über Jahre unverdrossen mitzutragen, wenn nur der Wachstumspfad stabil und steil ist, reagieren äußerst empfindlich auf harsche Prognosekorrekturen im Gefolge üppiger und fragwürdiger Investitionsentscheidungen, wie sie Teamviewer mit ihren Sponsoring-Verträgen offenbarte. Dies umso mehr bei einem Unternehmen, das beim größten Tech-Börsengang am deutschen Markt seit dem Jahr 2000 mit einer ambitionierten Bewertung von mehr als dem zehnfachen Jahresumsatz an den Start ging. Damit droht auch dieses vermeintlich leuchtende Beispiel einer deutschen Tech-Ikone an der Börse als Strohfeuer zu enden. In jedem Fall wird es wohl lange dauern, bevor Teamviewer den dramatischen Wertverlust wieder aufgeholt hat, der gemessen am Allzeithoch bei drei Viertel liegt und gegenüber dem Emissionpreis bei rund der Hälfte.

Dabei wird die Investorenbasis zusätzlich dadurch verunsichert, dass das Unternehmen in Europa buchstäblich in schlechter Gesellschaft ist. Denn die kleine britische E-Commerce-Bude The Hut Group, die bei ihrem Going Public in London im September vergangenen Jahres den bisherigen europäischen Spitzenreiter der Branche, das Zalando-IPO, in den Schatten gestellt und mit einem Börsenwert von mehr als 5 Mrd. Pfund gestartet war, hat das Vertrauen ihrer Aktionäre am jüngsten Kapitalmarkttag ebenfalls in den Grundfesten erschüttert. Das Papier stürzte binnen weniger Tag um mehr als ein Viertel ab, nach Zielkorrekturen und strategischen Überraschungen.

Die jüngsten Entwicklungen haben Rückschlagspotenzial für einen aufstrebenden Tech-Sektor, der auch in Deutschland und Europa zunehmend milliardenschwere Start-ups hervorbringt, deren Bewertungs-Multiples beim Umsatz deutlich zweistellig sind. Ein Blick auf den vitalen US-IPO-Markt lehrt, dass die Bewertungen irgendwann am öffentlichen Kapitalmarkt realisiert werden müssen. Denn private Investoren sind nur in Ausnahmefällen bereit, bei extrem „fantasievoll“ bewerteten jungen Firmen zuzugreifen. Trade Sales haben offensichtlich ihre Grenzen. Mehr Technologiewerte endlich auch in der ersten Börsenliga würden dem Standort guttun, hieß es kürzlich noch aus den Reihen derselben. Sie könnten den Boden bereiten: durch Stabilität und Verlässlichkeit bei Strategie und Geschäft. (Börsen-Zeitung, 21.10.2021)

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