Im BlickfeldMigrationspolitik vs. Wirtschaftswachstum

Massenabschiebungen lassen US-Wirtschaft straucheln

US-Präsident Donald Trump will die Abschiebungen illegaler Migranten beschleunigen und gleichzeitig die Industrialisierung vorantreiben. Das aber führt zu Zielkonflikten.

Massenabschiebungen lassen US-Wirtschaft straucheln

Massenabschiebung lässt US-Wirtschaft straucheln

Industrie kritisiert Trumps Migrationspolitik: Weniger Beschäftigung, schwächeres Wachstum und steigende Defizite sind die Folge.

Von Peter De Thier, Washington

US-Präsident Donald Trump verfolgt das ambitionierte Ziel, dem verarbeitenden Gewerbe neues Leben einzuhauchen und die Industrialisierung der USA voranzutreiben. Gleichzeitig ergreift er aber Maßnahmen, die Kritiker für geradezu kontraproduktiv halten. So hat Trump per Dekret durchgesetzt, dass Arbeitsgenehmigungen für hochqualifizierte, ausländische Fachkräfte – sogenannte H-1B Visa – künftig 100.000 Dollar kosten werden. Zwar werden viele Firmen nicht bereit sein, den Preis zu zahlen. Doch Trump prescht voran und leitet noch weitere Schritte ein, die ebenfalls umstritten sind: Um die Industrieproduktion anzukurbeln will er ohne Rücksicht auf fiskalische Folgen die Unternehmenssteuer drastisch senken und US-Firmen pauschal bestrafen, die ihre Fertigung ins Ausland verlegen.

Die Arbeitskräfte werden fehlen

Was aber geschieht, wenn es plötzlich an den Arbeitskräften fehlt, die auf Baustellen und in Fabriken tätig sind? Die Produktionsgüter transportieren oder für die Wartung von Maschinen zuständig sind, die bei der Fertigung zum Einsatz kommen? Denn der Präsident vertreibt obendrein viele der Migranten, die diesen Jobs nachgehen. Angeblich, um das Land von illegalen Zuwanderern zu befreien. In das Schleppnetz der Grenzschutzbehörde ICE geraten aber zunehmend auch Personen, die völlig rechtmäßig in den USA leben und arbeiten. 

Führende Experten warnen davor, dass Trumps rabiater Umgang mit Ausländern auch Millionen davon abhängiger Jobs vernichten wird. Zudem würde der Präsident seine eigenen industriepolitischen Pläne torpedieren, noch ehe die ersten neuen Fabriken den Betrieb aufgenommen haben. Die amtliche Statistik illustriert die enge Korrelation zwischen der Migration und dem Ziel, die Industrieproduktion in den USA voranzutreiben. Nach Angaben des Bureau of Labor Statistics (BLS) waren Ende 2024 19,2% aller berufstätigen Personen gebürtige Ausländer. Ein Viertel von ihnen fällt in die Kategorie der „Illegalen“, die also keine Aufenthaltsberechtigung und Arbeitserlaubnis haben. 

Im Fadenkreuz der ICE-Agenten

Von den 31 Millionen Migranten, die in den USA einen Job haben, sind wiederum fast die Hälfte - nämlich 48,7% - lateinamerikanischer Abstammung. Das ist jene ethnische Gruppe, die sich im Fadenkreuz der ICE-Ermittler befindet. Schließlich hatte Trump schon während seiner ersten Amtszeit vor der angeblichen „Karawane illegaler Migranten“ aus Zentralamerika gewarnt. Sie würden Amerikanern ihre Arbeitsplätze nehmen, das Stellenwachstum abwürgen und somit die Wirtschaft demontieren, hatte der Präsident gemeint. 

Die Tatsache ist aber, dass das Gegenteil zutrifft. Laut BLS arbeitet etwa ein Fünftel der Ausländer in der Dienstleistungsbranche, vorrangig im Gesundheitswesen sowie dem Gastgewerbe. Etwa neun Millionen Berufstätige, das sind etwa 30% der nicht-amerikanischen Arbeitskräfte, spielen aber eine entscheidende Rolle in der US-Industrie. Sie arbeiten im verarbeitenden Gewerbe, in der Bauwirtschaft und der Rohstoffindustrie. Oder in komplementären Branchen, die für einen reibungslosen Ablauf der Industrieproduktion unverzichtbar sind. Dazu zählen unter anderem der Transportsektor sowie Wartungs- und Reparaturbetriebe. 

Schon frühere Präsidenten warnten

Schon unter den früheren Präsidenten Barack Obama und Joe Biden hatten Experten vor den wirtschaftlichen Folgen einer allzu rigiden Einwanderungspolitik gewarnt. Für viele Branchen seien ausländische Arbeitskräfte unverzichtbar, stellten sie fest. Trumps verschärfter Kreuzzug gegen Migranten könnte nach Ansicht mehrerer Forschungsinstitute  gravierende Konsequenzen nach sich ziehen. 

So gelangte eine aktuelle Studie des Economic Policy Institute (EPI) zum Schluss, dass die Bauwirtschaft am meisten betroffen sein würde. Falls Trump sein Ziel weiter verfolgt, in vier Jahren 4 Millionen Ausländer abzuschieben, „würden allein Bauunternehmen fast 2,3 Millionen Mitarbeiter verlieren“, so das EPI. Der herbe Rückschlag für die Branche bedeutet unter anderem, dass es an den notwendigen Arbeitskräften fehlen würde, um neue Fabriken für die Fertigung von Halbleitern, Autoteilen und anderen Konsumgütern zu bauen.

Hyundai-Razzia illustriert Risiken

Die Risiken, die Trumps Migrationspolitik für die Industrie heraufbeschwört, illustrierte vor zweieinhalb Wochen die Razzia der ICE-Grenzwächter in einer Fabrik des südkoreanischen Autokonzerns Hyundai. So stürmten Agenten der Behörde das Hyundai Motor Group Metaplant America außerhalb von Savannah, Georgia. Sie verhafteten 475 Mitarbeiter. Die Razzia gründete sich auf der Annahme, dass die Hyundai-Angestellten, allesamt südkoreanische Staatsbürger, ohne Aufenthaltsberechtigung in den USA arbeiten. Trotz der unbewiesenen Vorwürfe wurden sie abgeschoben. 

Der Vorfall führte zu einem diplomatischen Eklat zwischen Washington und Seoul. Präsident Lee Jae-Myung drohte sogar mit einem Moratorium für Investitionen in den USA.  Gravierend sind auch die unmittelbaren Folgen. Denn die abgeschobenen Mitarbeiter – viele von ihnen sind mittlerweile zurückgekehrt – stellen ein gutes Drittel der Belegschaft dar. Im Hyundai-Werk kam es in der Folge zu Produktionsausfällen bei der Herstellung von Batterien für Elektroautos. 

Krisenmanagement nach Zwischenfall

Zwar war das Weiße Haus um Krisenmanagement bemüht. Der stellvertretende Außenminister Christopher Landau sagte, dass er den Überfall bedauere. Auch schrieb Trump auf seiner Plattform Truth Social, dass „ich auf keinen Fall ausländische Investoren abschrecken will“. In die entgegengesetzte Richtung steuert aber Trumps stellvertretender Stabschef Stephen Miller. Miller plädiert ohne Rücksicht auf die Folgen für Industrieunternehmen oder die Gesamtwirtschschaft dafür, dass ICE eine Quote von 300 Abschiebungen pro Tag erfüllt.

Unterdessen scheinen die Hardliner in Trumps Regierung die Oberhand zu behalten, wie das bereits erwähnte neue Dekret zeigt, das für spezielle Arbeitserlaubnisse eine jährliche Gebühr von 100.000 Dollar verlangt. Zur Illustration der Größenordnung: US-Unternehmen hatten 2024 für je 785 Dollar mehr als 400.000 Visa vom Typ H-1B für ausländische Fachkräfte beantragt.

Amazon braucht ausländische Fachkräfte

Allein Amazon bekam 2024 für Angestellte aus dem Ausland mehr als 10.000 H-1B Arbeitserlaubnisse. Xiao Wang, CEO der Firma „Boundless“, die US-Unternehmen bei der Rekrutierung von Fachkräften aus Übersee berät, warnt vor den Folgen. „Diese nunmehr teuren Luxus-Visen erschweren begabten jungen Menschen den Weg in die USA und gefährden die Position der USA als Fahnenträger für globale Innovation“, ist Wang überzeugt.  

Kosten die H-B Visen künftig so viel wie ein ganzes Jahresgehalt, dürften sich viele Firmen gleich überlegen, ob sie nicht doch lieber auf Facharbeiter aus Europa oder Asien verzichten. Fast egal, wie viel diese zur Steigerung der Wertschöpfung beitragen. Produktivitätsverluste kommen also noch hinzu als ökonomische Folgen der Migrationspolitik neben den Beschäftigungsverluste und einhergehend damit schwächerem Wachstum.

6 Millionen Arbeitsplätze vernichtet

So rechnet die EPI-Studie mit dem Verlust von 5,9 Mill. Arbeitskräften und einem Rückgang der Personen im erwerbsfähigen Alter um 3,6%. Eine Begleiterscheinung, die Trumps Experten wohl übersehen: Mehr als 2,5 Millionen Amerikaner würden laut EPI deswegen ihren Job verlieren, weil Branchen wie die Bauwirtschaft und der Agrarsektor ganze Betriebe stillegen müssten. Unterdessen befasst sich das Baker Institute for Public Policy der texanischen Rice University mit der wachtumshemmenden Wirkung der Abschiebungen. Eine einschlägige Studie gelangt zu dem Schluss, dass die Migrationspolitik während der nächsten 10 Jahre die Wachstumsrate um bis zu 6,2% drücken wird.

Wie Kent Smetters, Wirtschaftsprofessor an der renommierten Wharton School der University of Pennsylvania feststellt, „besteht kein Zweifel daran, dass die Wirtschaftsleistung mit einer geringeren Zahl von Arbeitskräften weniger wachsen würde“. Eine Wharton-Studie vom Juli fasst die prognostizieren Ergebnisse zusammen: Falls über einen Zeitraum von vier Jahren jedes Jahr 10% der illegalen Migranten abgeschoben wird, würde die Wachstumsrate um ein Prozentpunkt niedriger ausfallen. Auch würde aufgrund der geringeren Produktion und der entgangenen Steuereinnahmen Das Haushaltsdefizit um weitere 350 Mrd. Dollar anschwellen.