Mutiger Aufschlag der deutschen Aufsicht
Bankenregulierung
Mutiger Aufschlag
Die reformfreudige Aufsicht steht nicht im Verdacht sturer Beharrlichkeit. Doch es braucht eine gute Abwägung, wie weit sie den Baseler Rahmen verlässt.
Von Anna Sleegers
Spätestens zur Jahrtausendwende haben die Politiker, die die Gräuel des Zweiten Weltkriegs noch am eigenen Leib erfahren haben, die politische Bühne aus Altersgründen verlassen. Die Auswirkungen dieses Paradigmenwechsels sind vielerorts zu beobachten, Säbelrasseln ist wieder angesagt. Eine ähnliche Entwicklung scheint sich bei der Wahrung der globalen Finanzstabilität abzuzeichnen. Mehr als 15 Jahre sind vergangen, seitdem der vor allem in den USA betriebene aufsichtsrechtliches Laissez-faire das Weltfinanzsystem ins Wanken drohte. 2008 ist lange her – immer mehr der beteiligten Akteure sind heute Privatiers. Doch für die beiden Bankenaufseher von Bundesbank und BaFin, die dieser Tage mit überaus mutigen Reformvorschlägen für Aufsehen gesorgt haben, gilt das nicht.
Karlheinz Walch, Leiter der Bankenaufsicht bei der Deutschen Bundesbank, war schon während der großen Krise mit aufsichtlichen Themen befasst. Und auch BaFin-Exekutivdirektor Nikolas Speer hat die Finanzkrise aus nächster Nähe miterlebt – als Manager bei der Commerzbank, für deren Risikocontrolling und Konzernstrategie er tätig war. Jugendlichen Leichtsinn wird man den beiden daher nicht unterstellen können. Und trotzdem rütteln sie mit ihren Aufsätzen an den Grundsätzen des in mehr als zwei Jahrzehnten mühsam erarbeiteten und weiterentwickelten Baseler Rahmenwerks. Das für so viele Entbürokratisierungsvorhaben geltende Motto „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass“ haben sie sich jedenfalls nicht zu eigen gemacht.
Ausnahmen, kein Widerspruch
Aus Sicht der Bundesbank widersprechen die vorgeschlagenen Erleichterungen für kleine Institute den Baseler Vorgaben allerdings auch gar nicht. Vorstandsmitglied Michael Theurer sah sich am Mittwoch jedenfalls zu dem Hinweis bemüßigt, dass diese für internationale Banken gedacht gewesen seien. Ähnlich dürften die Regulatoren allerdings auch in den USA argumentiert haben, als sie die dortigen Regionalbanken von den im Dodd-Frank-Gesetz vorgeschriebenen Eigenkapitalvorgaben und Liquiditätsreserven ausnahmen. Das sollte sich im Frühjahr 2023 rächen. Die Frage, warum das US-Bankenbeben nicht nach Europa übergriff, wurde auch seitens der hiesigen Aufsichtsbehörden oftmals damit beantwortet, dass man die Einhaltung der regelbasierten Vorgaben ernster genommen hat.
Keine Lex Sparkassen und Volksbanken
Nun ist die Sparkasse Posemuckel, auf deren Belange das vorgeschlagene Kleinbankenregime gemünzt zu sein scheint, in der Regel keine deutsche Ausgabe der Silicon Valley Bank, die unter anderem an der Mobilität ihrer Einlagekunden scheiterte. Andererseits zeigen die spektakulären Schieflagen, mit denen der Genossenschaftssektor seit geraumer Zeit von sich reden macht, dass die Mitgliedschaft in den großen Finanzverbünden nicht zwingend ein Garant für kaufmännische Rechtschaffenheit ist. Hinzu kommt, dass der Vorschlag keineswegs nur die von der Bundesregierung unter Artenschutz gestellten Sparkassen und Genossenschaftsbanken betreffen würde, sondern auch mehrere Dutzend private Institute allein in Deutschland. Hinzu kommen die Kleinbanken anderer Mitgliedsstaaten, die es trotz einer vielerorts weiter fortgeschrittenen Konsolidierung immer noch gibt.
Ein Kleinbankenregime, das den nationalen Aufsichtsbehörden einen großen Ermessensspielraum gibt, manifestiert deren Existenzberechtigung. Zugleich öffnet es der Regulierungsarbitrage Tür und Tor. Das sollte bedacht werden, ebenso wie die Tatsache, dass es sich bei den Institutssicherungssystemen um eine Besonderheit der deutschen Finanzverbünde handelt. Inwieweit man die Lockerungen auch für Institute riskieren möchte, die keiner vergleichbaren Solidaritätsgemeinschaft angehören, sollte man sich gut überlegen. Dies wird aber auch geschehen. Wie bei allen europäischen Gesetzesvorhaben werden die beteiligten Akteure das Für und Wider hinlänglich diskutieren und die Inhalte vermutlich auch aufweichen. Insofern ist der Mut der beiden Aufseher, die Bankenregulierung noch einmal vom Ergebnis her neu zu betrachten, durchaus zu begrüßen.