KommentarWegen Affäre gefeuert

Nestlé wirft CEO Freixe raus – ein Debakel für beide Seiten

Der Verwaltungsrat von Nestlé hat Laurent Freixe mit sofortiger Wirkung entlassen. Der erst seit einem Jahr amtierende CEO habe „eine nicht offengelegte romantische Beziehung mit einer ihm direkt unterstellten Mitarbeiterin“ unterhalten. Der Vorgang ist ein Debakel für den Franzosen, aber auch für Nestlé.

Nestlé wirft CEO Freixe raus – ein Debakel für beide Seiten

Rauswurf

Ein Debakel für Nestlé und den geschassten CEO

Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt

Es ist das beschämende Ende einer großen Karriere. Sie begann vor fast 40 Jahren in einem Weltkonzern und endet nun an gleicher Stelle. Doch statt der üblichen Lobeshymnen und ellenlangen Danksagungen gibt es nur den wohl kürzest möglichen Abschiedssatz für den CEO: „Ich danke Laurent (Freixe) für seinen langjährigen Dienst für Nestlé“, lässt sich Paul Bulcke, Präsident des Nestlé-Verwaltungsrats, in der Mitteilung zitieren. Und das nicht einmal, ohne den angesichts der für den Schweizer Konzern üblichen Verschwiegenheit ungewöhnlich schweren Vorwurf der Pflichtvergessenheit voranzustellen. „Der Abgang von Laurent Freixe folgt einer Untersuchung zu einer nicht offengelegten romantischen Beziehung mit einer ihm direkt unterstellten Mitarbeiterin. Diese Beziehung verstieß gegen den Nestlé Code of Business Conduct, die internen Unternehmensrichtlinien.“ Was für ein Debakel. Für den geschassten Franzosen ebenso wie für Nestlé.

Große Wachstumsprobleme in der Branche

Das personelle Fiasko an der Spitze trifft Nestlé in einer Zeit, in der die Konsumgüterbranche zu einem radikalen Umdenken gezwungen wird. Der weltgrößte Lebensmittelkonzern, der zahlreiche Marken mit Milliardenumsätzen in seinem Portfolio hat (u.a. Nescafé, Nespresso, Maggi, Thomy, Buitoni, Kitkat, Vittel), kämpft wie die meisten Markenanbieter gegen sinkende Verkaufsmengen an. Preisanhebungen dienten in den vergangenen Jahren zur Kompensation, doch unübersehbar stoßen u.a. Nestlé, Procter & Gamble, Unilever, Danone, Colgate-Palmolive, Beiersdorf und zum Teil auch Henkel nun an Grenzen. Jede weitere Preiserhöhung treibt mehr Verbraucher zu Waren, die unter Handels- und No-Name-Marken vertrieben werden. Die Umsätze, die die traditionellen Markenhersteller in den vergangenen Jahren durch ihre Preispolitik noch stabil halten oder sogar steigern konnten, treten derzeit bestenfalls noch auf der Stelle.

Vertrauensschwund

Dem Deutsch-Amerikaner Mark Schneider wurde das zum Verhängnis. Der Quereinsteiger, der im September 2016 zu Nestlé gekommen war, wurde im August 2024 nach gut siebeneinhalb Jahren als CEO von Nestlé von jetzt auf gleich durch das Urgestein Freixe ersetzt. An der durchwachsenen Kursbewegung ließ sich ablesen, dass die Investoren nicht so naiv waren zu glauben, dass mit dem Wechsel an der operativen Spitze nun alles besser werden würde. Und genauso kam es. Auch unter Freixe, der sich von seinem Vorgänger vor allem durch eine stärkere Konzentration auf die Kernmarken unterscheiden wollte, gelang bislang keine wirkliche Trendumkehr. Nach wie vor schwächelt der Absatz. Das Vertrauen, dass Freixe zumindest konzernintern entgegengebracht wurde, schwand. Das der Investoren und Analysten sowieso.

Unerklärlicher Verstoß gegen den Verhaltenskodex

Und nun das. Eine „romantische Beziehung mit einer ihm direkt unterstellten Mitarbeiterin“. Was mag Freixe – für Außenstehende die Inkarnation von biederer Strebsamkeit –, nur getrieben haben, ein solches Verhältnis einzugehen und vor allem dieses dem Verwaltungsrat offensichtlich zu verheimlichen? Spekulationen darüber sind müßig. Chairman Bulcke hat Recht, wenn er zum Rausschmiss von Freixe sagt: „Dies war eine notwendige Entscheidung. Nestlés Werte und Governance bilden das solide Fundament unseres Unternehmens." Dennoch ist es ein Abgang, den ein hochverdienter Manager wie Freixe, der im Konzern u.a. CEO für Amerika war und praktisch auf all seinen Karriereetappen große Erfolge erzielte, nicht verdient hat. Auch wenn er es sich selbst zuzuschreiben hat.

Ein 49-Jähriger führt den weltgrößten Lebensmittelkonzern

Der neue CEO, der schon zuvor als Kronprinz gehandelte Philipp Navratil, startete 2001 bei Nestlé; ist also wie fast alle CEOs des Konzerns ein Eigengewächs. Seine Karriere verlief im Gegensatz zu der von Freixe, der sich vier Jahrzehnte hocharbeitete und mehrmals übergangen wurde, bevor er schließlich doch CEO wurde, fast kometenhaft. Zuletzt war Navratil CEO von Nespresso, der Kaffeekapselmarke von Nestlé. Diese Position hatte der Schweizer erst im Juli 2024 übernommen; am 1. Januar dieses Jahres wurde Navratil Mitglied der Konzernleitung. Nun ist der 49-Jährige CEO des Lebensmittelriesen. Ob ihm die Quadratur des Kreises gelingt, also die steigenden Kosten für Personal, Rohstoffe und Energie auf die Kunden abzuwälzen, ohne dass sich die Verkaufsmenge verringert? Die Investoren scheinen eher skeptisch zu sein, wenn man die Kursbewegung vom Dienstag betrachtet.

Navratil, der jüngste CEO von Nestlé seit Jahrzehnten, muss nun zeigen, ob das in ihn gesetzte Vertrauen des Verwaltungsrates gerechtfertigt ist oder ob sein jüngster Aufstieg zum Konzernchef nicht mit zu viel Hoffnung verbunden ist. Eines scheint sicher: Scheitert Navratil, stürzt auch die graue Eminenz Bulcke, unter dessen Ägide dann drei CEOs versagt hätten.