LeitartikelHandelskonflikt

Nur ein stumpfes Schwert

Big Tech ist schnell zum Spielball der Verhandlungen zwischen der EU und den USA geworden. Aber auch hier ist ein gezielter Treffer für Europa kaum zu landen.

Nur ein stumpfes Schwert

Handelskonflikt

Big Tech ist schnell zum Spielball der Verhandlungen zwischen der EU und den USA geworden. Aber auch hier ist es für Europa nicht leicht, einen Hieb zu versetzen.

Von Heidi Rohde

Stumpfes Schwert

Die Suche nach einer geeigneten Verhandlungsstrategie der EU im Handelskonflikt mit den USA treibt seltsame Blüten. Angesichts eines zu Recht als wenig zielführend angesehenen Schlagabtauschs von pauschalen Zoll- und Gegenzolldrohungen hat sich der Blick sehr schnell auf die vermeintliche Achillesferse der US-Exportwirtschaft gerichtet: den Überschuss in der Dienstleistungsbilanz, der im wesentlichen von Big Tech erwirtschaftet wird. Hier ließe sich aus Sicht von Ökonomen eine gezielte Drohkulisse aufbauen. Denn insbesondere die sogenannten Hyperscaler im Cloud-Geschäft Microsoft, Amazon und Alphabet erzielen mit diesen Services jährlich hohe zweistellige Milliardenumsätze in der EU. Bei Apple steht der Wirtschaftsraum für rund ein Viertel der 100 Mrd. Dollar schweren Dienstleistungssparte, Meta kommt hier ebenfalls auf Einnahmen von knapp 50 Mrd. Dollar, überwiegend aus digitaler Werbung.

Die milliardenschweren Umsätze, die die US-Technologieriesen in Europa im Feuer haben, zeigen, dass die Verhandlungsposition der EU keineswegs so schwach ist, dass sie ein weitreichendes Entgegenkommen an dieser Stelle nötig hätte. Big Tech hat hier ohnehin kaum Ausweichmöglichkeiten. Denn der gigantische chinesische Wachstumsmarkt ist für US-Softwareriesen praktisch komplett unter Verschluss, sowohl bei Privat- als auch bei Unternehmenskunden. Andere aufstrebende Märkte in Asien, Afrika oder Lateinamerika haben nicht die wirtschaftliche Stärke, um größere Ausfälle im europäischen Binnenmarkt zu kompensieren.

Grenzen des Entgegenkommens

Insofern besteht auch kein Anlass, in Teilen auf die im Digital Markets Act (DMA) niedergelegte Plattformregulierung zu verzichten, die Big Tech insbesondere verschärfte Wettbewerbsregeln auferlegt und deshalb von den Konzernen von Beginn an bekämpft worden war. Denn die europäische Digitalwirtschaft weist zu Recht darauf hin, dass eine Lockerung des erst vor zwei Jahren in Kraft gesetzten DMA das Vertrauen in die Durchsetzungsfähigkeit europäischer Gesetzgebung und die Verlässlichkeit des Binnenmarkts als stabiler Rechtsraum untergraben würde. Ganz davon abgesehen, dass die viel beschworene Bildung europäischer Tech-Champions angesichts der drückenden Marktmacht von Big Tech ohne eine faire und transparente Regulierung digitaler Märkte überhaupt nicht voran kommen kann. Die US-Technologieriesen können derweil ohne Schaden in Gesprächen in die Weiterentwicklung des DMA einbezogen werden, wie die Kommission dies vorhat, aber ein Kniefall der EU ist in keiner Weise geboten.

Hohe Abhängigkeit

Ob die Gemeinschaft allerdings in der komfortablen Lage ist, den Spieß umzudrehen, wie anfängliche taktische Überlegungen dies nahe legten, ist ebenfalls zu bezweifeln. Denn eine wie auch immer geartete handfeste Behinderung der Geschäfte von Big Tech in der EU würde auch die Kunden unmittelbar treffen. Microsoft, Amazon und Google kommen auf einen Marktanteil von mehr als 70% im europäischen Cloud-Markt. Damit diktieren sie die technologischen Standards und definieren auch die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Auch wenn die seit Jahren schwelende Debatte um die sogenannte souveräne Cloud, bei der die Anbieter europäisch und die Datenzentren in Europa lokalisiert sein sollen, durch den politischen Wandel der USA vom Partner zum Gegner erheblich an Dynamik gewonnen hat, waren am Ende bisher kaum Unternehmen bereit, auf die Vorzüge der technologisch führenden und hocheffizienten Services von Big Tech zugunsten heimischer Anbieter zu verzichten. Europäische Cloudprojekte sind eine Geschichte von Rohrkrepierern. Ein Neuanlauf zeichnet sich ab, ist aber mühsam und zeitraubend. Eine Entwöhnung der Privatkunden vom Duopol bei App- und Playstore oder der Meta-Socialmedia-Familie ist noch weniger aussichtsreich.

Einschränkungen für Kauf oder Konsum digitaler Dienstleistungen aus den USA sind daher im Verhandlungsgefecht ein eher stumpfes Schwert. Dennoch ist die Abhängigkeit zumindest soweit gegenseitig, dass die EU gut beraten und gut gerüstet ist, um substanzielle Eingriffe bei DMA aus den Verhandlungen auszuschließen.

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