LEITARTIKEL

Offenbarungseid

Jetzt ist es amtlich: Die Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto wird sich für Bayer auch jenseits der Kosten zur Beilegung der Klagewelle rund um Glyphosat so schnell nicht rechnen. Die hehren Wachstumspläne, die Bayer auf dem Kapitalmarkttag...

Offenbarungseid

Jetzt ist es amtlich: Die Übernahme des US-Saatgutkonzerns Monsanto wird sich für Bayer auch jenseits der Kosten zur Beilegung der Klagewelle rund um Glyphosat so schnell nicht rechnen. Die hehren Wachstumspläne, die Bayer auf dem Kapitalmarkttag 2018 präsentierte, sind Makulatur. Bekanntermaßen wollte Bayer mit Monsanto den Ertragsturbo zuschalten. Neben Umsatz- und dazu überproportionalem Ergebniswachstum lag ein besonderes Augenmerk auf dem künftigen Mittelzufluss. Allein zwischen 2019 und 2022 sollten 23 Mrd. Euro an freiem Cash-flow zusammenkommen. Damit Hand in Hand gingen Versprechen zu stetig steigenden Dividenden. Geliebäugelt wurde sogar mit der Möglichkeit des Aktienrückkaufs.Angesichts des sich abzeichnenden milliardenschweren Vergleichs im Zusammenhang mit dem Unkrautvernichter Glyphosat nahmen die Leverkusener letztere Option zwar flott wieder vom Tisch, die Wachstumspläne hatten jedoch Bestand – bis vorige Woche. Schuld daran ist nur zum Teil die Covid-19-Pandemie. Deren Folgen hatte Bayer ohnehin mit der Prognosekürzung im Sommer Rechnung getragen. Anders als im Pharmageschäft, das schon 2021 auf den Wachstumspfad zurückkehren soll, haben sich die Aussichten im Agrarmarkt – ebenjenem Geschäft, an dessen Spitze sich Bayer mit der größten Übernahme der Firmengeschichte gesetzt hat – nachhaltig eingetrübt, und zwar so stark, dass in der Sparte Cropscience Sonderabschreibungen im mittleren bis hohen einstelligen Milliardenbetrag fällig werden.Das ist eine Größenordnung, die andernorts als Großakquisition durchginge. Bei Bayer wird der Betrag dagegen nur mit dem Zusatz “nicht zahlungswirksam” versehen, fast so, als spiele er keine Rolle. Dabei hatte sich im ersten Halbjahr bereits ein Konzernfehlbetrag von 8 Mrd. Euro aufgetürmt. Zu Ende gedacht bedeutet das Impairment allerdings, dass sich die einst errechneten künftigen Cash-flows nicht realisieren lassen. Mithin kommt Bayer auch mit der auf den Cash eingeengten Sicht nicht mehr zum gewünschten Ergebnis.Als wäre das nicht schon genug, kommt erschwerend hinzu, dass die aus dem operativen Geschäft zufließenden Mittel in den nächsten Jahren zunächst einmal in die Finanzierung zur Beilegung der Klagewelle gesteckt werden müssen. Was die Vergleichssumme betrifft, ist das letzte Wort zwar immer noch nicht gesprochen – allein für den Glyphosat-Vergleich sind bislang knapp 11 Mrd. Dollar budgetiert. Weniger wird es aber sicher nicht.Es mutet fast verzweifelt an, wenn als Gegenmittel nun die nächste Sparrunde eingeläutet wird. Bis 2024 soll die Kostenbasis erneut um 1,5 Mrd. Euro gekürzt werden. Dabei ist das laufende Effizienzprogramm, mit dem 2,6 Mrd. Euro eingespart werden sollen und dem 12 000 Stellen zum Opfer fallen, noch gar nicht abgeschlossen. Noch steht nicht fest, wie viele Jobs diesmal betroffen sind – einzig Vorstandschef Werner Baumann kann sich in Sicherheit wiegen, wurde sein Vertrag doch erst kürzlich bis April 2024 verlängert. Das ist zwar keine Garantie dafür, dass Investoren seinen vorzeitigen Abgang nicht noch erzwingen, in diesem Fall dürfte sein Vertrag jedoch ausbezahlt werden.Wenig erstaunlich, dass die Nachricht von weiteren Einsparungen keinen großen Anklang an der Börse fand, dürfte sich inzwischen doch auch der geneigte Investor fragen, wo das weitere Sparpotenzial herkommen soll, ohne das operative Geschäft zu beeinträchtigen. Ganz abgesehen davon, dass Kostenprogramme im ersten Schritt zunächst einmal Geld kosten.Faktisch hat Bayer in der vorigen Woche den Offenbarungseid geleistet. Anstatt mit der Übernahme von Monsanto ein Bollwerk gegen feindliche Übernahmen zu errichten, hat sich Deutschlands einst wertvollster Dax-Konzern jedweden Handlungsspielraums beraubt. Akquisitionen oder Einlizenzierungen zur Stärkung der Pharmasparte, in der in den nächsten Jahren die Patente der Blockbuster Xarelto und Eylea auslaufen, sind nur noch möglich, wenn an anderer Stelle Vermögen versilbert wird.——Von Annette BeckerAnstatt mit der Monsanto-Akquisition ein Bollwerk gegen feindliche Übernahmen zu errichten, hat sich Bayer des Handlungsspielraums beraubt.——