Schanghai

Peking-Oper im Pjöngjang-Stil

China findet nach Nancy Pelosis Taiwan-Visite zu einem neuen Stil auf der Weltbühne. Je schriller, desto besser, lautet die vom kommunistischen Nachbar Nordkorea abgekupferte Devise.

Peking-Oper im Pjöngjang-Stil

Chinas Reaktion auf den Taiwan-Besuch der hochrangigen US-Politikerin Nancy Pelosi wird in heimischen Medien als hohe Kunst gefeiert. Es sei genau die richtige Mischung aus Indignation, Prinzipientreue, Antiamerikanismus und patriotischem Militärgesang, heißt es. Von nun an soll es also kein Miteinander mit, sondern nur noch ein Gegeneinander zu den USA geben. Ein brillantes, strategisches Kalkül, so diese Sichtweise, mit dem China beim künftigen Nicht-Dialog mit Washington die immer schon vorhandene, bislang aber durch übertriebene Höflichkeit kaschierte Überlegenheit ungeschminkter darlegt.

Was die Öffentlichkeit von der Pekinger Regierung und ihrem Diplomatencorps geboten bekommt, ist schon sehr schrill und hysterisch. Heftiger wurden die Handtaschen im Konfliktgebiet des Süd- und Ostchinesischen Meers noch nie geschwungen. Eine Großmacht, die sich immer etwas darauf eingebildet hat, abgeklärt, feinsinnig, und formvollendet aufzutreten, legt nun alle Hemmungen ab. Es gilt, in der neuen Rolle einer besonders wuchtigen Drama-Queen auf der Weltbühne bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Das russische Publikum ist von der chinesischen Darbietung äußerst angetan, Moskau spendet heftigen Beifall und Da-capo-Rufe. Von Nordkorea sind bislang keine Gratulationen überliefert. Wahrscheinlich, weil der dortige Machthaber gerade eine Schnute zieht. Hat der große Nachbar etwa das Drehbuch und die Show gestohlen?

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Schauen wir uns einmal genauer an, was die Pekinger Theatertruppe da gerade aufführt: Martialische Drohungen an die USA und die westliche Welt. Ein militärisches Aufgebot, das den demokratisch regierten und für eine Eroberung, pardon: Wiedervereinigung fälligen Nachbarn erzittern lassen soll. Dazu ein prächtiges Feuerwerk mit Raketenabschüssen, die demonstrativ in Japans hoheitlichen Randgewässern aufplatschen. Das ist effektvoll und signalstark mitsamt dem Vorteil, dass keine Raketen zurückkommen. Schließlich verfügt Japan über keine eigene Angriffsarmee und ist für Verteidigungszwecke weitgehend auf US-Militärpräsenz vor Ort angewiesen.

Das Militärgeprotze in der Taiwan-Meerstraße rund um die als abtrünnig angesehene Insel hat unter chinesischer Regie natürlich eine ganz andere Breitenwirkung als alle bislang von Nordkorea inszenierten Festspiele. Markenrechtlich gesehen aber untersteht das Spektakel eindeutig dem Copyright der Regierung in Pjöngjang, die sich in unregelmäßigen Abständen mit wilden Drohungen und Raketenplatschern in Erinnerung zu rufen weiß.

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In Nordkorea herrscht mit Kim Jong-un mittlerweile der Enkel des vielbesungenen Staatsgründers Kim Il-sung. Seine dynastische Legitimation hängt viel mit einem heiligen Berg an der Grenze zu China zusammen, dem Vulkan Paektusan (Weißkopf-Berg), dessen ebenfalls heiliger und tiefblauer Kratersee beiden Ländern erhabene Gefühle spendet. Der Legende nach hat Großvater Kim als kommunistischer Partisan von diesem Berg gegen die Besatzungsmacht Japan gekämpft, dort in geheimen Camps gelebt und Angriffe ausgeführt, die der Feindesarmee schwere Verluste zugefügt haben sollen. Das passt nicht wirklich mit dem zusammen, was auswärtige Biografie-Fact-Checker über ihn herausgefunden haben, aber sei’s drum.

Sohn Kim Jong-il und Vater des amtierenden Diktators hat der Legende nach mitten im bitterkalten Winter in einer einfachen Berghütte am Paektusan das Licht der Welt erblickt – und zwar in einer Nacht, in der ein besonders heller Stern zu sehen war. Kim Jong-il, der ein regelrechter Filmnarr und Fan von Hollywood-Streifen war, hat die von seinem Sohn weitergeführte Nordkorea-Diplomatie mit möglichst viel Geschrei und Raketenlärm begründet. Wie jeder Hollywood-Agent weiß, braucht es manchmal ein „Bad-Boy-Image“, um im Gespräch zu bleiben. Und wie jeder, der schon einmal einer Peking-Oper-Aufführung ge­lauscht hat, weiß, sind es die abartig schrillen Töne, die ihre Besonderheit ausmachen.

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