LEITARTIKEL

Perfekter Sturm

Siemens steckt inmitten eines perfekten Sturms. Der Sub-Auftrag für eine australische Kohlemine fliegt dem Konzern mit einer solchen Wucht um die Ohren, dass er ernsthafte Schäden davonträgt. Die offensichtliche Folge ist eine demolierte Reputation....

Perfekter Sturm

Siemens steckt inmitten eines perfekten Sturms. Der Sub-Auftrag für eine australische Kohlemine fliegt dem Konzern mit einer solchen Wucht um die Ohren, dass er ernsthafte Schäden davonträgt. Die offensichtliche Folge ist eine demolierte Reputation. Aber noch besorgniserregender sind Verwundungen, die tiefer reichen. Denn den Markenkern des Unternehmens bildet die Ingenieurskunst rund um das Thema Elektrizität. Mit der Diskussion über den Klimawandel wird dieses Know-how in den Augen eines Teils der Öffentlichkeit entwertet, schlimmer noch: zum Makel.Unwetter in der Natur sind gefährlich, doch sie vergehen. Dieser perfekte Sturm droht Siemens dagegen längere Zeit zu begleiten. Nicht nur das Thema Klimaschutz, sondern auch die Rolle von Siemens bleibt in der öffentlichen Diskussion: Das Weltwirtschaftsforum in Davos wird in den kommenden Tagen um die Konfrontation von Multis mit Aktivisten kreisen, wenig später bietet die Siemens-Hauptversammlung der Klimaschutzbewegung eine weitere Bühne.Wichtiger noch: Die Kraftwerkssparte soll im September per Abspaltung an die Börse gebracht werden. Das Geschäft von Siemens Energie dreht sich weniger um Windräder als um Gas- und Kohlekraftwerke. Angriffspunkte für Aktivisten gibt es hier im Dutzend. Der Wert des Kraftwerksriesen ist für den Kapitalmarkt kaum einzuschätzen, solange unklar bleibt, was Siemens sich in Zukunft noch zutraut. Wer beispielsweise nicht mehr Kohlekraftwerke baut, dem werden auch die Service-Aufträge für bestehende Einheiten entzogen – diese liefern aber einen Gutteil des Gewinns.Wie eigentlich konnte aus einem 18-Millionen-Auftrag in Australien, der in früheren Zeiten am Konzernsitz in München nicht einmal als Windhauch zu spüren gewesen wäre, ein perfekter Sturm werden? Die Antwort ist in der Klimaschutzbewegung auf der einen Seite und bei Siemens auf der anderen Seite zu finden.Die Klimaschutzbewegung mit Fridays for Future an der Spitze hat Meisterschaft erlangt auf zwei Feldern: Emotionalisierung und Organisation. Die Protagonisten sprechen Millionen aus dem Herzen, wenn sie sofort eine Klima-Kehrtwende verlangen. In dieser Aufwallung spielt keine Rolle, dass ein Konzern wie Siemens viel Geld in seine Klimaneutralität investiert und mit den Produkten ein umweltfreundlicheres Wirtschaften ermöglicht. Immer mehr Menschen lassen ihren Gefühlen freien Lauf, weil sie am eigenen Leib erfahren, dass das Wetter verrückt spielt. Wirtschaftsführer, die dies als typisch deutsche Angstmache einstufen, sind auf dem Holzweg. Von Sydney bis Los Angeles erhebt die Bevölkerung ihre Stimme. Firmen in manchen Regionen Asiens stufen den Klimawandel schon unter den Top-3-Risiken ein, hat die Allianz ermittelt.Emotion bleibt jedoch politisch wirkungslos, wenn sie nicht von Organisation gelenkt wird. Die Bewegung Fridays for Future hat mit allerlei Kommunikationsschachzügen bewiesen, weit mehr zu können, als Schülerstreiks zu steuern. Internetkanäle bedient sie so virtuos wie traditionelle Medien. Natürlich rennt Top-Aktivistin Luisa Neubauer derzeit mit ihren Interviews quer durch die Republik offene Türen ein. Zugleich ist ihre Kommunikationsberatung exzellent, das Ergebnis sind durchdachte Aktionen wie ansonsten von Greenpeace und Deutscher Umwelthilfe. Beispielsweise wurde Siemens-Chef Joe Kaeser mit seinem Aufsichtsratsangebot an Neubauer klassisch ausgekontert.Siemens hat den perfekten Sturm mitverursacht. Jeder Jurist weiß, dass der Konzern den Auftrag nicht stornieren durfte, schon aufgrund der Haftung – sie ist laut Vertrag unlimitiert, so dass die Mini-Order ein Milliardenrisiko entstehen lässt. Der Vorstand weckte aber mit dem Hinauszögern der Entscheidung und der Inszenierung einer Stakeholder-Befragung Erwartungen einer Absage in Australien. Die Kalkulation, Fridays for Future mittels Einbindung zu befrieden, erwies sich als falsch.Das eigentliche Problem ist allerdings: Die Machtfrage in der Chefetage ist ungeklärt. Erst im Sommer soll entschieden werden, ob Kaeser von seinem Vize Roland Busch beerbt wird oder bleiben darf. Wer hat wann was über den Kohle-Auftrag gewusst? Die Antwort auf diese Frage wird zum Kampfinstrument, die aufgeheizte Atmosphäre verhindert ein koordiniertes Handeln zum Wohle des Unternehmens.——Von Michael FlämigGegenwind für Siemens. Die Klimaschützer punkten mit Emotion und Organisation. Der Konzern leidet unter der ungeklärten Machtfrage.——