Im BlickfeldReformvorschläge

Demografie trifft Altersvorsorge mit voller Wucht

Stärkung der Altersvorsorge: Die Reform der zweiten und dritten Säule ist entscheidend. Frühstarterrente und EU-Initiativen könnten wichtige Schritte sein.

Demografie trifft Altersvorsorge mit voller Wucht

Altersvorsorge braucht die Kapitalmärkte

Bei der Reform der 2. und 3. Säule zeigt die Bundesregierung wenig Ambitionen. Die von der EU-Kommission vorgeschlagene Spar- und Investmentunion ist auf die Kapitalmärkte angewiesen.

Von Thomas List, Frankfurt
Von Thomas List, Frankfurt

Eine Stärkung der bisher zu schwach ausgeprägten zweiten und dritten Säule ist unumgänglich. Für mehr betriebliche und private Altersvorsorge über Versorgungswerke und Versicherungen sprechen nicht nur die Verkleinerung oder gar Schließung einer privaten Versorgungslücke, sondern auch die Entlastung staatlicher Haushalte (durch eine Stabilisierung oder gar Verringerung der Zuschüsse für die staatliche Rentenversicherung). Und nicht zuletzt geht es auch um die Mobilisierung weiteren Kapitals für Investitionen über die auf den Kapitalmärkten angelegten Beitragsgelder.

Keine Ambitionen

Die neue Regierung scheint keine Ambitionen zu haben, diese Pläne wieder hervorzuholen. Die CDU will eine „Frühstarterrente“ für Kinder unter 18 Jahren, die der Staat mit 10 Euro pro Monat und Kind bezuschusst. Wichtige Fragen sind allerdings offen: Soll eine Zuzahlung möglich sein? Falls ja, soll es eine (Ober-)Grenze geben? Sind weitere Zulagen möglich? Wie soll die steuerliche Behandlung aussehen?

Unklar ist bei der Frühstarterrente außerdem, wie es nach Erreichen der Volljährigkeit weitergehen soll. Laut Koalitionsvertrag ist dann ein Übergang in die Altersvorsorge geplant, ohne dass dies näher ausgeführt wird. Schließlich ist die praktische Umsetzung zweifelhaft. Im Entwurf des Bundeshaushalts scheinen nur etwa 90 Mill. Euro für dieses Vorhaben vorgesehen zu sein. Das würde allenfalls für einen Jahrgang reichen. Das ist viel zu wenig für eine nachhaltige Stärkung der Altersvorsorge.

„Die Idee ist richtig“

Aus Sicht des Deutschen Sparkassen- und Giroverbands DSGV ist die „Idee einer Frühstartrente richtig. Sie kann ein Baustein sein für den zwingend notwendigen Umbau der Alterssicherung, indem sie Kinder früh an den Kapitalmarkt heranführt und einen Beitrag zur Finanzbildung leistet“. Entscheidend ist für das Geschäftsführende DSGV-Vorstandsmitglied Karolin Schriever aber, „dass zusätzliche Einzahlungen möglich sind, um den Kapitalstock signifikant aufzubauen“.

Auch auf europäischer Ebene gab und gibt es Initiativen zur Stärkung der Altersvorsorge. Das 2019 beschlossene „pan-europäische Altersvorsorge-Produkt“ (PEPP) ist aufgrund seiner Komplexität allerdings bisher ein Rohrkrepierer und wird bisher weder in Deutschland noch in anderen europäischen Ländern in nennenswerter Zahl angeboten. Die europäische Aufsichtsbehörde EIOPA und die EU-Kommission haben deshalb im September 2024 Vorschläge für eine Überarbeitung von PEPP gemacht.

Die Kostenobergrenze soll flexibilisiert, der Zwang zum Angebot in weiteren Staaten abgeschafft, die Übertragung von anderen Altersvorsorgeprodukten auf PEPP ermöglicht und PEPP steuerlich gefördert werden. Außerdem soll es nicht nur als privates, sondern auch als betriebliches Altersvorsorgeprodukt zugelassen werden. Schließlich plädiert die Aufsicht für ein Auto-Enrolment, also die automatische Teilnahme der EU-Bürger an einem PEPP, sobald sie 18 sind oder zu arbeiten beginnen.

Die EU-Kommission hat diese Vorschläge übernommen und erweitert. Dabei geht es um Änderungen bei zu strikten Risikominderungsstrategien sowie zu umfangreiche Garantien und Transparenzvorschriften. Sie würden das Produkt inflexibel und teuer machen.

Nur ein kleiner Teil

PEPP ist allerdings nur ein kleiner Teil eines breiten Straußes von Vorschlägen auf europäischer Ebene zur Stärkung der zweiten und dritten Säule der Altersvorsorge. Die EU-Kommission macht ein ganz großes Fass auf mit der „Spar- und Investmentunion“, in der die (private) Altersvorsorge eine zentrale Rolle spielen soll.

Angesetzt wird bereits bei der Information über die schon vorhandene Altersvorsorge. So soll jeder EU-Bürger über ein Renten-Tracking-System Zugang zu einem einfachen und transparenten Renten-Dashboard erhalten. Daraus soll jeder entnehmen können, welche Vermögensbausteine bereits vorhanden sind und wie hoch die Rente sein wird und ab wann. Ansätze sind bereits in einigen Ländern vorhanden. Einen verpflichtenden und vollständigen Überblick über alle drei Säulen, der auch laufend auf dem neuesten Stand gehalten wird, gibt es bisher aber nicht. In Deutschland befindet sich die digitale Rentenübersicht im Aufbau.

Die deutsche Finanzwirtschaft steht der Initiative der EU-Kommission positiv gegenüber. Die Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) begrüßen das Projekt der Spar- und Investitionsunion, weil in der Altersvorsorge die Chancen internationaler und insbesondere europäischer Kapitalmärkte genutzt werden sollten. „Ein EU Savings Account kann dabei eine wichtige Rolle spielen und sollte von der Bundesregierung in einem nationalen Altersvorsorgedepot umgesetzt werden“, sagte BVR-Sprecherin Cornelia Schulz der Börsen-Zeitung.

Sie ging auch auf das Label „Finance Europe“ ein, das sieben EU-Mitgliedsstaaten im Juni 2025 vorgestellt hatten. Danach sollen mit diesem Siegel ausgestattete Spar- und Altersvorsorgeprodukte zumindest 70% des investierten Kapitals langfristig in europäische Vermögenswerte anlegen. Zulässig sein sollen Aktien, Europäische Langfristige Investmentfonds (Eltif), Anleihen und Investmentfonds. Aus Sicht des BVR kann das EU-Label Vertrauen schaffen und den Finanzstandort Europa stärken. Einschränkend heißt es aber: „Es darf unseres Erachtens jedoch nicht mit der Altersvorsorge verbunden werden, weil es das weltweite Anlagespektrum für die Anlegerinnen und Anleger unnötig beschränken würde.“

Für Thomas Richter, Hauptgeschäftsführer des deutschen Fondsverbands BVI, ist klar: „Wer könnte an dem Ziel, mehr Menschen an die Kapitalmärkte zu bringen und die europäische Wirtschaft zu finanzieren, etwas aussetzen? Allerdings kann sich das Siegel nicht an unerfahrene Sparer richten, weil es unter anderem Anlagen mit geringer Liquidität ermöglicht.“ Ebenso wie der BVR hält er das Siegel in der Altersvorsorge für ungeeignet, „denn das engere Anlageuniversum führt langfristig zu geringeren Renditechancen“. Zudem sei fraglich, ob die EU-Länder es schafften, die notwendigen steuerlichen Anreize zu gewähren. Im Vorschlag der sieben Länder heißt es nur, die beteiligten Mitgliedsstaaten seien frei in der steuerlichen Behandlung der gelabelten Produkte.

Für Richter hat aber die Reform der privaten Altersvorsorge in Deutschland Priorität. „Neue Label-Produkte auf EU-Ebene können allenfalls eine ergänzende Rolle spielen.“

Eine andere Haltung

Es überrascht nicht, dass die Versicherungswirtschaft die Rolle des Labels „Finance Europe“ als Teil der Spar- und Investitionsunion etwas anders sieht. Durch die Investition in europäische Spar- und Anlageprodukte könne „privates Kapital mobilisiert werden, um die Wettbewerbsfähigkeit und die Altersvorsorge zu stärken“, sagte Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands GDV der Börsen-Zeitung.

Vorschläge hat die EU-Kommission auch für die betriebliche Altersvorsorge. Zur Verbesserung der Rendite – die Kommission moniert, diese falle für die Leistungsempfänger mit 0,9% in den vergangenen zehn Jahren zu niedrig aus – könnten in der Kapitalanlage auch nicht-börsennotierte Wertpapiere und alternative Anlageklassen zugelassen werden. Dafür sollten die Vorgaben für das Risikomanagement verschärft und die Eingriffsmöglichkeiten der Aufsicht erweitert werden. Die Kommission kritisiert außerdem die zu geringe Größe der Altersvorsorgeeinrichtungen, die die Risikodiversifikation und das langfristige Investieren erschwerten, ohne allerdings Vorschläge zu machen, wie dies geändert werden könnte.

Vorschläge im Schlussquartal

Die EU-Kommission hat im Juni 2025 zu dieser Thematik zu Stellungnahmen aufgerufen. Die Frist für Rückmeldungen ist am 21. Juli abgelaufen. Im Laufe des vierten Quartals 2025 will die EU-Kommission ihre Empfehlungen veröffentlichen. Angesichts der bisher überschaubaren Erfolgsbilanz der EU ist fraglich, ob über diesen Weg die Altersvorsorge schnell und nachhaltig gestärkt werden kann. Nationale Initiativen sind damit unverzichtbar. Dass die neue Bundesregierung in der Altersvorsorge bisher so wenig Ehrgeiz entwickelt hat, enttäuscht und ist angesichts der demografischen Entwicklung nicht hinnehmbar.