LEITARTIKEL

RWE im Abwicklungsmodus

Wer in diesen Zeiten freiwillig RWE-Aktionär wird, muss den Nervenkitzel lieben. Die Energiewende hat den Essener Konzern so gründlich durcheinandergewirbelt, dass dem neuen Vorstandschef Rolf Martin Schmitz, der bisher der Vize war, kaum Zeit...

RWE im Abwicklungsmodus

Wer in diesen Zeiten freiwillig RWE-Aktionär wird, muss den Nervenkitzel lieben. Die Energiewende hat den Essener Konzern so gründlich durcheinandergewirbelt, dass dem neuen Vorstandschef Rolf Martin Schmitz, der bisher der Vize war, kaum Zeit blieb, eine neue Strategie zu entwickeln. In wenigen Tagen könnte es aber so weit sein. Die neue Konzernstrategie wird voraussichtlich mit der Bilanz vorgelegt. Dann lässt sich erahnen, ob aus RWE wieder ein Unternehmen mit Zukunft werden kann – oder ob es nur noch um eine kontrollierte Abwicklung geht.Ob der Konzern eine Zukunft hat, hängt nicht nur von der Strategie ab. Fallende Strompreise verringern die Ertragskraft. Zeitweise galt sogar die Insolvenz als nicht gänzlich ausgeschlossen. Die Lage hat sich inzwischen gebessert. Die Verschuldung hat sich vom Höchststand (30 Mrd. Euro) deutlich verringert – auf zuletzt 23 Mrd. Euro. Für eine Entwarnung ist es zu früh: Im Verhältnis zur Ertragskraft hat sich die Last seit 2015 sogar noch erhöht. Die Schulden sind mehr als viermal so hoch wie der operative Gewinn. Unter anderem deshalb wird RWE für 2016 zum zweiten Mal hintereinander keine Dividende zahlen. Die Aktionäre, darunter die finanziell schwachen Ruhrgebietsstädte mit ihrem Anteil von 23 %, gehen erneut leer aus – zum ersten Mal seit mehr als einem halben Jahrhundert. Die Stadt Bochum hat daraus Konsequenzen gezogen und verabschiedet sich von RWE. Andere Kommunen werden folgen, sofern sie sich die Abschreibung auf den Buchwert leisten können. Daran dürfte auch die für 2017 versprochene Ausschüttung von 300 Mill. Euro nicht viel ändern.Das Urteil der Investoren über die Zukunftsaussichten fällt hart aus: Der seit 2014 halbierte Börsenwert von RWE ist mit weniger als 8 Mrd. Euro gerade einmal rund halb so hoch wie der Wert der 77 %-Beteiligung an der seit Oktober börsennotierten Stromnetz-Tochter Innogy. Schuld daran sind die seit der Energiewende als nicht mehr zukunftsträchtig geltenden Atom- und Kohlekraftwerke. Der bei RWE nach der Abtrennung von Innogy verbliebene Kraftwerkspark wird als eine einzige abzuwickelnde Altlast betrachtet – mit einem “Wert” von minus 6 Mrd. Euro. Verwunderlich ist das nicht: Allein im vergangenen Jahr hat RWE den Buchwert der Kraftwerke in zwei Schritten um mehr als 7 Mrd. Euro nach unten berichtigt. Beim zweiten Schritt wurde die erwartete Strompreisentwicklung ab 2019 als Begründung genannt. Es scheint also kein Licht am Ende des Tunnels zu geben.Die Dividendenzurückhaltung des Konzerns hat die Ratingagenturen nur vorerst besänftigt. Ihr Urteil über die Bonität ist wichtig für RWE. Das Unternehmen erzielt ein Viertel des Gewinns in der Handelssparte – und die benötigt ein Investment-Grade-Rating, damit sie als Geschäftspartner an den Strom- und Rohstoffbörsen akzeptiert wird. Insofern ist der Verschuldungsgrad ein Balanceakt: Moody’s stuft RWE nur knapp oberhalb von “Ramsch” ein.Es gibt aber auch Lichtblicke: Der überraschend erfolgreiche Börsengang der Stromnetztochter Innogy, die Investoren in Zeiten des Nullzinses mit einer verlässlichen Dividendenrendite anlockte, hat RWE im Oktober 2,6 Mrd. Euro eingespielt. Das ermöglicht es dem Konzern, den Betrag von 6,8 Mrd. Euro für die Endlagerung des Atommülls zur Jahresmitte auf einen Schlag an die öffentlich-rechtliche Stiftung zu überweisen. Diese übernimmt im Gegenzug künftig auch die Haftung für etwaige unvorhergesehene Kostensteigerungen der Entsorgung.Das vermindert die politischen Risiken für die Aktionäre von RWE. Vollständig beseitigt sind sie damit aber keinesfalls: Rund ein Viertel der Erzeugungskapazität entfällt auf Braunkohle, die angesichts der Klimaschutzziele der Bundesregierung nur ein Auslaufmodell sein kann und nach der Bundestagswahl das nächste Ausstiegsprojekt werden wird. Neue Geschäftsfelder kann sich RWE kaum erschließen: Ein Vertrag mit Innogy schließt aus, dass der Mutterkonzern seiner Tochter im Geschäft mit Netzen und Erneuerbaren Energien Konkurrenz macht. So bleibt RWE dem Risiko fallender Strompreise ausgeliefert. Hoffnung machen kann sich das Unternehmen auf einen so genannten Kapazitätsmarkt – wie er in England bereits existiert -, der die Bereithaltung von konventionellen Reservekraftwerken zum Ausgleich der schwankenden Ökostromeinspeisung staatlich entlohnt. Ein Geschäftsfeld mit besonders hohen Wachstumsaussichten ist auch das nicht. Ginge es bei RWE künftig um mehr als nur eine kontrollierte Abwicklung, wäre das eine faustdicke Überraschung.——–Von Christoph RuhkampRWE ringt mit Milliardenkosten für den Exit aus Atomkraft und Braunkohle. Aus dem Abwicklungsmodus in die Offensive zu kommen, scheint fast unmöglich.——-