LeitartikelSalzgitter AG

Stahlproduzent benötigt strategische Remedur

Der Stahlproduzent Salzgitter benötigt eine neue Roadmap. Niedersachsen sollte sich schnell bewegen.

Stahlproduzent benötigt strategische Remedur

Salzgitter AG

Multi-Metal statt nur Stahl

Der Stahlproduzent Salzgitter benötigt eine neue Roadmap. Niedersachsen sollte sich schnell bewegen.

Von Carsten Steevens

Die deutsche Stahlindustrie befindet sich im perfekten Sturm. Die protektionistische Handelspolitik der US-Regierung, verbunden mit einer Verdopplung der Stahl-Importzölle auf 50%, lenkt den globalen Stahlfluss um. Überschüssiger Stahl aus Drittstaaten strebt vermehrt nach Europa, was den Wettbewerb verzerrt und auf die Margen hiesiger Produzenten drückt.

Überkapazitäten aus dem internationalen Wettbewerb, eine schwache Nachfrage wichtiger Abnehmer aus der Auto-, Bau- und Maschinenbaubranche sowie hohe Energiepreise alarmieren den Sektor. Die gefährliche Gemengelage für die Stahlproduzenten stellt ihre Dekarbonisierungsstrategien, die mit enormen Investitionen verbunden sind, zunehmend in Frage. Annahmen vor Beginn des Ukraine-Kriegs 2022 gelten nicht mehr.

Ruf nach Stiftungslösung

Befürchtet wird, dass Kursänderungen einzelner Unternehmen staatliche Förderhilfen in Milliardenhöhe für den Umbau in Richtung klimafreundliche Stahlproduktion gefährden könnten – und damit zahlreiche Arbeitsplätze im Sektor. Bei der IG Metall läuft man Sturm. Gerufen wird nach einer Stiftungslösung für die Stahlkocher, die eine Verstaatlichung durch die Hintertür bedeuten würde. Vor diesem Hintergrund wächst der Druck auf staatliche Akteure, die wie Bundeskanzler Friedrich Merz eine eigene Stahlindustrie erhalten und die Abhängigkeit Deutschlands von Stahlimporten verhindern wollen.

Beim zweitgrößten Stahlhersteller Salzgitter steht Niedersachsen als Großaktionär in besonderer Verantwortung. Das Land, das angibt, dass sich jede Landesregierung unabhängig von der Parteipolitik zur Eigenständigkeit des Unternehmens seit dem Börsengang 1998 bekannt habe, sollte jetzt intensiv auf die Perspektiven ihrer Beteiligung achten. Nach der Gewinnwarnung von Salzgitter vor zwei Wochen droht ein weiteres Verlustjahr. Hinzu kommen steigende Verschuldung sowie eine zunehmende Abhängigkeit von kritischen externen Faktoren. Es ist zweifelhaft, ob die Ergebnisqualität für die Finanzierung von Investitionen in das bis 2033 angelegte Großprojekt zur Dekarbonisierung der Stahlproduktion ausreichen wird.

Tafelsilber verkaufen?

Neben Kurskorrekturen und mehr Technologieoffenheit beim Umbau der Stahlherstellung könnte Tafelsilber veräußert werden. Ein möglicher Verkauf der Tochtergesellschaft KHS etwa würde kurzfristig Bilanzpositionen verbessern. Zugleich fiele mit dem Hersteller von Abfüll- und Verpackungstechnik aber ein wichtiger Ergebnisbringer weg. Die Abhängigkeit vom zyklischen Stahlgeschäft würde größer, ebenso bei einem Verkauf der 30-%-Beteiligung am Kupferproduzenten Aurubis. Erwartungen, verstärkte Aufrüstungsanstrengungen in Europa könnten wesentliche Impulse zur Stabilisierung der Stahlindustrie liefern, erscheinen in diesem Zusammenhang deutlich überzogen.

Niedersachsens Landesregierung sollte sich mit dem größten Salzgitter-Aktionär Günter Papenburg dringend und ehrlich die Karten legen. Der Familienunternehmer aus Hannover blitzte in Gesprächen über eine mögliche Übernahmeofferte zusammen mit dem größten deutschen Schrotthändler Rethmann beim Salzgitter-Vorstand im April wegen unterschiedlicher Ansichten in Bewertungsfragen ab. Welche besseren Optionen bestehen? Unklar. Einen langen Schwebezustand mit fehlender Roadmap, einem Vorstandsvorsitzenden, dessen Ablösung der größte Aktionär fordert, und einer miserablen Stimmung in der Belegschaft kann sich das Unternehmen aber nicht leisten.

Aufsichtsratschef geht

Die Nachfolgesuche für den Anfang Oktober ausscheidenden Aufsichtsratsvorsitzenden Heinz-Gerhard Wente sollte genutzt werden, um wesentliche Fragen für die Zukunft der Salzgitter AG zu klären. Ein Zusammenschluss mit Aurubis und die Bildung eines Multi-Metal-Konzerns, an dem auch Niedersachsen beteiligt sein könnte, würde Kapitalmaßnahmen erleichtern und auf Mega-Trends wie Versorgungssicherheit und Kreislaufwirtschaft einzahlen. Zudem wäre das eine privat- und marktwirtschaftliche Lösung.