Hindernisparcours Sanierung
Als SAP-Chef Christian Klein im vergangenen Jahr den Abbau von 10.000 Stellen und zugleich den Aufbau von KI-Funktionen angekündet hat, fiel sein Blick auch das eine oder andere Mal neidvoll auf den US-Wettbewerb. Dort hat gerade die schnelllebige Softwarebranche immer wieder mit Entlassungswellen von sich reden gemacht und zugleich ungehemmt das Scheckheft gezückt, um sich mit neuen Qualifikationen zu verstärken. Was in den USA ebenso schnell wie geräuscharm vor sich geht, ist hierzulande ein Kraftakt - den SAP zwar ohne Weiteres bewältigt, der aber kriselnde Unternehmen in existenzielle Bedrängnis bringen kann.
Während die US-Gesetzgebung den Unternehmen im Prinzip Kündigungen ohne jede Begründung erlaubt, und auch jegliche Sozialauswahl oder Abfindungen allenfalls auf freiwilliger Basis in Betracht kommen, ist ein Stellenabbau für deutsche Konzerne im buchstäblichen Sinne ein Hindernisparcours. Er unterliegt der Mitbestimmung des Betriebsrats, ein Sozialplan ist verpflichtend, Alternativangebote oder finanzielle Abfindungen sind in der Regel unumgänglich, Sozialverträglichkeit praktisch eine politische Vorgabe.
Bewährter Konsens
Das mag für eine Marktwirtschaft, bei der die soziale Komponente gesellschaftlicher Konsens ist und deren Ausgestaltung sich über Jahrzehnte durchaus bewährt hat, der richtige Ansatz sein. Viele Unternehmen wie etwa in der Autoindustrie haben lange glänzend verdient und dank üppiger Cashflows auch dicke Liquiditätspolster aufgebaut. Da besteht kein Anlass, ihnen zu erlauben, Mitarbeiter, die aufgrund von Absatzrückgängen oder einer fehlenden Qualifikation für das Unternehmen nicht mehr haltbar sind, ohne Umwege vor die Tür zu setzen und gegebenenfalls die Versorgung der Solidargemeinschaft aufzubürden. Ein finanzieller Ausgleich für den Arbeitsplatzverlust, der auch Firmenzugehörigkeit und persönliche Sozialkriterien berücksichtigt, ist hier geboten.
Anders ist die Lage zweifellos bei einem Unternehmen wie Thyssenkrupp, dessen kriselnde Stahlsparte über Jahre Milliardenverluste aufgetürmt hat, die geeignet waren, die Existenz des Konzerns zu gefährden. Während die Transformation zu einem führenden Hersteller von grünem Stahl ebenso teuer wie langwierig ist, belasten die preisaggressive Konkurrenz aus China und eine rückläufige Nachfrage aus der Autoindustrie das traditionelle Geschäft. Anpassungen sind hier unausweichlich. Angesichts von 11.000 Stellen, die wegfallen sollen, ist ein Sozialplan erforderlich. Problematisch ist aber das kräfteraubende Langzeitgefecht, bis er steht. Und die Zahl der wiederholt gescheiterten Sanierungsanläufe für die Stahlsparte wirft ebenfalls ein schlechtes Licht auf die in Deutschland viel gerühmte Sozialpartnerschaft. Eine Ausgliederung ist von der Arbeitnehmerseite aus Sorge um Veränderungen des Status Quo für die Beschäftigten immer wieder torpediert wurden.
Kein Ruhmesblatt
Kein Ruhmesblatt der Sozialpartnerschaft ist häufig auch die sogenannte Auffanggesellschaft, die nun ebenfalls bei Thyssenkrupp in Rede steht. Unternehmen sollen sie einrichten, um einen gleitenden sozialverträglichen Übergang der von Stellenabbau betroffenen Mitarbeiter in eine neue Beschäftigung zu ermöglichen. Die vermeintlich gute Lösung nimmt mitunter aber groteske Züge an, etwa bei der Deutschen Telekom, die in ihrer zu diesem Zweck gegründeten Tochter Vivento zeitweise Tausende Mitarbeiter bei voller Bezahlung, aber ohne jedwede Beschäftigung geparkt hatte. Ähnlich bizarr mutet der Fall der ehemaligen Siemens-Sparte Communications an. Der Konzern ließ sich zu Verzweiflungstransaktionen wie dem „Verkauf“ der Handy-Sparte an den chinesischen Anbieter BenQ hinreißen. Der schickte die übernommene Einheit schon nach einem Jahr in die Insolvenz, nachdem die üppige Mitgift verbraucht war. Eine auch unter sozialen Gesichtspunkten verträgliche Abwicklung im Konzern war Siemens zuvor nicht gelungen. Das Beispiel zeigt: Wenn der Hindernisparcours zu einer Sanierung unüberwindbar daherkommt, führt das nicht zu der sozialpartnerschaftlich erwünschten Stabilität, sondern Abwicklung von Firmen. Und damit letztlich zu einer Schwächung des Standorts.
Standortnachteil
Hindernisparcours Sanierung
Das Gebot der Sozial-
verträglichkeit bei
Neuausrichtung und Personalabbau hat für Unternehmen lähmende Ausmaße angenommen.