SAP ist kreditwürdiger als Frankreich
SAP ist kreditwürdiger als Frankreich
Ratingagenturen trauen vielen Konzernen mehr zu als Staaten. Eine zunehmende Anzahl großer Unternehmen wie SAP und Deutsche Bank erhält von Standard & Poor’s und Moody’s eine bessere Bonitätsnote als mächtige Länder wie Frankreich. Angesichts dessen könnten Firmen laxer beim Verschuldungsgrad werden – sie tun es aber nicht.
Von Christoph Ruhkamp, Frankfurt
Am europäischen Markt für Unternehmensanleihen tut sich etwas, das je nach Perspektive Besorgnis oder Erleichterung auslösen kann: Immer mehr Unternehmen erhalten von den Ratingagenturen eine bessere Bonitätsnote als große Staaten wie Frankreich, Finnland, Österreich, Belgien, Irland, Slowenien oder Spanien. Dabei verfügen solche Länder doch eigentlich über mächtige Steuerbehörden sowie Polizei und Militär, um im Zweifel so viel Steuern einzutreiben, dass sie damit Zins und Tilgung bedienen könnten.
„Der Abstand der Bonität von Emittenten erstrangiger Industrieanleihen zu sicheren Staatsanleihen ist seit 2008 von sechs Notches auf zwei Notches zurückgegangen. Dabei sind die Staaten heruntergekommen“, sagt Christian Kopf, Head of Fixed Income bei Union Investment. „Nach der Eurokrise gab es praktisch keine Erholung der Bonitätsnoten der Euro-Staaten.“ Für Industrieanleihen liegen die Ratings nun bei A3 bzw. A- und für Staatsanleihen der Eurozone bei A1 bzw. A+.
Total besser als Frankreich
Die Bonität von Frankreich, der zweitgrößten Volkswirtschaft der Eurozone, wird von mehreren Ratingagenturen bewertet. Standard & Poor’s (S&P) hat das Rating des Landes zuletzt bei „AA-“ belassen. Fitch hat ebenfalls ein „AA-“ Rating abgegeben, aber mit negativem Ausblick. Moody’s hat das Rating von Frankreich auf „Aa3“ herabgestuft, zuvor war es „Aa2“.
Derweil haben etliche Unternehmen, die Euro-Anleihen begeben, bessere Bonitätsnoten als Frankreich. Das gilt für TotalEnergies, Astrazeneca, Unilever, Richemont, SAP, Banque de Luxembourg, Allianz Finance, Deutsche Bank, Euroclear, Macquarie, L’Oréal, Roche, Svenska Handelsbanken, Züricher Kantonalbank und Abbott Laboratories.
Zusätzliche Aufmerksamkeit erhielt das Thema auch, als jüngst Moody’s das Rating der USA herabstufte. Die Ratingagentur Fitch hatte die Bewertung der USA ihrerseits bereits 2023 um eine Stufe von „AAA“ auf „AA+“ gesenkt. S&P war den Schritt sogar schon 2011 gegangen.
Microsoft besser als USA
Inzwischen haben Microsoft und Johnson & Johnson ein besseres Rating als die größte Volkswirtschaft der Welt. Allzu verwunderlich ist das nicht. Schließlich werden die USA aller Voraussicht nach in den kommenden zehn Jahren 2,4 Bill. Dollar zusätzliche Schulden aufnehmen – bei einer Gesamtverschuldung, die schon jetzt bei 36 Bill. Dollar liegt. Die Zinsen fressen rund 20% der Steuereinnahmen auf.
Microsoft dagegen verfügt – ebenso wie Deutschland – über die höchste Bonitätsbewertung bei Moody’s und S&P. Die langfristigen Anleihen des Konzerns haben ein Gesamtvolumen von 45 Mrd. Dollar. Für das Jahr 2025 rechnen Analysten damit, dass Microsoft fast 48 Mrd. Dollar an Barmitteln erwirtschaften wird. Der Gewinn ist laut Analysten des Assetmanagers Doubleline Capital rund 50 mal so hoch wie die Zinsaufwendungen.
Kontrolle der Währung entscheidend
In Europa sieht das Bild ähnlich aus – allerdings mit anderen Nuancen. Für die Tatsache, dass die Ratingagenturen einem Dutzend europäischer Konzerne eine bessere Fähigkeit zur Zahlung von Zins und Tilgung ihrer Schulden zutrauen als dem Staat Frankreich, gibt es laut dem Rentenfondsmanager Kopf vor allem zwei Erklärungen: „Da ist zum einen die Höhe der Staatsverschuldung im Verhältnis zur Wirtschaftskraft. Zum anderen hängt es von der Kontrolle über die eigene Währung ab“, sagt Kopf.
Länder wie Schweden oder Großbritannien können ihre Zentralbank im Notfall beeinflussen, die eigenen Staatsanleihen zu kaufen. Dies kann zwar zu Inflation und Währungsabwertung führen, andererseits haben die Staatsanleihen dieser Länder deshalb laut Kopf praktisch kein Bonitätsrisiko. Die Länder der Eurozone dagegen haben die Kontrolle über die eigene Währung an die EZB abgegeben und unter anderem deshalb schlechtere Ratings.
Ausnahmestellung für Deutschland
Eine Ausnahme ist Deutschland. Das Rating für die Bundesrepublik wurde von S&P, Moody’s und Fitch bisher nicht herabgestuft. Hier gibt es bisher keine nennenswerten Zweifel an der Bonität und deshalb auch keine Unternehmen, die ein besseres Rating als Deutschland hätten. „Das Infrastrukturpaket hat die Sicht der Investoren zusätzlich positiv beeinflusst. Nur der wachsende Milliardenzuschuss aus dem Steuertopf an die Rentenkasse ist zu einem Makel an der Bonität geworden“, fasst Kopf zusammen.
In Zukunft erwartet er, dass noch mehr Unternehmen ein besseres Rating als Staaten der Eurozone haben werden. „Die Nachsteuergewinne der Unternehmen sind sehr gut“, sagt Kopf. „Und die Unternehmen könnten angesichts ihrer guten Bonitätsnoten laxer beim Verschuldungsgrad werden. Aber sie tun es nicht.“
Boehringer schwimmt im Geld
In Deutschland zum Beispiel schwimmt der Pharmakonzern Boehringer Ingelheim förmlich im Geld. Ohne Probleme könnte das Unternehmen mit mehr Schulden agieren. Wenn Boehringer Ingelheim Anleihen begeben würde, hätten sie voraussichtlich niedrigere Zinskupons als die Bundesrepublik Deutschland.
Union Investment rät Investoren zu Unternehmensanleihen, weil die Staatsverschuldung steigt. Weil das Umlaufvolumen der Staatsanleihen wächst, drückt das gewachsene Angebot auf die Kurse. Im Kontrast dazu gibt es weniger Angebot an Hochzinsanleihen, das auf die Nachfrage trifft. „Seit 2022 haben deshalb Unternehmensanleihen besser abgeschnitten als Staatsanleihen“, sagt Kopf.
Aufgrund der Wende in der US-Politik sei der Status des Dollar als Reservewährung angekratzt. „Dagegen stellt Europa mit höheren öffentlichen Investitionen die Weichen für mehr Wachstum und kann sich den damit verbundenen Anstieg der Staatsverschuldung auch gut leisten“, glaubt Kopf. „Die Aussichten für die europäischen Rentenmärkte bleiben daher gut.“ Für einen Euro-Anleger sei es weiterhin attraktiv, auf Anleihen aus dem Euroraum zu setzen, vor allem auf Unternehmenspapiere guter Bonität (Investment Grade) im mittleren Laufzeitenbereich.