KommentarStahlzölle

Schlussendlich vertretbar

Vieles spricht eigentlich gegen den Vorschlag der EU-Kommission zum Schutz der heimischen Stahlbranche. Aber angesichts wachsender Überkapazitäten hat die EU-Behörde ein gewichtiges Argument auf ihrer Seite.

Schlussendlich vertretbar

Stahlzölle

Schlussendlich vertretbar

Von Detlef Fechtner

Es gibt eine lange Liste von Argumenten, warum die Europäische Union eigentlich nicht den Vorschlägen der EU-Kommission folgen sollte, mit der sie die heimische Stahlindustrie vor billigen Importen schützen möchte. Da ist vor allem der richtige Hinweis, den die EU-Kommission selbst zuletzt oft betont hat – nämlich dass Zölle allen beteiligten Wirtschaftsakteuren schaden, Exporteuren ebenso wie Konsumenten. Zweitens spricht gegen den neuen EU-Protektionismus in der Stahlwirtschaft, dass sich dadurch die Produktion derjenigen verteuert, die auf Stahl angewiesen sind, wie die heimischen Autobauer. Drittens steht zu befürchten, dass Europa, wenn es sich durch Abwehrmaßnahmen gegen Wettbewerb schützt, die Ambition verliert, die Defizite bei der eigenen Wettbewerbsfähigkeit zu korrigieren, etwa das Problem hoher Energiepreise anzugehen. Und viertens haftet den vorgeschlagenen Maßnahmen der Verdacht an, dass die EU nun sogar zollpolitische Pfade einschlägt, auf denen sie sich von ihrem Selbstverständnis als offener, verlässlicher Partner entfernt – nachdem bereits die Pläne für den Umgang mit eingefrorenen russischen Vermögen ebenso Fragen aufwerfen wie nicht wirklich ernst gemeinte Ankündigungen über 750 Mrd. Dollar schwere Einkäufe von LNG-Gas in den USA. Schließlich dürften Schweizer und Briten, für die die Begrenzung der Kontingente und die Anhebung der Zölle ebenfalls gelten, alles andere als amüsiert sein – dabei will die EU doch gerade mit gleichgesinnten Partnern wie ihnen den Handel intensivieren, um sich aus den Abhängigkeiten von den USA und China zu befreien.

Kurzum: Vieles spricht zwar gegen den Brüsseler Vorschlag. Aber die EU-Kommission hat ein entscheidendes Argument auf ihrer Seite. Die Überkapazitäten weltweit wachsen ebenso stetig wie kräftig. Und einzig die Europäer haben bislang ihre Kapazitäten gedrosselt. Das führt zwangsläufig zu Schwemme, Verdrängung und unfairen Marktpraktiken. Wenn es die EU ernst meint mit dem Ziel, resilienter zu werden, muss sie sich dieser Entwicklung entgegenstellen. Sie tut es mit einer recht intelligenten Mischung aus Kontingenten und Zöllen. Einerseits um die weiterverarbeitende Industrie durch das Freikontingent nicht übermäßig zu belasten. Andererseits um Anreize für andere Volkswirtschaften zu setzen, sich daran zu beteiligen, das Wachstum der Überkapazitäten zu bremsen. Denn wer dabei mitmacht, darf auf höhere Kontingente hoffen. Unterm Strich ist der Vorschlag der EU-Kommission daher handelspolitisch vertretbar.

Überkapazitäten weltweit wachsen kräftig.
Und einzig die Europäer drosseln Kapazitäten.