Schweinefleisch-Riese WH gönnt sich Nürnberger Rostbratwürste
Schweinefleisch-Riese WH gönnt sich Nürnberger Rostbratwürste
Im Blickfeld
Schweinefleisch-Riese WH gönnt sich
Nürnberger Rostbratwürste
Nach zahlreichen Übernahmen dominiert die Unternehmerfamilie Tönnies die Fleisch- und Wurstproduktion in Deutschland. Nun hat die chinesische WH Group, der größte Schweinefleischproduzent der Welt, einen Fuß in die Tür zum deutschen Markt bekommen: Sie hat einen der größeren Tönnies-Rivalen, die bayerische Traditionsfirma Wolf („Original Nürnberger Rostbratwürste“), geschluckt.
Von Martin Dunzendorfer, Frankfurt
Dass chinesische Unternehmen den Eintritt in den deutschen Markt oder den Ausbau ihrer Position hierzulande durch Übernahmen meistern – oft von führenden Spielern – ist nichts Neues. Dennoch kommen solche Transaktionen häufig überraschend. So sind trotz vorheriger Gerüchte die meisten Marktakteure im Juli von der Mitteilung über den Kauf von Ceconomy, der Muttergesellschaft der Elektronikhandelsketten MediaMarkt und Saturn, durch den chinesischen E-Commerce-Riesen JD.com überrumpelt worden.
Nun passierte Ähnliches – nur mit weit weniger öffentlicher Aufmerksamkeit – in der deutschen Wurstbranche: Die chinesische WH Group, der größte Schweinefleischproduzent und -verarbeiter weltweit, teilte Mitte Oktober mit, man werde über die britische Tochter Morliny Foods Holding die Traditionsfirma Wolf übernehmen. Die in Bayern ansässige Gruppe gilt als einer der größten Wursthersteller Deutschlands, nachdem es in den vergangenen Jahren unter den Wettbewerbern – auch innerhalb der Top-20 – zu mehreren M&A-Deals gekommen und Wolf so immer weiter aufgerückt war.
Wer ist die WH Group?
Die WH Group ist der größte Schweinefleischproduzent und -verarbeiter weltweit. Das Unternehmen deckt die gesamte Wertschöpfungskette von der Schweineaufzucht über die Schlachtung und Verarbeitung bis hin zum Vertrieb von frischem und verpacktem Fleisch ab. Die Gruppe hat eine dominierende Stellung auf dem Heimatmarkt sowie in den USA, ist aber auch in Europa sehr präsent. Bekannte Töchter sind in Asien die Henan Shuanghui Investment & Development Co. und in den USA Smithfield Foods. Auf dem europäischen Markt agiert die WH Group neben Smithfield vor allem über die britische Tochter Morliny Foods Holding. Während die operative Hauptverwaltung in Luohe (China) ist, befindet sich der rechtliche Sitz aus steuerlichen Gründen auf den Kaimaninseln.
Mitte 2013 übernahm WH, damals noch als Shuanghui International firmierend, für rund 4,7 Mrd. Dollar die Mehrheit am bis dahin weltgrößten Schweinefleischkonzern: dem US-Unternehmen Smithfield Foods. Mit der Übernahme erhielt Shuanghui auch einen Anteil von etwa 37% am damals größten europäischen Fleischverarbeiter, der Campofrio Food Group (CFG). Diese Beteiligung wurde Mitte 2015 an den Mehrheitspartner, den zum mexikanischen Mischkonzern Grupo Alfa gehörenden Lebensmittelhersteller Sigma Alimentos, verkauft.
Im Januar 2014 benannte sich Shuanghui International Holdings um in WH Group. Der Name ist abgeleitet von Wanzhou Holdings, wobei das chinesische Schriftzeichen Wan für Ewigkeit und Zhou für Kontinente steht.
Vor allem, um ihre Schulden aus der Übernahme von Smithfield zu reduzieren, plante die WH Group zunächst, im April 2014 an die Börse von Hongkong zu gehen. Da die Nachfrage nach Aktien des Unternehmens jedoch deutlich unter den Erwartungen blieb, wurde der Börsengang verschoben. Beim zweiten Anlauf im Sommer des gleichen Jahres war das verringerte Aktienangebot mehrfach überzeichnet. Erzielt wurden Einnahmen von über 2 Mrd. Dollar. Erster Handelstag der Aktie war der 5. August 2014. Das Papier ist im Hang-Seng-Index enthalten. Großaktionär der WH Group ist die Rise Grand Group, die von leitenden Managern der Gruppe kontrolliert wird; sie hält 39,2%. Mondrian Investment Partners hält rund 5% und BlackRock etwa 3% (Stand: Juli 2025).
Der Eigentümerwechsel kam mindestens für die Beschäftigten wohl überraschend. Schließlich hatte Christian Wolf, der in vierter Generation das Familienunternehmen führt, noch Mitte September das 100-jährige Firmenjubiläum mit der Belegschaft, Geschäftspartnern und Gästen aus Politik, Verbänden und Behörden gefeiert. „Auf die nächsten 100 Jahre voller Geschmack, Tradition und Gemeinschaft!“, rief er ihnen zu. Einen Monat später kam die Mitteilung vom Verkauf der Firmengruppe an die Chinesen.
Umsatz von knapp 400 Mill. Euro
Verglichen mit dem Deal von Ceconomy (2,2 Mrd. Euro) ist die Übernahme der Wolf-Gruppe einige Nummern kleiner: Der Umsatz habe 2024 bei knapp 400 Mill. Euro gelegen, heißt es. Weitere Zahlen werden nicht genannt. Der Fleisch- und Wurstproduzent mit seinen drei Produktionsstandorten (am Hauptsitz im oberpfälzischen Schwandorf, in Nürnberg sowie im thüringischen Schmölln) und seinen 1.800 Mitarbeitern wird gemäß der Mitteilung der WH Group vom bestehenden Managementteam um Christian Wolf weitergeführt. In der Mitteilung sprechen die Chinesen außerdem davon, man wolle mit der Akquisition und über den Käufer Morliny Foods die strategische Präsenz in Europa stärken; zudem werde Wachstum in Deutschland angestrebt. Das klingt nicht danach, als ob bei der Firma Wolf nun ein personeller Kahlschlag oder eine Standortschließung bevorstünde. Im Gegenteil: Nach Informationen der Lebensmittel-Zeitung soll Christian Wolf als Morliny-Statthalter im deutschsprachigen Raum weitere Akquisitionen im Convenience-Segment vorbereiten, in dem die Firma Wolf mit der Marke Forster vertreten ist.
Was sind Convenience-Produkte in der Fleisch- und Wursttheke?
Fleisch- und Wurst-Convenience-Produkte sind vorverarbeitete Waren, die den Zubereitungsaufwand für den Verbraucher erheblich reduzieren und ihm so Zeit sparen sollen. Dazu gehören Produkte wie zerlegtes und mariniertes Fleisch, panierte Schnitzel sowie fertig zubereitete Gerichte wie Gulasch, Rouladen und Burger-Patties, die nur noch erwärmt werden müssen, außerdem in Scheiben geschnittene Wurst oder Wurst aus der Dose.
Die Wolf-Gruppe ist nach eigenen Angaben in Deutschland Marktführer bei Gelbwurst, Bratwurst, Original Thüringer Rostbratwurst – die Wolf als einer von nur vier Fabrikanten herstellen darf – sowie Berner Würstchen. Wie Geschäftsführer Wolf sagte, schaffe man durch den Deal „die Voraussetzungen, um auch in Zukunft globale Herausforderungen, etwa in der Rohstoffbeschaffung, in einem starken internationalen Netzwerk bewältigen zu können“.
Natürlich lässt der indirekte Eintritt des Weltmarktführers bei Schweinefleisch in den deutschen Markt aufhorchen, zumal weitere Übernahmen in dem immer noch fragmentierten Markt von der WH Group mehr oder weniger angekündigt werden, viele Anbieter wegen stark gestiegener Kosten vor dem Aus stehen und daher empfänglich für Übernahmeangebote sind. Doch zumindest den Marktführer in Deutschland muss das nicht weiter beunruhigen; er ist dem Rest weit enteilt.
Tönnies dominiert durch M&A
Die Fleisch- und Wurstindustrie in Deutschland ist ein schwer zu entwirrendes Geflecht aus Holdings, Mehr- und Minderheits- sowie Überkreuzbeteiligungen. Vereinfacht ausgedrückt thront die Unternehmerfamilie Tönnies über dem Markt; das ist die Folge zahlreicher Übernahmen in den vergangenen 20 Jahren. Allerdings waren auch andere deutsche Marktakteure in der fortschreitenden Marktkonzentration aktiv; wenn ausländische Firmen in Deutschland zugriffen, waren es fast immer Unternehmen aus der Schweiz, den Niederlanden und Österreich.
Der in der Öffentlichkeit schlecht beleumundete Name des Marktführers, die Tönnies Holding, ist Anfang dieses Jahres in Premium Food Group (PFG) umfirmiert worden. Der Bereich Schlachtung & Zerlegung, der für den weitaus größten Teil des PFG-Umsatzes steht, wird aber weiter unter dem Namen Tönnies betrieben. Bereits zum 1. Januar 2018 hatte die Tönnies-Gruppe einen der wichtigsten Schlachtfleischabnehmer und größten Wursthersteller Deutschlands, die Zur-Mühlen-Gruppe, übernommen.
„Gerade noch hinreichender Wettbewerb“
Im Juni dieses Jahres schloss die PFG eine Grundsatzvereinbarung über eine strategische Partnerschaft mit dem zweitgrößten Wursthersteller Deutschlands, The Family Butchers (TFB), dem fleischorientierten Teilunternehmen der InFamily Foods Holding. TFB soll aus InFamily Foods herausgelöst werden und PFG eine knappe Mehrheit von 50,025% erhalten. Das Bundeskartellamt gab die Übernahme inzwischen frei. Auch nach dem Zusammenschluss des zweitgrößten deutschen Wurstherstellers mit dem Marktführer werde ein „gerade noch hinreichender Wettbewerb“ bestehen, und für die Unternehmen des Lebensmittel-Einzelhandels werde es aufgrund deren Eigenproduktion ausreichend alternative Bezugsquellen geben, hieß es von den Kartellwächtern.
Größter Lieferant
Unter dem Dach der von Familie Tönnies geführten Konzernobergesellschaft Premium Food Group ApS & Co. KG sind 113 inländische und 51 ausländische Unternehmen versammelt. 2024 wurden von PFG in Deutschland 13,2 Millionen Schweine geschlachtet, womit das Unternehmen bei der Schweineschlachtung hierzulande Marktführer ist und darüber hinaus der größte Lieferant des deutschen Lebensmittel-Einzelhandels.
Die Hälfte an der PFG gehört Robert Tönnies, Sohn von Unternehmensgründer Bernd Tönnies (1952 bis 1994). Clemens Tönnies, Bruder von Bernd und wie dieser bekannt durch seine zeitweilige Funktionärstätigkeit beim Fußballclub Schalke 04, hält 45% und dessen Sohn Maximilian Tönnies 5%.
InFamily Foods war ihrerseits Anfang 2020 aus dem Zusammenschluss der Fleischverarbeiter H. Kemper und H. & E. Reinert entstanden. Bis Ende Februar 2022 firmierte die ganze Holding unter dem Namen The Family Butchers. Unter der InFamily Foods Holding gibt es seit knapp fünf Jahren die beiden Unternehmensteile The Family Butchers (TFB; Wurst- und Schinkenerzeugnisse) und The Plantly Butchers (Lebensmittel auf pflanzlicher Basis).
Die vielen M&A-Transaktionen und Reorganisationen haben auch einen realwirtschaftlichen Grund: Wegen des gesunkenen Verbrauchs bei steigenden Kosten muss gespart werden – und durch Zusammenschlüsse können Synergien gehoben werden.
Verbrauch sinkt um 27 Prozent
In den vergangenen 15 Jahren ist der Pro-Kopf-Verbrauch an Schweinefleisch in Deutschland um 27% von jährlich 49 auf noch knapp 36 Kilogramm gesunken. In der Dekade zwischen 2010 und 2020 war der Rückgang besonders stark, so dass der Selbstversorgungsgrad wegen der geringeren Nachfrage zunächst von rund 123% auf 149% anstieg. Durch Kapazitätsanpassungen sank dieser Prozentsatz inzwischen wieder auf knapp 135%.

Dass die Ladenpreise für Schweinefleischprodukte seit 2010 über viele Jahre hinweg seitwärts tendierten und sinkende Verkaufsmengen kaum durch Preiserhöhungen ausgeglichen wurden, liegt unter anderem an der Marktmacht der großen Einzelhandelsketten sowie der Schweine- und Wursthersteller, die sinkende Margen größtenteils an die Bauern weitergereicht haben. Erst durch die Corona-Pandemie und vor allem den Krieg in der Ukraine, der zu einer starken Verteuerung von Agrarrohstoffen – also auch von Viehfutter – führte, zogen die Verbraucherpreise spürbar an.
Nachfrage geht zurück
Im Gegensatz zu Schweinefleisch ist der Verbrauch von Rind- bzw. Kalbfleisch im Vergleich zu 2010 hingegen fast konstant geblieben. Vor 15 Jahren entfielen rechnerisch auf jeden Bürger Deutschlands 12 Kilogramm pro Jahr. Zwischen 2016 und 2019 lag der Pro-Kopf-Konsum sogar bei 13,5 Kilogramm. Im vergangenen Jahr waren es allerdings nur noch 11,6 Kilogramm.
Durch den steigenden Verbrauch in der zweiten Hälfte des vorigen Jahrzehnts sank der Selbstversorgungsgrad nach 124,5% im Jahr 2010 bis auf 101,8% (2020). Mit der zurückgehenden Nachfrage stieg dieser Prozentsatz bis 2024 wieder auf über 108%.
95 Prozent essen tierische Produkte
Auch wenn viel über vegetarisches und veganes Essen geredet und geschrieben wird und die entsprechende Produktpalette stetig wächst – der Anteil derjenigen, die auf Fleisch und Fisch bzw. vollständig auf tierische Produkte verzichten, liegt in Deutschland gemäß dem Nationalen Ernährungsmonitoring bei überschaubaren 4% bzw. 1%. Die Fleisch- und Wurstproduzenten müssen also nicht fürchten, dass die Nachfrager verschwinden. Nur werden tierische Lebensmittel insgesamt weniger konsumiert.
