Schwere Konflikte um das US-Rating
Im Blickfeld
Schwere Konflikte um das Rating der Vereinigten Staaten
S&P hat mit ihren Einschätzungen zum US-Haushalt für Stirnrunzeln gesorgt. Beobachter fürchten, dass die Ratingagenturen fiskalische Gefahren aus politischen Gründen herunterspielen.
Von Alex Wehnert, New York
An der Wall Street kocht die Debatte um die amerikanische Fiskalpolitik zunehmend hoch. Denn die erneute Bedrohung durch einen „Shutdown“ in Washington unterstreicht, für welche Unsicherheit die verhärteten Fronten im Kongress sorgen. Präsident Donald Trump hat Gespräche zur Verhinderung eines Haushaltsstillstand mit Demokraten im Kongress zuletzt abgesagt, da er Forderungen nach der Rücknahme von Kürzungen im Gesundheitssystem für „lächerlich“ und „unproduktiv“ hält, und großflächige Entlassungen im Regierungsapparat angedroht. Doch ohne Einigung mit der Opposition drohen die USA am 1. Oktober ohne bewilligte Mittel für die Finanzierung der Regierungsgeschäfte dastehen.
Ein „Shutdown“ ist aus Sicht von Investoren zwar nicht mit den wiederholten Streitigkeiten über die Anhebung der Schuldenobergrenze zu vergleichen, in deren Zuge die Treasury sich mitunter über Monate effektiv keine neuen Mittel über den Kapitalmarkt beschaffen kann. Der Konflikt des Jahres 2023 wirkt an den Märkten noch heute nach. Denn das US-Finanzministerium musste nach dessen Lösung in schneller Folge Bondauktionen ansetzen, deren Umfang die Teilnehmer überforderte und damit eine hohe Renditevolatilität nach sich zog. Doch auch die regelmäßig drohenden „Shutdowns“ tragen laut Analysten nicht gerade dazu bei, das stark angekratzte Vertrauen in die amerikanische Fiskalplanung zu stärken.
S&P überrascht Märkte
Unter Marktteilnehmern ist vielmehr eine Diskussion darüber heißgelaufen, wie zutreffend die Einstufungen der großen Ratingagenturen die Kreditrisiken bei Investitionen in amerikanische Staatsanleihen noch reflektieren. Fitch entzog den Vereinigten Staaten mit Verweis auf ausufernde Konflikte um Haushalt und Verschuldung bereits 2023 die Spitzen-Bonitätsnote „AAA“, Moody's folgte im laufenden Jahr mit einem Downgrade. Rivalin S&P hatte die USA bereits 2011 herabgestuft – überraschte jüngst aber mit einem ungewöhnlich optimistischen Ausblick.

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Das New Yorker Haus hielt im August an seinem an seinem „AA+/A-1+“-Rating für die Vereinigten Staaten fest und verwies dabei darauf, dass Staatseinnahmen aus den Trump verhängten Strafzöllen die Mehrbelastungen durch seine expansive Fiskalpolitik auffangen dürften. Doch zwischen Mai und Juli spielten die USA über Zölle lediglich 76,8 Mrd. Dollar ein. Setzt sich dieses Tempo fort, würde Washington binnen zwölf Monaten rund 307 Mrd. Dollar generieren. Im Fiskaljahr 2024 beliefen sich die Einnahmen aus Zöllen auf 77 Mrd. Dollar, der Zugewinn summiert sich also auf 230 Mrd. Dollar. Die Peter G. Peterson Foundation beziffert allein den Zinsdienst der USA in den ersten zehn Monaten des Ende September abzuschließenden Fiskaljahres 2025 auf 841 Mrd. Dollar.
„Big Beautiful Bill“ verschärft Probleme
Trumps Mega-Steuerpaket, die im Juli unterzeichnete „Big Beautiful Bill“, verschärft die Probleme noch: Das unabhängige Congressional Budget Office (CBO) rechnet damit, dass sich das Defizit infolge erhöhter Staatsausgaben für Militär und Grenzschutz und einer Verlängerung von Steuersenkungen aus der ersten Amtszeit des Republikaners über das kommende Jahrzehnt um zusätzliche 3,4 Bill. Dollar ausweiten wird. Im laufenden Fiskaljahr werde sich das Haushaltsloch auf 6,2% des Bruttoinlandsprodukts belaufen.

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„Für die USA war ja schon vor der Verabschiedung der Big Beautiful Bill ein sehr hohes Haushaltsdefizit zu erwarten“, sagt Eiko Sievert, als Executive Director bei Scope für Ratings von Staaten und öffentlichen Einrichtungen zuständig. „Natürlich fangen stärker als erwartet ausfallende Zolleinnahmen das zu einem gewissen Teil auf, vollkommen aber eben nicht”, betont Sievert. Es sei über die kommenden fünf Jahre mit Defiziten von rund 6% des Bruttoinlandsprodukts und einem Anstieg der Staatsverschuldung auf 127% der Wirtschaftsleistung zu rechnen. „Jetzt, wo das Haushaltspaket der Regierung steht, ist auch nicht mehr mit nennenswerten fiskalischen Verbesserungen zu rechnen”, führt Sievert aus. Auch bei einem Machtwechsel in Washington sei nicht damit zu rechnen, dass die von Trump verlängerten Steuersenkungen grundsätzlich revidiert würden.
Hohes Wachstum nötig
„Um den Schuldentrend zu stabilisieren, müssten die USA an anderer Stelle zu umfangreichen Einsparungen greifen – das ist aber sehr unwahrscheinlich”, sagt Sievert. Damit die Verschuldung tragbar bleibe, sei damit ein reales Wirtschaftswachstum von mindestens 3% per annum nötig. Die Scope-Prognose für die kommenden fünf Jahre lautet auf durchschnittlich jeweils rund 2%. Damit ruhe die Hoffnung darauf, dass der Boom um künstliche Intelligenz in unverminderter Stärke anhalte oder sogar noch an Schwung gewinne. Die Zweifel von Investoren am realwirtschaftlichen Gegenwert der Technologie sind zuletzt allerdings gewachsen, die Analysten von Goldman Sachs sehen einen „scharfen Tempoverlust“ beim Wachstum der Investitionsausgaben als unausweichlich.

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Hedgefonds-Legende Ray Dalio warnt derweil bereits vor einem „ökonomischen Herzinfarkt“ – ausgelöst durch Probleme der USA, dem massiven Zinsdienst auf ihre ausstehenden Anleihen noch nachzukommen, sowie einem Ungleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage bei neuen Treasuries. Die jüngste optimistische Einstufung von S&P sorgt deshalb für Stirnrunzeln. Einige Wall-Street-Vertreter äußern gegenüber der Börsen-Zeitung die Sorge, die großen US-Ratingagenturen suchten sich durch positive Analysen mit der Trump-Administration gut zu stellen. Diese hat auf kritische Studien von Moody's oder Goldman bereits hart gegen die beteiligten Ökonomen ausgeteilt.
Wiederholte Streitigkeiten voraus
Scope hebt hingegen hervor, dass es bei verschiedenen Ratingagenturen zwar „unterschiedliche Vorgehensweisen und Methodiken“ gebe, bei denen aber stets die wichtigsten quantitativen Kennzahlen im Rating berücksichtigt würden. „Hinzu kommen dann stets qualitative Bewertungen. In unserer Methodik liegt ein wichtiger Fokus auf Governance und politischen Risikofaktoren“, führt Sievert aus. Folglich stuft die europäische Ratingagentur die Vereinigten Staaten mit „AA“ und einem negativen Ausblick ein. „Damit liegen wir im Vergleich mit den US-amerikanischen Ratingagenturen jetzt schon um eine Ratingstufe tiefer“, sagt Sievert.
Die große politische Kluft im Kongress sei einer der Gründe für diese Einstufung. „Damit ist auch künftig mit wiederholten Streitigkeiten um die Anhebung der Schuldenobergrenze in Washington zu rechnen”, sagt Sievert. Die im Juli vereinbarte Anhebung des Limits um 5 auf über 41 Bill. Dollar werde voraussichtlich bis 2028 vorhalten, dann müsse neu verhandelt werden. In der Zwischenzeit könnten sich die Mehrheitsverhältnisse in den Kongresskammern aber wieder verschieben, was erneute Einigungen wieder erschweren würde.
Furcht vor technischem Default
„Bisher haben Republikaner und Demokraten sich zwar immer hart um die Anhebung der Schuldenobergrenze gezankt, letztlich aber immer zu einer Einigung gefunden”, sagt Sievert. „Doch je tiefer die politischen Gräben werden, desto größer wird auch die Gefahr, dass solche Einigungen künftig nicht mehr bis zur entsprechenden Deadline zustande kommen.” Ein technischer Default der USA aufgrund politischer Streitigkeiten sei zwar nicht sehr wahrscheinlich, könnte aber große Wirkung entfalten. Die schweren Konflikte um die US-Staatsfinanzen drohen am Anleihemarkt also auch über den drohenden „Shutdown“ hinweg noch Turbulenzen auszulösen.