Schweizer Eliten hadern mit ihrem Land
Schweizer Eliten hadern mit ihrem Land
Identitätskrise
Schweizer Eliten hadern mit ihrem Land
Die Schweiz scheint in einer Identitätskrise zu stecken. Tatsächlich aber ist es eine Krise der Eliten, denen das Grundvertrauen abhanden gekommen ist.
Von Daniel Zulauf
Wer sind wir? Und sind wir, wie wir sein sollten? In der Schweiz ist der Identitätsdiskurs an der Tagesordnung. Das ist kein Wunder für ein Land mit vier Sprachen und Kulturen. Der kleinste gemeinsame Nenner ist seit 1848 die Gewissheit, dass man zusammen gehört. Die deutschsprachige Mehrheit braucht die Minderheiten in der französischen und italienischen Schweiz. Dazwischen steht die Gruppe der Rätoromanen, deren Schutz als kleine Ethnie bisweilen schon fast den Eindruck einer helvetischen Obsession erweckt.
Vor der Gründung des Bundesstaates klärten die Eidgenossen ihre Positionen im Sonderbundskrieg zum letzten Mal mit Waffengewalt. Zwischen den Ideen der Liberalen und den Konservativ-Katholischen kam es zum Kompromiss einer föderalen Schweiz, den nun just ein prominenter Vertreter der national-konservativen Schweizerischen Volkspartei (SVP) in Frage stellt.
Hellebarden-Klamauk
Sollte das Schweizer Volk Ja sagen zu den neuen EU-Verträgen, könnten sich die notorisch EU-kritischen Kantone aus den Stammlanden Willhelm Tells zu einem neuen Sonderbund zusammenschliessen. „Ich wäre der Erste, der sich hier an die Spitze stellen würde“, zündelte der frühere Finanzminister Ueli Maurer unlängst in einem Podcast. Es ist offensichtlich, dass der 74-jährige mehr provozieren als einen ernstzunehmenden Vorschlag lancieren wollte. Eine Verfassungsänderung zur Schaffung des Sonderbundes wäre an der Urne chancenlos.
Doch Maurer hat mit seinem „Hellebarden-Klamauk“, wie eine Kontrahentin die Aussage einordnete, das geschafft, was ihm und seiner Partei seit über 30 Jahren mit großem Erfolg immer wieder gelingt: Landauf, landab diskutiert man über die Frage, ob die Regierung und die politische Kaste die eigenen Interessen über die Interessen der Bürgerinnen und Bürger und des Landes stellt. Ist die Schweiz noch die Schweiz, wenn der EU-Gerichtshof in wichtigen Rechtsfragen rund um den EU-Binnenmarkt das letzte Wort bekommt?
Debatte in der Blase
Interessanterweise sind Befürworter und Gegner der EU-Verträge keineswegs so offensichtlich verschieden wie sie es damals im Sonderbundskrieg waren. Auf beiden Seiten findet man Städter, reiche Unternehmer, Repräsentanten fast aller politischen Parteien, Intellektuelle, Behördenvertreter etc. Das Ganze gleicht mehr einer Diskussion von Eliten für Eliten als einer breiten politischen Auseinandersetzung. Zwar lässt sich keiner Seite das Interesse am Gesamtwohl des Landes absprechen. Aber keine Seite kann verhehlen, dass sie auch Eigeninteressen verfolgt.
Nach einem ähnlichen Muster erfolgte unlängst auch die erfolgreiche Deeskalation im Zollstreit der Schweiz mit den USA. Einer Gruppe von milliardenschweren Unternehmern gelang, was der Regierung zwischen April und August gründlich misslungen war: US-Präsident Donald Trump hat den Zolltarif von 39 auf 15% gesenkt und dafür einige staatliche Zusagen beim Marktzugang, vor allem aber bedeutende Investitionszusagen großer Konzerne erhalten.
Schweizer Vasallen
Auch dieser Deal der Eliten gibt zu denken und zu reden. Besonders leidenschaftlich legen sich nun einige Intellektuelle ins Zeug, welche die Schweiz reißerisch als „Kolonie“ oder als „Vasallin“ Amerikas beschimpfen. Oder hat sich das Land gar zu einem „Teufelspakt“ hinreißen lassen, den Trump nun als Grundlage für systematische Erpressungen nutzen könnte, wie man dieser Tage in der Schweizer Presse lesen konnte?
Was in diesen Kreisen, bei aller gutgemeinten Sorge um das eigene Land, zu kurz zu kommen scheint, ist deren Vertrauen in die Urteilskraft der eigenen Bevölkerung. Die Schweizerinnen und Schweizer wissen um die Chancen und die Risiken ihres kleinen aber wirtschaftlich starken Landes und sie sind geübt darin, diese an der Urne abzuwägen. Offensichtlich ist dieses Grundvertrauen den Eliten hüben und drüben abhanden gekommen, was mehr über sie selber als über die Schweiz aussagt.
