Notiert in London

Sieben Jahre Bitterkeit

Auch sieben Jahre nach dem Votum fĂŒr den EU-Austritt hat die Verbitterung mancher Brexit-Gegner von einst nicht nachgelassen. Seit 2016 nutzen sie den Abschluss der sommerlichen Promenadenkonzerte in der Royal Albert Hall, um ihrer Unzufriedenheit Luft zu machen. An Geld fĂŒr EU-Flaggen fehlt es ihnen offenbar nicht.

Sieben Jahre Bitterkeit

Notiert in London

Sieben Jahre Bitterkeit

Von Andreas Hippin

Es waren mehr als 30 Grad in der Londoner Royal Albert Hall, als die sommerlichen Promenadenkonzerte des BBC-Symphonieorchesters am Wochenende mit der „Last Night of the Proms“ ihren Abschluss fanden. Das Wetter mag ungewöhnlich gewesen sein, doch manche Dinge Ă€ndern sich nicht in Großbritannien. Seit 1895 kommen alljĂ€hrlich Tausende zusammen, um Musik zu hören. Die Konzerte sollten der breiten Bevölkerung klassische Musik nĂ€herbringen. Sie sind kein teures VergnĂŒgen. Wer am Tag der Veranstaltung vorbeischaut, kann vielleicht noch einen Stehplatz fĂŒr 8 Pfund ergattern.

Zum Ende der Last Night, von der die öffentliche Wahrnehmung der Konzertserie geprĂ€gt wird, ist das Publikum gefragt. AuffĂ€llige Kleidung ist ausdrĂŒcklich erwĂŒnscht. Viele tragen fantasievolle KostĂŒme. Man singt gemeinsam „Land of Hope and Glory“, „Jerusalem“ und andere Evergreens, bevor zum Ende „God Save the King“ erklingt.

Es war das erste Mal seit 2019, dass der Event in vollem Umfang stattfand. Die Pandemie hatte fĂŒr EinschrĂ€nkungen gesorgt. Im vergangenen Jahr wurde das Abschlusskonzert wegen des Todes von Königin Elisabeth II. abgesagt. Das Schwenken von Flaggen aller Art gehört seit langem zur Last Night. Ein HĂ€uflein erbitterter Brexit-Gegner hĂ€lt es jedoch fĂŒr einen Ausdruck von aggressivem Nationalismus, wenn gut gelaunte Menschen mit dem Union Jack wedeln, und verteilt seit sieben Jahren EU-Flaggen vor der Royal Albert Hall und an Public-Viewing-Orten im ganzen Land. Waren es 2016 erst 2.500 Fahnen, stieg ihre Zahl der Website der Initiative „Thank EU for the Music“ zufolge 2017 bereits auf 10.000, 2018 auf 20.000 und 2019 auf 50.000. Geld ist offenbar genug da.

Als am Samstag „Rule Britannia“ erklang, war die Royal Albert Hall ein blaues Fahnenmeer. „Unglaublich vulgĂ€r“ fand das der ehemalige Tory-Abgeordnete Harvey Proctor und forderte eine Untersuchung durch die BBC. Der Ärger konservativer Kreise ĂŒber die Polit-Performance sauertöpfischer Eliten ist deplatziert. Es ist eher traurig, wenn versucht wird, einen derart inklusiven Event auf diese Weise zu vereinnahmen. Das Publikum ließ sich ohnehin nicht beirren. Selbst die extremen Temperaturen taten der guten Stimmung keinen Abbruch. Die Konzerthalle kann sich im Sommer stark aufheizen.

„Thank EU for the Music“ hat aber noch ganz andere Themen als den Brexit. In einem offenen Brief an den BBC-Generaldirektor Tim Davie kritisiert die Initiative den Ansatz des öffentlich-rechtlichen Senders, in der Debatte um den EU-Austritt neutral zu bleiben. Eine „schlecht kalibrierte Unparteilichkeit“ könne nur den Eindruck fortschreiben, dass alles gut sei, obwohl das doch offensichtlich nicht den Tatsachen entspreche. Offenbar wĂŒnscht man sich einen parteilichen Rundfunk, der alles ausblendet, was man nicht hören will. Man hoffe auf eine Verwandlung der „problematischen postkolonialen Hymnen“ in etwas „AufgeklĂ€rteres und Kollaborativeres“. Die selbsterklĂ€rten Musikliebhaber sollten es eigentlich besser wissen: Aus politischen Weltverbesserungsbestrebungen ist noch nie große Kunst hervorgegangen.

Bio wieder erschwinglich

Manche Dinge Ă€ndern sich auch. Plötzlich drĂ€ngt einem der Online-Supermarkt Ocado einen dreimonatigen Smart Pass auf. Das bedeutet kostenlose Lieferungen ab einem Bestellwert von 40 Pfund. Offenbar wollen viele Kunden nicht mehr dafĂŒr bezahlen, dass man ihnen ihre EinkĂ€ufe nach Hause bringt. Die steigenden Lebenshaltungskosten zeigen Wirkung. Der Handel ist zum Nachgeben gezwungen. Nicht lebensnotwendige Produkte wie Biomilch oder Kartoffelchips, mit deren Hilfe Unternehmen ihre Margen aufrechterhalten wollten, sind auf einmal wieder gĂŒnstiger zu haben. Markenhersteller und Landwirte mĂŒssen feststellen, dass sich nicht jeder Preis durchsetzen lĂ€sst. FĂŒr alle, deren Löhne nicht mit der Teuerung mitgehalten haben, ist das eine begrĂŒĂŸenswerte Entwicklung.