Silicon Valley schwelgt in gefährlichen KI-Utopien
Silicon Valley schwelgt in gefährlichen KI-Utopien
Künstliche Intelligenz
Gefährliche Tech-Utopien
Von Alex Wehnert
In der Traumwelt von Amerikas Software-
Riesen werden
KI-Agenten zum idealen Unterstützer der modernen Arbeitsbevölkerung. Die Wahrheit sieht deutlich düsterer aus.
Die Tech-Blase des Silicon Valley schwelgt in Träumereien über eine Zukunft, in der Mensch und künstliche Intelligenz einander stetig verbessern – leider droht dabei ein böses Erwachen. Salesforce hat auf ihrer Kundenkonferenz „Dreamforce“ gerade erst wieder propagiert, wie lernfähige Software-Agenten die Arbeitswelt der Zukunft aufhellen sollen. Der Dienstleister kündigte dabei den globalen Start seiner Plattform „Agentforce 360“ an. Die leistungsfähigere Version der 2024 lancierten „Agentforce“-Anwendung enthält neue Möglichkeiten, KI-Agenten für automatisierbare Aufgaben zu bauen und zu instruieren. Heute kommen sie vor allem im Kundendienst zum Einsatz, sollen künftig aber komplexere Funktionen erfüllen.
Friss oder stirb
Mitarbeiter würden bei der „Agentic AI“-Revolution nicht zurückgelassen, sondern mithilfe künstlicher Intelligenz leistungsfähiger gemacht, heißt es auch bei anderen Software-Entwicklern wie Databricks, der Alphabet-Tochter Google oder der Technologieschmiede Anthropic, die sich der vermeintlichen Prozessoptimierung in Betrieben verschrieben haben. Die lernfähigen Anwendungen erfüllten dabei redundante Aufgaben und schüfen an anderer Stelle wiederum neue Jobs.
Doch was nach einer erstrebenswerten Zukunft klingt, wird sich allerhöchstens noch im Tech-Sektor selbst bewahrheiten. In anderen Branchen wird die Realität eher einem „Friss oder stirb“ gleichen. Denn bei weitem nicht alle Mitarbeiter werden sich so weiterbilden lassen, wie die Software-Riesen sich dies in ihrer Utopie ausmalen. Schon heute zeigt sich, dass der Einsatz von KI-Agenten im Gastgewerbe oder Handel mitunter starken Personalabbau nach sich zieht. Offen zugeben wollen das im Silicon Valley nur die Wenigsten.
Unterschätzte Folgewirkungen
Effizienzgewinne und Kosteneinsparungen über den Einsatz von KI können natürlich gerade für Unternehmen in Industrien mit hohem Margendruck ein Segen sein. Auch besteht so auf dem Papier die Chance für kleine Einzelhändler und Finanzdienstleister, sich besser gegen größere und mit stärkeren Mitteln ausgestattete Wettbewerber zu behaupten. Doch wer dieser Tage in San Francisco unterwegs ist, muss den Eindruck gewinnen, dass das Silicon Valley die gesamtwirtschaftlichen Folgeschäden seines aggressiven KI-Expansionskurses vollkommen unterschätzt.
Bei Salesforce heißt es etwa, die Führungsebene von Unternehmen müsse die Transition in Agenten-dominierte Zukunft „verantwortungsvoll“ steuern. Was das genau heißen soll, bleibt reichlich schwammig. Gerade in der US-Wirtschaft wird Verantwortung gegenüber dem Arbeitnehmer traditionell kleingeschrieben – und auch Präsident Donald Trump tritt nur mit äußerst kurzfristigen Maßnahmen für Jobrettungen bei Konzernen ein, wenn dies politisch opportun ist. Warum sich dies ändern sollte, während Unternehmen am großflächigen Einsatz von KI-Agenten schrauben, erschließt sich nicht.
Politische Spaltung gefördert
Niemand wird aus einer sozialen Ader heraus Mitarbeiter weiterbeschäftigen, deren Job auch eine intelligente Technologie ohne Ambitionen auf Gehalt, Pausen oder gewerkschaftliche Organisation übernehmen kann. Wer nicht lernen kann, mit der Technologie umzugehen, wird durch das Raster fallen. Die gefährlichen Folgen solcher Entwicklungen zeigt die Historie: Eine zunehmende sozioökonomische Spaltung und eine noch beschleunigte Flucht frustrierter Bürger in politische Extreme, deren Vertreter wiederum keine nachhaltigen wirtschaftlichen Lösungen parat haben.
Die Nerds des Silicon Valley vergleichen den KI-Boom gerne mit der industriellen Revolution. Der große Unterschied liegt allerdings darin, dass das technische Vermögen und die Limitierungen der Dampfmaschine schon seinerzeit halbwegs absehbar waren. Sam Altman, der als CEO von OpenAI an der Speerspitze des Hypes steht, räumt indes ein, die Potenziale künstlicher Intelligenz gedanklich noch gar nicht einordnen zu können.
Kontrollverlust droht
Innovation und als Grundlage dieser auch kreative Zerstörung sind zwar elementar, um die Zukunft einer jeden Industrie zu sichern. Doch entscheidend ist das Ausmaß der Kontrolle, die Vertreter des betreffenden Sektors noch über diese Innovation besitzen. Bei einer völlig uneingedämmten KI-Expansion sind nicht nur die Potenziale, sondern auch die Risiken der Technologie nicht absehbar. Das Silicon Valley dürfte sich schließlich noch wundern, wenn Weiterentwicklungen künstlicher Intelligenz auch die Dienstleistungen, die seine Unternehmen gerade unter Milliardenaufwand ausbauen, schnell wieder obsolet machen. Dann droht sich auch so mancher Tech-CEO in der Redundanz wiederzufinden.