Im BlickfeldRückversicherung

Skandal um falsche Sicherheiten

Wie ein Betrugsfall rund um das Start-up Vesttoo den Markt für alternatives Rückversicherungskapital aufschreckt.

Skandal um falsche Sicherheiten

Im Blickfeld

Skandal um falsche Sicherheiten

Wie ein Betrugsfall rund um das hochbewertete Start-up Vesttoo den Markt für alternatives Rückversicherungskapital aufschreckt

Von Antje Kullrich, Düsseldorf

Ein Skandal erschüttert derzeit den Markt für alternatives Rückversicherungskapital. Im Mittelpunkt steht das israelische Start-up Vesttoo, ein hochgehandeltes Insurtech, das in seiner Series-D-Finanzierungsrunde bereits mit weit über 1 Mrd. Dollar bewertet wurde. Doch jetzt scheinen die Gründer vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Es geht um Sicherheiten in einem hochkomplexen Markt, in dem branchenfremde Investoren Kapital bereitstellen, um Rückversicherungskapazität zu schaffen. Deren Sicherheiten in Form von Letters of Credit (LoCs) waren offenbar gefälscht. Noch ist vieles an dem Fall unklar – nicht zuletzt, wer die Verantwortung für die Unregelmäßigkeiten trägt. Ist Vesttoo selbst aktiv in den Betrug verwickelt oder hat das Start-up seine Geschäftsbeziehungen und -partner nicht ausreichend kontrolliert? Vesttoo selbst präsentiert sich als Opfer. Das Unternehmen sieht sich durch Investoren getäuscht, die gefälschte LoCs präsentiert haben. Diese LoCs, angeblich von der China Construction Bank, waren von der Bank jedoch gar nicht ausgestellt worden. Aufgeflogen war die Fälschung, als in einem Schadenfall ein Versicherer den Letter of Credit in Anspruch nehmen wollte.

 Für das junge Unternehmen sind die Auswirkungen schon jetzt verheerend. Geschäftspartner springen ab, das Unternehmen entlässt dem Vernehmen nach einen erheblichen Teil seiner Belegschaft. Von 75% der Beschäftigten ist die Rede. Ein Unternehmenssprecher bestätigte der Börsen-Zeitung, dass CEO und CFO das Unternehmen verlassen hätten. Vesttoo hat eine externe Untersuchung bei der auf Betrugsfälle spezialisierten Prüfungsgesellschaft Kroll in Auftrag gegeben.

In der Rückversicherungsbranche ist in den vergangenen Tagen in den Häusern eifrig geprüft worden, inwieweit Kapazitäten über Vesttoo vermittelt wurden. So sieht sich Großmakler Aon laut einem Bericht des Branchenportals Artemis bereits Klageandrohungen von Kunden und Geschäftspartnern ausgesetzt. Der Broker bestätigte, dass Vesttoo eine der Adressen sei, über die besicherte Kapazität von Investoren hereingenommen worden sei. Aon überprüfe möglicherweise gefälschte Letters of Credit.

Deutsche Player entspannt

Deutsche Marktteilnehmer sind kaum involviert.  Die Allianz beobachtet die Vorgänge genau, sieht für sich aber keinen finanziellen Schaden. Der Konzern hatte selbst 17 Mill. Euro an Rückversicherungsdeckung bei Vesttoo platziert, der über Letters of Credits besichert war.  Die Transaktion sei ein Testballon gewesen, um das Geschäftsmodell des sehr selbstbewusst auftretenden Start-ups zu prüfen, erläuterte eine Konzernsprecherin auf Anfrage. Die hinterlegten Letters of Credit hätten sich als gefälscht herausgestellt, nachdem die Allianz sie nach ersten Berichten über Vesttoo unter die Lupe genommen hatte. Wer dafür genau verantwortlich ist, lässt sich bis heute nicht sagen.

Als positiven Nebeneffekt verzeichnet die Allianz Re nach eigenen Angaben eine leicht verstärkte Nachfrage von Kunden, die für über Vesttoo platzierte Deckungen Alternativen suchten.

Der Venture-Capital-Arm der Allianz sei darüber hinaus auch als mögliche Investorin von Vesttoo angesprochen worden, berichtete die Konzernsprecherin. Doch das Geschäftsmodell sei relativ intransparent und die Prognosen gleichzeitig sehr ambitioniert gewesen, weshalb es zu keinem Investment gekommen sei.

Die Hannover Rück berichtete, dass lediglich zwei ihrer Transaktionen im Zusammenhang mit Vesttoo stehen. „Bei einer Transaktion haben wir bereits eine Echtheit des LoC erhalten, bei der zweiten prüfen wir diese noch. Sollte diese Bestätigung nicht eingehen, kann die Hannover Rück das unterliegende Rückversicherungsrisiko problemlos selbst decken.“

Die Munich Re erklärte auf Nachfrage, nicht betroffen zu sein und keine Geschäftsbeziehung mit Vesttoo zu unterhalten.

In anderen Unternehmen wird jedoch neu sortiert. Artemis zitierte Marktquellen, laut denen Kapazitäten für die Deckung von Risiken im Milliardenumfang neu gesucht und umplatziert würden.

Was bedeutet der Fall Vesttoo für den alternativen Rückversicherungsmarkt? Das weithin bekannteste Segment, der Cat-Bond-Markt, scheint nicht betroffen. Denn hier wird das Volumen jeder Anleihe zu 100% besichert – und zwar mit bei einem Treuhänder hinterlegtem tatsächlichem Kapital.

Das Problem liegt im Markt der privaten Transaktionen, in dem ILS-Manager Kapital akquirieren, um dann mit einem Rückversicherer ins Geschäft zu kommen. An genau dieser Schnittstelle zwischen Investoren am Kapitalmarkt und der (Rück)-Versicherungsbranche ist Vesttoos Geschäftsmodell angesiedelt. Das Start-up versteht sich als Intermediär, der mit Hilfe von Data Science und künstlicher Intelligenz Versicherungsrisiken analysiert und dann Investoren auf der einen Seite und kapazitätssuchende Versicherer und Rückversicherer auf der anderen Seite zusammenbringt.

Aufstrebender Nischenmarkt

Anders als der Cat-Bond-Markt, der angesichts öffentlich gehandelter Katastrophenanleihen recht transparent ist, sind Informationen zu den häufig bilateralen Deals im Rest des alternativen Rückversicherungsmarktes rar. Das mit Abstand größte Volumen entfällt auf Collateralized Reinsurance (besicherte Rückversicherung), die zwischen 2010 und 2017 ein geradezu explosionsartiges Wachstum aufwies. Das Volumen schwoll in dieser kurzen Zeit an von nahe null auf mehr als 50 Mrd. Dollar. Doch dann kamen “Harvey”, “Irma” und “Maria”. Die verheerende Hurrikan-Serie in den USA traf die Collateralized Reinsurance  deutlich stärker als den Cat-Bond-Markt. Denn während in Letzterem in der Regel nur die absoluten Spitzenrisiken versichert werden, werden besicherte Rückversicherungsverträge auch für niedrigere Schadenausmaße abgeschlossen. Das Segment war deshalb genauso wie die traditionelle Rückversicherung 2017 stark belastet.

Gemessen an den Transaktionsvolumina hat sich die Collateralized Reinsurance bis heute nicht richtig erholt. Das Segment, das 2017 seinen Peak aufwies, befindet sich nach den Daten von Aon Securities in den vergangenen Jahren im leichten Rückwärtsgang – und steht dennoch für rund 8% des weltweiten Rückversicherungskapitals. Dagegen setzt der Cat-Bond-Markt sein nicht ganz so stürmisches, aber viel stetigeres Wachstum fort.

Wie stark der Markt für besicherte Rückversicherung auf den Vesttoo-Fall reagiert, ist noch nicht klar. Für die Insurtech-Szene ist es ein Reputationsfall. Es dürfte ziemlich wahrscheinlich sein, dass neue Player im Markt, vor allem aus der Tech-Ecke wie Vesttoo, in Zukunft skeptischer unter die Lupe genommen werden. Das Gleiche gilt für Besicherungen. Cash dürfte Trumpf sein, Letters of Credits ein Imageproblem haben. Und zu guter Letzt werden sich auch die Broker und im Markt tätige sogenannte Fronting-Gesellschaften, die über Vesttoo Kapital eingesammelt haben, fragen müssen, ob ihre Kontrollsysteme ausgefeilt genug sind.