Im BlickfeldWachstum schwächt sich ab

Spaniens robuste Konjunktur bekommt erste Dellen

Die spanische Notenbank und andere Volkswirte revidieren ihre Wachtsumsprognosen erstmals wieder nach unten wegen der Unsicherheit über die Zollpolitik.

Spaniens robuste Konjunktur bekommt erste Dellen

Spaniens robuste Konjunktur bekommt erste Dellen

Die Notenbank und andere Volkswirte revidieren ihre Wachstumsprognosen erstmals wieder nach unten wegen der Unsicherheit über Trumps Zollpolitik.

Von Thilo Schäfer, Madrid

Spanien ist seit einiger Zeit der Leuchtturm im trüben konjunkturellen Umfeld in Europa. Nach einem Wirtschaftswachstum von 3,2% im letzten Jahr erwarten die Experten auch für 2025 einen Anstieg des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um mehr als 2%. Die Pandemie traf das Reiseland härter als die Nachbarn in Nordeuropa. Doch die rasche Erholung des Tourismus, dank der ungebändigten Reiselust der Menschen nach der Coronazeit, bescherte Spaniens wichtigster Branche immer neue Rekorde.

Die Folgen des russischen Einmarschs in der Ukraine waren auf der Iberischen Halbinsel weit weniger zu spüren, zumal Madrid und Lissabon sich vom europäischen Energiemarkt abkoppeln durften und von ihrem günstigen Ökostrom profitierten. Und schließlich sind die Handelsbeziehungen zu den USA überschaubarer als bei anderen europäischen Partnern, weshalb die Zollpolitik von Präsident Donald Trump in Spanien etwas weniger Kopfschmerzen bereitete.

Doch immun sind die Iberer nicht. Die robuste Konjunktur zeigt erste Dellen. Am Dienstag senkte die spanische Notenbank ihre Prognose für 2025 um drei Zehntelpunkte auf 2,4% und die für nächstes Jahr um ein Zehntel auf 1,8%. Die Verunsicherung über die Wirtschaftspolitik des Weißen Hauses macht sich nun auch in Spanien bemerkbar. „Der Rückgang des Verbrauchs der Privathaushalte und der Investitionen können die ersten Anzeichen der Ungewissheit sein“, erklärte der Chefökonom der Banco de España, Ángel Gavilán, auf seiner letzten Präsentation des Quartalsberichts vor seinem frühzeitigen Abschied. Die Umfragen zum Vertrauen der Verbraucher und der Unternehmen deuteten zuletzt in diese Richtung.

Die Notenbank steht mit der Revision ihrer Prognose nicht allein da. Zuvor hatte die unabhängige Fiskalaufsicht Airef die Voraussage für 2025 auf 2,3% gesenkt. Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) korrigierte letzte Woche ihre Prognose um zwei Zehntelpunkte auf 2,4% für 2025 und 1,9% für kommendes Jahr nach unten. Das sind trotzdem noch stattliche Wachstumsraten, besonders im gegenwärtigen Umfeld. Die OECD verweist auf den Binnenkonsum und den Tourismus als Wachstumsstützen.

Touristenrekorde

Auch die Banco de España rechnet damit, dass der Verbrauch der Haushalte und die Investitionen trotz der Abschwächung auch weiter die Konjunktur treiben werden. „Im Tourismus werden wir weitere Rekorde sehen, aber die Wachstumsraten werden kleiner“, kommentierte Gavilán. Letztes Jahr stellte Spanien mit 94 Millionen Besuchern aus dem Ausland einen Bestwert auf. In diesem Jahr kamen bereits 7% mehr Touristen als im Vorjahreszeitraum ins Land. Die arbeitsintensive Reise- und Gastronomiebranche ist der Jobmotor des Landes. Im Mai vermeldete die Sozialversicherung einen Rekord von 21,8 Millionen Beitragszahlern.

So viele Menschen wie nie zuvor stehen in Brot und Lohn, ein Großteil davon im Gastgewerbe. Die meisten neuen Arbeitskräfte kommen aus dem Ausland. Die Migration erklärt das Jobwachstum, während die Erwerbslosenquote nur langsam sinkt, aktuell auf 11,3%. „Dieses Paradox entblößt die Ineffizienz der Arbeitsbeschaffungspolitik, deren unveränderte Ausrichtung die öffentlichen Investitionen nicht rentabel macht“, kritisierte der Dachverband der Arbeitgeber CEOE. Gegen die Proteste der Unternehmer hat die Linksregierung die Reduzierung der Wochenarbeitszeit auf 37,5 Stunden auf den Weg gebracht. Auch die Notenbank erwartet nur einen geringen Rückgang der Erwerbslosigkeit auf 9,7% im Jahr 2027.

Für die Prognose der Konjunkturentwicklung sind für die Volkswirte, abgesehen von der Unsicherheit über die Trump’schen Zollkriege, zwei andere Faktoren wichtig. Spanien ist das Schlusslicht der Nato bei den Verteidigungsausgaben. Ministerpräsident Pedro Sánchez hat nach massivem Druck seiner Partner eine Erhöhung des Budgets von 1,4%  auf 2% in diesem Jahr und mehr danach angekündigt. Der skeptischen Öffentlichkeit machte der Sozialist die Aufstockung des Wehretats unter anderem mit der konjunkturellen Schubwirkung von 0,6% des BIP schmackhaft. Doch die Experten von Chefökonom Gavilán brechen den Effekt auf maximal 0,2% herunter, denn die Regierung hat viele bestehende Ausgabeposten einfach zu Verteidigungszwecken umfunktioniert und somit keine neuen Anreize geschaffen.

Tempo bei Next Gen

Großen Handlungsbedarf sehen die Notenbanker dagegen bei der Ausführung der Hilfen aus den „Next Gen EU“-Funds. Spanien ist nach Italien der größte Nutznießer des Aufbauplans. Von den 80 Mrd. Euro an Direkthilfen wurden bislang jedoch erst 40% in konkrete Projekte eingebunden. Die Zeit läuft, denn bis Sommer 2026 müssen die Mittel verplant sein, sonst gehen die Gelder verloren. „Wir müssen erheblich aufs Gaspedal treten“, riet Gavilán.

Die Banco de España mahnt auch wichtige Strukturreformen an. Die Konsolidierung der Staatsfinanzen läuft aus dem Ruder. Spanien konnte den Schuldenstand zuletzt zwar stark senken, doch dieser wird auf einem Niveau von knapp über 100% verharren, erklärte der Gouverneur der Notenbank, José Luis Escrivá, am Montag einem Parlamentsausschuss. „Wir sehen derzeit nicht, dass die Ratingagenturen oder die internationalen Finanzmärkte dem Konsolidierungsprozess ausreichende Bedeutung beimessen“, so Escrivá, der von Sánchez vom Minister zum Notenbankchef gemacht wurde.

Doch für eine entschiedene Haushaltskonsolidierung braucht es einen Haushalt. Die Minderheitskoalition der Sozialisten von Sánchez mit dem Linksbündnis Sumar bekam zuletzt keine Mehrheit im Unterhaus zusammen. Der Haushalt von 2023 wurde erneut verlängert. Jetzt muss sich das Finanzministerium an den Plan für 2026 machen, auch wenn es derzeit keine Aussicht auf Erfolg gibt.

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