Spaniens Wirtschaft profitiert von Einwanderung
Spaniens Wirtschaft profitiert von Einwanderung
Spaniens Wirtschaft profitiert von Migration
Mit einem erwarteten Wachstum von fast drei Prozent steht das Land an der Spitze unter den Industrieländern dank des robusten Arbeitsmarkts und Binnenkonsums.
Von Thilo Schäfer, Madrid
Der Schwergewichtsindex der spanischen Börse, der Ibex 25, stellte am Montag einen neuen Rekord auf und erreichte erstmals die 16.000 Punkte. Während andere Marktplätze in den letzten Jahren häufiger neue Höchststände erreichten, konnte der Ibex erst jetzt den Bestwert von 2007 vor Ausbruch der Finanzkrise überschreiten. Die Hausse an der Börse ist ein weiterer Ausdruck der Stärke der spanischen Wirtschaft, deren robuste Konjunktur sich in den letzten paar Jahren klar vom trüben Umfeld in Europa absetzte. Die meisten Volkswirte haben ihre Prognosen für Spanien zuletzt nach oben revidiert, sowie auch der Internationale Währungsfonds (IWF).
Im Herbstbericht stuft der IWF den Anstieg des spanischen Bruttoinlandproduktes für dieses Jahr um vier Zehntelpunkte auf 2,9% herauf, das ist der Spitzenwert unter den westlichen großen Industrieländern. Wie der Fonds erwarten auch andere Experten, etwa die spanische Notenbank, für 2025 ein Wachstum des BIP von mehr als 2,5%, was sich im kommenden Jahr auf rund 2% abschwächen soll.
Die wirtschaftliche Dynamik in Spanien ist auch den Rating-Agenturen nicht entgangen. Im September verbesserten S&P, Moody’s und Fitch allesamt die Note für spanische Staatsanleihen. Erstmals seit der Finanzkrise hat Spanien wieder A-Ratings bei allen drei großen Agenturen. Die Experten von Moody’s loben „ein ausgeglicheneres Modell des Wirtschaftswachstums, Verbesserungen am Arbeitsmarkt und eine Stärkung der Bankbranche, was die Widerstandsfähigkeit der Wirtschaft erhöht“.
Upgrade der Ratings
Die Aufwertung des Länderratings bestätigt, was sich an den Finanzmärkten schon länger abspielt. Der Risikoaufschlag für spanische Staatsanleihen ist mittlerweile niedriger als der von Frankreich. Die politische und wirtschaftliche Krise im Nachbarland jenseits der Pyrenäen, hat die spanischen Bonds nicht automatisch in Mitleidenschaft gezogen, so wie früher, als die Märkte die südeuropäischen Staaten in Gruppenhaft nahmen.
„Mittlerweile liegt der Fokus mehr auf den Fundamentaldaten jedes Wirtschaftsraums“, erklärte die für Staatsfinanzierung zuständige Staatssekretärin, Paula Conthe, in einem Interview mit der Wirtschaftszeitung Expansión. Die Ratingagenturen hätten die Diversifizierung des Wirtschaftsmodells hervorgehoben. „Wir sind nicht mehr nur Strand und Sonne“, so Conthe. Dank des Upgrades auf A-Noten hat Spanien nun Zugang zu einer neuen Art von Investoren, die konservativere Kriterien befolgen müssen. Die Nachfrage sei sehr hoch, versicherte die Nummer Zwei von Wirtschaftsminister Carlos Cuerpo.
Weniger betroffen von US-Zöllen
Ein Vorteil der spanischen Wirtschaft ist, dass das Land weit weniger den Strafzöllen der US-Regierung von Donald Trump ausgeliefert ist. Die Ausfuhren in die USA betrugen im letzten Jahr nur 5% des gesamten Exports. Spaniens Unternehmen blicken verstärkt nach China und das Abkommen mit dem Mercosur-Block in Südamerika wird den Spaniern ebenfalls zugutekommen, in einer Region, wo sie traditionell stark vertreten sind.
Der Motor der starken Konjunktur ist jedoch die Binnennachfrage. Das erklärt sich größtenteils durch eine für viele Experten überraschende Entwicklung am Arbeitsmarkt. Seit dem Ende der Corona-Krise hat Spanien eine hohe Einwanderung erfahren, mehrheitlich Menschen aus Lateinamerika, die sich dank der gemeinsamen Sprache schnell in den Arbeitsmarkt integrieren. Allein in den zwölf Monaten bis Juni kamen laut Zahlen des nationalen Statistikamtes INE eine halbe Million Migranten ins Land. Dadurch wächst die Erwerbsbevölkerung.
Viele neue Stellen, aber dennoch hohe Arbeitslosigkeit
Im dritten Quartal hatten in Spanien mit 22,4 Millionen Personen so viele Menschen eine bezahlte Stelle wie noch nie, wie die vierteljährliche Erhebung EPA letzten Freitag ergab. In den zwölf Monaten bis September entstanden 564.000 neue Jobs. Paradoxerweise stieg gleichzeitig die Arbeitslosenquote auf 10,45%, weiterhin eine der höchsten in Europa. Die Erwerbsbevölkerung wächst insgesamt, weshalb sich mehr Menschen bei den Arbeitsämtern als arbeitsuchend eintragen.

Lange war die Tourismusbranche, Spaniens größter Wirtschaftszweig, der Motor für neue Jobs. Doch in diesem Jahr entstanden die meisten neuen Stellen in der verarbeitenden Industrie. Trotz der Absatzflaute in vielen europäischen Exportmärkten konnte etwa die spanische Automobilindustrie die Verkäufe in diesem Jahr bis September um fast 15% erhöhen. Spaniens ist nach Deutschland der zweitgrößte Autobauer Europas, obwohl man keine eigene Marke hat. Das Jobwachstum in der verarbeitenden Industrie fiel im dritten Quartal laut EPA im Jahresvergleich mit 4,7% fast doppelt so hoch aus wie der Anstieg des gesamten Arbeitsmarktes. Daher beklagen Arbeitgeberverbände, wie der Verband der Metallindustrie, trotz der hohen Arbeitslosenquote einen zunehmenden Mangel an Fachkräften.
Tourismus kühlt ab
Die spanische Linksregierung verweist mit Stolz und zu Recht darauf, dass vielen Unkenrufen von Volkswirten zum Trotz die deutliche Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns keine negativen Auswirkungen auf die Beschäftigung hatte. Durch die Arbeitsmarktreform von 2022 entstanden zudem mehr unbefristete Stellen, was die einst chronisch hohe Zeitarbeit auf 15% aller Beschäftigten fast halbiert hat. Stabilere Arbeitsverhältnisse stärken das Verbrauchervertrauen und damit den Binnenkonsum.
Die Volkswirte von Funcas, der Stiftung der spanischen Sparkassen, hoben ihre Prognose des Wirtschaftswachstums für dieses Jahr letzte Woche um sechs Zehntelpunkte auf 2,9% an. Der Arbeitsmarkt sei weiterhin robust, aber der Boom in der Reisebranche ebbe ab. „Der Zulauf von Touristen scheint in den letzten Monaten die Obergrenze erreicht zu haben“, schreiben die Experten von Funcas.
Fehlende Wohnungen
Sie warnen vor einem Problem, das die positive wirtschaftliche Bilanz der Linksregierung von Pedro Sánchez trübt. Der Mangel an bezahlbarem Wohnraum wirkt sich negativ auf den Arbeitsmarkt aus und könnte den Zufluss von Migranten bremsen. In den Metropolen oder den Urlaubsgebieten wie den Balearen lohnt es sich wegen der Wohnkosten für viele Erwerbstätige nicht auf Jobsuche zu gehen.
Die Ratingagenturen warnen trotz des Upgrades für Spanien vor den Lasten der hohen Staatsschulden, die auf 103,8% des BIP gesunken sind. „Die proaktiven Konsolidierungsbemühungen waren bisher beschränkt“, kritisiert Fitch. Einer der Gründe dafür ist die instabile politische Lage. S&P hebt „politische Risiken“ hervor. Die Sozialisten von Sánchez und der Koalitionspartner Sumar haben keine eigene Mehrheit im Parlament. Nun haben die katalanischen Separatisten von Junts der Minderheitsregierung die Unterstützung entzogen. Der neue Haushalt ist damit hinfällig und Sánchez muss den Finanzplan von 2023 ein weiteres Mal verlängern.
Im nächsten Jahr laufen die Hilfen aus den Next Generation EU-Funds aus, von denen Spanien massiv profitiert hat. Es braucht daher neue Impulse aus der Politik, damit der Konjunkturmotor nicht zu stottern beginnt.
