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Staatliche SMS-Erziehung

Chinesische Handynutzer werden von den staatlichen Telekomanbietern ungefragt mit allem Wissenswerten per SMS versorgt. Insbesondere wenn es um patriotische Angelegenheiten geht.

Staatliche SMS-Erziehung

Von Norbert Hellmann

Staatliche SMS-Erziehung

Wer einen chinesischen Mobilfunkvertrag hat, wird von seinem Telekomanbieter (man hat die Wahl zwischen drei Staatskonzernen) auf täglicher Basis fröhlich zugetextet. Zu den üblichen Nachrichten über verbleibende Gigabyte im monatlichen Mobile-Data-Kontingent oder neuen Preisknüllern zum Upgrade desselben gesellen sich aber auch Nachrichten von gesellschaftlicher Bedeutung, die der Parteiapparat generiert.

Es gilt, die Bevölkerung über heldenhafte Errungenschaften in der neuen Ära des Sozialismus chinesischer Prägung zu unterrichten, aber auch vor lauernden Alltagsgefahren zu schützen. Einige Beispiele der letzten Wochen zeigen die Bandbreite der staatlichen Berieselung, die zwangsläufig jeden Bürger erreicht, der nicht gerade unter neun oder über neunzig Jahre alt ist.

Friendly Reminder

Anfang Mai, als Chinas erste größere Reisewelle seit Abschaffung der Corona-Restriktionen anstand, ließ das Ministerium für Kultur und Tourismus noch einmal alle daran erinnern, dass zivilisiertes Reiseverhalten auf drei Prinzipien und der Einhaltung von drei Verboten gründet. Das Triumvirat der hehren Grundsätze setzt sich aus Sicherheit, Zuvorkommenheit und Hygienebewusstsein zusammen. Die drei absoluten „No-nos“ für die unternehmungslustige Volksmasse sind Geschrei und laute Geräusche, Graffiti und sonstige Hinterlassenschaften sowie Missachtung von Hinweisschildern. Sicherheitshalber wird der „Friendly Reminder“ an drei aufeinanderfolgenden Tagen unters Publikum gestreut.

Aus der Abteilung nationale Heldenfiguren erhält man wichtige Hinweise von der Propagandaabteilung der Partei. Zuletzt etwa wurde dem Genossen Wan Buyan der Titel eines „Vorbilds seiner Zeit“ verliehen. Er habe als „Pionier der Tiefseeforschung“ mit unermüdlicher wissenschaftlicher Hingabe zur Förderung der technologischen Eigenständigkeit des chinesischen Volkes beigetragen. Per SMS ist man dazu aufgerufen, sich ein Beispiel an dem Kameraden zu nehmen und von ihm zu lernen.

Die Auszeichnung eines zeitgemäßen Vorbilds für die Gesellschaft hat auch die 2. Brigade des chinesischen Luftwaffen-Regiments erhalten. Hier lässt die offizielle Würdigung gleich einmal einen Spitznamen unters Volk streuen. Die Top-Gun-Truppe, von der alle ebenfalls lernen sollen, heißt nun „Eiserne Faust im Luftraum für die neue Ära“.  

Ende Mai galt es den nationalen Tag der Arbeiter im Wissenschafts- und Technologiesektor zu feiern. Also erinnert die China Association for Science and Technology daran, einer Innovationskultur zu frönen. Der Telekomkunde ist aufgefordert, sich am „Aufbau einer starken Nation zu beteiligen, die technologische Unabhängigkeit (vom Ausland) auf hohem Niveau gewährleistet“. Pünktlich zum Internationalen Anti-Drogen-Tag am 26. Juni lässt die Nationale Drogenkontrollkommission wissen, dass man in dieser Angelegenheit stets auf der Hut sein soll. Die fürsorgliche Textnachricht ermuntert alle Bürger, sich auf einen „gesunden, grünen und nichttoxischen Lebensstil“ zu besinnen.

Traue niemals einem Aktiengott

Auch um Privatinvestoren wird sich gekümmert. Zuletzt etwa konnte man vom Interministeriellen Büro zur Bekämpfung der illegalen Einwerbung von Investmentgeldern erfahren, dass eine hohe Rendite immer auch mit hohen Risiken verbunden ist. Entsprechend gilt es der Versuchung von hohen Spekulationsprofiten zu widerstehen.

Chinas Wertpapierregulator mahnt parallel dazu, keinen unseriösen Anlagetipps von vermeintlichen Experten im Internet zu folgen. Traue keinem, der sich als „Gott auf dem Aktienmarkt“ darstellt, heißt es wörtlich. Die guten Ratschläge erstrecken sich sogar auf das Geschäft mit Initial Public Offerings (IPOs). Es gilt nämlich, dem „Mythos“ abzuschwören, dass man bei Aktienerstemissionen „steinreich“ werden könne.

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