Steuerparadies Hessen
Notiert in Frankfurt
Steuerparadies Hessen
Von Lutz Knappmann
Die Frist ist abgelaufen. Da helfen keine Ausreden und keine Entschuldigungen. Am 31. Juli war für viele Arbeitnehmer der Stichtag für ihre Steuererklärung. Wer bis dahin nicht eingeliefert hat, muss mit einem bösen Brief vom Finanzamt rechnen.
Moment! Nicht unbedingt. Einige Briefe an säumige Steuerzahler in Hessen werden dieses Jahr keineswegs unfreundlich ausfallen, sondern konstruktiv und hilfsbereit: Im Rahmen eines Pilotprojekts in Kassel schickt das Finanzamt 6000 Anlage-N-Bummlern statt einer Mahnung einfach einen Vorschlag für den fertigen Steuerbescheid. Nehmen sie diesen an, ist die Sache erledigt. Ergänzen sie weitere Angaben, Einkünfte oder Formulare, läuft das direkt und digital über das Steuerportal Elster.
Entlastung für alle Beteiligten
Wait! What?! Echter (und dazu noch digitaler) Kundenservice in der Finanzverwaltung? Das Pilotprojekt, das Hessens Finanzminister Alexander Lorz (CDU) unter das Motto „die Steuer macht jetzt ihr Amt“ gestellt hat, ist freilich nicht altruistisch gedacht: Die Bearbeitung Abertausender Standard-Steuererklärungen, etwa von Angestellten ohne ungewöhnliche Einkünfte oder komplexere Geldanlagen, bindet erhebliche Ressourcen in den Finanzämtern. Nicht zuletzt, weil die von genervten und fachfremden Privatpersonen widerwillig ausgefüllten Formulare fehlerträchtig sind. Warum sie also nicht gleich von den Steuerexperten anlegen lassen?
Natürlich füllen Kassels Finanzbeamte die Dokumente nicht manuell aus, sondern lassen sie automatisch und digital erstellen. Schließlich werden die wichtigsten Steuer- und Einkommensdaten den Ämtern ohnehin direkt von den Arbeitgebern gemeldet - und lassen sich leicht in einen Vorschlag für den Steuerbescheid gießen, den der Steuerpflichtige nur noch überprüfen muss. Das Ergebnis, so die Hoffnung der hessischen Finanzverwaltung, ist eine Entlastung für alle Beteiligten. Eine Win-Win-Situation, wie sie in anderen Ländern Europas, etwa in Schweden, längst etabliert ist.
Mehr Aufmerksamkeit für die komplexen Steuerfälle
Während Steuerzahler also davon träumen dürfen, ihr alljährliches Steuererklärungswochenende künftig nicht am Schreibtisch, sondern am Strand zu verbringen, wird sich die Arbeit der Finanzämter bestenfalls verlagern. Denn der Aufwand für die Bewältigung steuerrechtlicher „Normalfälle“ hält die Behörden vor allem davon ab, sich intensiver um komplexe Fälle zu kümmern, in denen es um wirklich relevante Summen geht. Und in denen sie es auf der „Gegenseite" mit Steuervermeidungsexperten zu tun haben, die jeden Trick und jedes Schlupfloch auszunutzen versuchen.
Aus einem Paradies für findige Steuerrechtsprofis, die mangels ausreichend intensiver Prüfungen alljährlich Milliardensummen an der Staatskasse vorbeischleusen, versucht Hessen nun einen besseren Ort für all Jene zu machen, die sich trotz geringer fiskalischer Auswirkung an die steuerrechtlichen Regeln halten - wenn auch nicht pünktlich.