Notiert inWashington

Supreme Court trifft US-Verbraucher ins Mark

Die Entscheidung des US-Supreme Court, die von Präsident Joe Biden angeordnete Schuldenreduzierung für Studenten aufzuheben, wird Folgen für die Wirtschaft haben.

Supreme Court trifft US-Verbraucher ins Mark

Notiert in Washington

Ins Mark getroffen

Von Peter De Thier

Den langen, schwülen Sommer in Washington hatte sich Jason M. (26) anders vorgestellt. Geplant hatte er, morgens zu seinem Job als Junior Manager bei einem führenden Heimwerkermarkt zu fahren. Abends wollte er in der Wohnung seiner Mutter, bei der er zusammen mit seiner jüngeren Schwester lebt, Spanisch lernen, um seine mexikanische Freundin zu überraschen. Vorgesehen war dann im August, mit einer Gruppe von früheren Kommilitonen zehn Tage am Strand von Virginia Beach zu verbringen. 

Seitdem das US-Verfassungsgericht, der Supreme Court, aber vorletzte Woche den von Präsident Joe Biden angeordneten Schuldenerlass für Millionen von Studenten aufgehoben hat, hat sich Jasons Leben dramatisch verändert. Ab Oktober wird er nämlich wieder beginnen, Monatsraten von knapp 800 Dollar zu zahlen, um Schulden in Höhen von mehr als 70.000 Dollar zu bedienen, die sich während seines Studiums angehäuft haben. Der junge Betriebswirt musste folglich sein Auto verkaufen und pendelt nun mit dem Fahrrad zwischen der Wohnung und seinem knapp 20 Kilometer entfernten Job. Wenn er nachmittags bei brütender Hitze nach Hause radelt, ist er zu erschöpft, um den Online-Spanischkurs fortzusetzen, und an den Strandurlaub gegen Ende des Sommers ist schon gar nicht mehr zu denken.

Jason ist einer von mehr als 43 Millionen Amerikanern, die im Schnitt unter fast 29.000 Dollar an Schulden ächzen, sobald sie die Uni verlassen. Viele hatten zwar Teilstipendien oder staatliche Zuschüsse erhalten. Die aber reichen bei Gebühren von durchschnittlich 38.000 Dollar pro Jahr an Privatunis nicht annähernd aus. Sie konnten erleichtert aufatmen, als Biden vergangenes Jahr dekretierte, dass das Bildungsministerium für ehemalige Studenten, die als Berufstätige ein Jahreseinkommen von weniger als 125.000 Dollar haben, unter bestimmten Auflagen bis zu 20.000 Dollar an Schulden streichen kann. Auch ermächtigte er das Ministerium damit, individuelle Zahlungspläne zu vereinbaren, die den Einkommensverhältnissen der Schuldner entsprechen. 

Ferner sollten jenen, die entweder für wohltätige Organisationen arbeiten oder sich für eine Laufbahn im öffentlichen Dienst entschieden haben, Gutschriften angerechnet werden, die von den Schulden abgezogen werden. Mehrere republikanisch regierte Staaten reichten prompt Klage ein. Sie argumentierten, dass die Schuldenerleichterungen Besserverdienende diskriminierten. Ihnen gab der Oberste Gerichtshof nun recht, womit im Herbst für Millionen von Berufstätigen wie Jason ein böses Erwachen droht.      

Leidtragende sind aber nicht nur die Darlehensnehmer selbst. Angst geht auch im Einzelhandel um, der nun gerade im Herbst, wenn das Weihnachtsgeschäft langsam anläuft, empfindliche Umsatzeinbrüche befürchtet. So wird der Kaufkraftverlust, der als Folge der auslaufenden Schuldenerleichterungen eintreten wird, auf mehr als 3% des Umsatzes geschätzt, den der US-Einzelhandel im Mai erzielt hat. Treffen könnte das alle Sektoren des Einzelhandels, in denen Verbraucher, die künftig den Gürtel enger schnallen müssen, auf Ausgaben verzichten werden – von der Heimelektronik über Bekleidung, Online-Streamingdienste und den Sportwarenhandel bis hin zur Reisebranche.  

Brad Thomas, Analyst bei Keybanc Capital Markets, warnt insbesondere vor dem psychologischen Effekt, den das Ende des Schuldenerlasses bei Konsumenten entfalten könnte. Zwar würden die Folgen des Urteils des Obersten Gerichtshofs „nicht darüber entscheiden, ob die Wirtschaft in eine Rezession abgleitet oder nicht“. Doch könne es bedeuten, „dass der Branche beim Weihnachtsgeschäft eine bittere Enttäuschung drohen wird“. Biden will sich aber nicht geschlagen geben. Er beruft sich nun auf den Higher Education Act aus dem Jahr 1965, das dem Bildungsministerium erlaubt, Studentenschulden zu streichen. Er könnte damit zugleich die nächste Welle von Gerichtsverfahren lostreten. Die Republikaner jedenfalls bereiten sich schon vor.

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