LEITARTIKEL

Swinging London

Die Hauspreise in London sind in den vergangenen Monaten derart gestiegen, dass sich in Großbritannien Angst vor einer Immobilienblase breitmacht. Hinzu kommt der von Politikern und Medien geschürte Argwohn, ausländische Investoren schnappten den...

Swinging London

Die Hauspreise in London sind in den vergangenen Monaten derart gestiegen, dass sich in Großbritannien Angst vor einer Immobilienblase breitmacht. Hinzu kommt der von Politikern und Medien geschürte Argwohn, ausländische Investoren schnappten den Bewohnern der britischen Metropole die besten Lagen weg. Prinzen aus dem Morgenland, Oligarchen aus der ehemaligen Sowjetunion und superreiche Asiaten werden zudem gerne dafür verantwortlich gemacht, dass sich viele ein Eigenheim dort nicht mehr leisten können. Und das, obwohl die Anforderungen an das mitzubringende Eigenkapital niedriger liegen als in Deutschland – ab Januar sollen 5 % des Werts der zu erwerbenden Immobilie reichen.Wenig geschickt stellte sich vor diesem Hintergrund der Vermarkter von 191 Luxuswohnungen am Olympischen Park in Stratford an. Er wies in der Werbung für eine Verkaufsveranstaltung in Kuala Lumpur ausdrücklich darauf hin, dass es dort keine Sozialwohnungen geben wird. Das kam in London nicht gut an, wo Sozialwohnungsblocks aus den 1970er Jahren wie Heygate in Southwark ambitionierten Entwicklungsprojekten Platz machen müssen. Groß war der Aufschrei in der Hauptstadtpresse, in der auch immer wieder vor einem kreditfinanzierten Immobilienboom gewarnt wird. Davon kann aber bislang keine Rede sein.Die hohen Preise in London sind allein auf das große Interesse und das bescheidene Angebot zurückzuführen. Staatliche Hilfsprogramme für Eigenheimbesitzer wie “Help to Buy” feuern die Nachfrage zusätzlich an, ohne auf der Angebotsseite für Entlastung zu sorgen. Zudem hat der neue Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, potenziellen Hypothekenkreditnehmern auf lange Sicht niedrige Zinsen in Aussicht gestellt. Hausbaugesellschaften und Verkäufer schöpfen die daraus resultierende zusätzliche Kaufkraft gerne durch höhere Preise ab.Was Gewerbeimmobilien angeht, werden in der Hauptstadtregion Objekte entwickelt – von ehemaligen U-Bahnhöfen bis hin zu Luftwaffenstützpunkten -, für die es in Deutschland kaum Interessenten gäbe. Einen Kredit benötigen Investoren aus dem ehemaligen britischen Protektorat Katar oder dem erst 1984 in die Unabhängigkeit entlassenen Sultanat Brunei in der Regel nicht. Und Luxusheime in Chelsea oder Kensington werden meist bar bezahlt. Das kommt vielen Griechen ebenso entgegen wie zahllosen Osteuropäern. London ist ein Magnet für Fluchtgelder aus aller Welt. Böse Zungen nennen es “Londoha”, in Anlehnung an Doha, die Hauptstadt von Katar.Wer den Tunnelblick auf nicht mehr mit der U-Bahn erreichbare Gegenden im Westen und Norden der Hauptstadt erweitert, stellt fest, dass die Preise dort, in Birmingham, Bristol oder Manchester – wenn überhaupt -, bei weitem nicht so stark gestiegen sind wie in Swinging London. Der Finanzstabilitätsrat der Bank of England, den ausgerechnet ein Berufsverband von Immobiliensachverständigen zum Eingreifen aufgefordert hatte, kam zu einem ähnlichen Ergebnis. Zwar hätten die Hauspreise im August um 5 % höher gelegen als ein Jahr zuvor. Die Aktivität am Häusermarkt und die Beleihungshöhe bei neuen Hypothekenkrediten lägen aber unter ihren historischen Durchschnittswerten. Die Aufwendungen der privaten Haushalte für den Schuldendienst seien niedrig und das Verhältnis von Hauspreisen und Einkommen befände sich auf dem Stand von vor einem Jahrzehnt.Insgesamt befinden sich die Hauspreise noch rund ein Zehntel unterhalb der 2007 erreichten Rekordstände. Inflationsbereinigt kann man von einem verlorenen Jahrzehnt sprechen. Rechnet man London und Umgebung heraus, macht man sich noch weniger Sorgen um eine Immobilienblase. Dafür fehlt es einfach an Kaufinteressenten, die für die Bewilligung einer Hypothek ausreichend solvent wären. Es mag ja sein, dass Immobilienkredite derzeit so billig sind wie nie zuvor, aber das bedeutet nicht, dass die Kreditgeber ihre Vergaberichtlinien gelockert hätten. Gerade die großen Retailbanken sind sehr bemüht, zusätzliche Risiken zu vermeiden, um die Kapitalanforderungen der Aufsichtsbehörden zu erfüllen.Statt die Laufzeiten von Hypotheken zu begrenzen oder die Eigenkapital- und Einkommensanforderungen an Schuldner nach oben zu schrauben, sollten Maßnahmen getroffen werden, um den Bau neuer Wohnungen in London zu erleichtern – sowohl administrativ als auch finanziell. Dann kämen auch die Preise wieder auf ein erschwinglicheres Niveau zurück.——–Von Andreas HippinVon einem kreditfinanzierten Immobilienboom kann in Großbritannien bislang keine Rede sein. Dass die Hauspreise in London steigen, hat andere Ursachen.——-