Tauziehen der Großmächte
Gas ist ohnehin schon so teuer, dass es den Unternehmen und Verbrauchern schadet. Jetzt schiebt die Bundesnetzagentur die Zertifizierung der russischen Ostseepipeline Nord Stream 2 auf – und treibt den Gaspreis damit noch weiter nach oben. Dahinter steckt nicht unmittelbar politischer Druck, aber indirekt dann wieder doch.
Eigentümer der Pipeline ist die Nord Stream 2 AG, eine hundertprozentige Tochter des russischen Staatskonzerns Gazprom mit Sitz in Zug in der Schweiz. Finanziert wird das 10 Mrd. Euro teure Projekt zur Hälfte von den fünf westlichen Energiekonzernen Uniper, Wintershall, Engie, OMV und Shell. Eine separate Tochter für den Betrieb des deutschen Teilstücks von 55 Kilometern der insgesamt 1234 Kilometer langen Pipeline muss gegründet werden, um die Vorschriften der Europäischen Union zu erfüllen, wonach Gasproduzenten rechtlich von den Unternehmen getrennt sein müssen, die den Brennstoff transportieren.
Um die Entflechtungsregeln der EU zu erfüllen, hätte Nord Stream 2 das deutsche Pipeline-Teilstück auch verkaufen oder ein anderes Unternehmen mit dem Betrieb beauftragen können. Das wäre schwierig geworden, weil viele Unternehmen fürchten, so in den Geltungsbereich der US-Sanktionen gegen die Pipeline zu kommen. Deshalb – und auch auf Verlangen der Netzagentur – wählte Nord Stream 2 im Sommer 2020 den Antrag auf Entflechtung per Gründung einer separaten Tochter, die mildeste Variante der Entflechtung. Dafür muss nun noch die vorgeschriebene deutsche Rechtsform für ebendiese Tochter nachgeliefert werden.
Inzwischen ist der politische Druck aus Brüssel sowie aus dem Bundestagswahlkampf und durch die US-Sanktionen offenbar so hoch geworden, dass die Netzagentur die in der Vergangenheit übliche Parallelität von Entflechtung und Inbetriebnahme in diesem Fall nicht zulassen will. Weil alle so genau hinschauen, wird nicht mehr nur auf den Geist, sondern auch auf jeden Buchstaben der Regeln gepocht. Erst muss alles stimmen. Es sollen keine Angriffsflächen für späteres Nachkarten entstehen.
Insofern ist die sachlich korrekte Entscheidung der Behörde auch politisch geprägt. Es geht um die ganz große (Industrie-)Politik. Darum, ob Europa noch mehr russisches Gas bezieht oder US-Flüssiggas und darum, zu wessen „Hinterhof“ die Ukraine zählt. Für den Gasmarkt und die Wirtschaft ist das vorübergehend verheerend. Teures Gas macht auch den Strom teurer. Das trägt zur ohnehin schon galoppierenden Inflation bei – und könnte so verfrühte Zinserhöhungen erzwingen.