Dorniger Weg der Transformation
IM BLICKFELD
Dorniger Weg
der Stahl-Transformation
Die Transformation der Stahlindustrie ist ein teures Unterfangen mit ungewissem Ausgang. Doch ohne Stahlindustrie ist die Deindustrialisierung nicht aufzuhalten.
Von Annette Becker, Köln
Es schwingt Stolz und Freude in der Stimme mit, als Dennis Grimm, CEO der Stahlsparte von Thyssenkrupp, am vergangenen Freitag offiziell die neuen Produktionsaggregate am Standort Duisburg in Betrieb nimmt. Im Beisein von NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur wird die erste Bramme im „modernsten Produktionsverbund der europäischen Stahlindustrie“ gewalzt. 800 Mill. Euro hat Thyssenkrupp Steel in eine neue Stranggießanlage samt Warmbandwerk und vollautomatisierter Brammenlogistik gesteckt, eine der größten Investitionen der Firmengeschichte.
„Das ist ein starkes Signal für den Stahl und den Standort Duisburg. Hier entsteht Zukunft“, schwärmt Grimm. Vergessen macht das die akuten Probleme der Stahlsparte allerdings nicht. Seitdem sich ArcelorMittal kürzlich gegen den Bau einer Direktreduktionsanlage (DRI) am Standort Bremen entschieden und den 1,3 Mrd. Euro schweren Förderscheck zurückgegeben hat, ist die Zukunft der energie- und emissionsintensiven Branche zumindest in Deutschland wieder in aller Munde. Das Bundeswirtschaftsministerium beeilte sich, die Entscheidung von ArcelorMittal kleinzureden und zu betonen, dass Salzgitter, Thyssenkrupp und die Stahl-Holding-Saar an den Plänen für ihre Direktreduktionsanlagen festhielten.
Rote Karte für den Standort
Dennoch ist die Entscheidung an Signalwirkung nicht zu unterschätzen: Der weltweit zweitgrößte Stahlproduzent, der rund um den Globus Produktionsstätten unterhält, zeigt dem Standort Deutschland die rote Karte. Hinzu kommt, dass die Luxemburger noch nicht mit dem Bau der DRI-Anlage begonnen haben. Sprich: Es sind noch keine Subventionen geflossen. Dagegen ist ein Baustopp für die drei deutschen Hersteller keine Option. Sie müssten die Fördermittel zurückzahlen. Obendrein drohten hohe Vertragsstrafen an die beauftragten Anlagenbauer.
„Wir sind überzeugt, dass grüner Stahl wirtschaftlich wird“, macht sich Salzgitter-Chef Gunnar Groebler Mut. Sein Unternehmen ist beim Bau der DRI-Anlage, in der dem Eisenerz mittels Erdgas oder Wasserstoff der Sauerstoff entzogen wird, am weitesten vorangeschritten. Die Inbetriebnahme der Anlage wird für das erste Halbjahr 2027 avisiert. Grüner Wasserstoff wird dann allerdings noch nicht verfügbar sein. In Salzgitter kommt das Wasserstoffkernnetz erst 2029/30 an.
Die CO2-Emissionen werden jedoch auch mit Erdgasbetrieb deutlich reduziert. Allein der Wechsel vom Hochofen auf die DRI-Anlage spare 60% der CO2-Emissionen ein, erläutert der Salzgitter-Chef. Im Wege der Direktreduktion wird Eisenschwamm hergestellt, der zu grünem Stahl weiterverarbeitet wird. Am Anfang werde grüner Stahl teurer sein, perspektivisch aber billiger als auf der Hochofenroute produzierter Stahl, sagt Groebler.
Teure Verschmutzungsrechte
Der Grund: Im kommenden Jahr beginnt für die europäische Stahlindustrie der stufenweise Abbau der kostenfreien Emissionszertifikate. Bis 2034 dürfen die Stahlhersteller kein CO2 mehr zum Nulltarif ausstoßen. Da zugleich die Gesamtzahl der zur Verfügung stehenden Verschmutzungsrechte Jahr für Jahr reduziert wird, wird ein scharfer Preisanstieg erwartet. Im Basisszenario, in dem Klimaneutralität bis 2050 unterstellt wird, kalkuliert Boston Consulting Group (BCG) bis 2040 mit einem Zertifikatspreis von 195 Euro je Tonne CO2. Heute sind es etwa 70 Euro. Bis 2030 rechnet BCG allein aufgrund der Zertifikatsthematik mit einem Anstieg der Produktionskosten um 38%.

Dennoch mahnt Nicole Voigt, die als Partnerin von BCG das weltweite Metallgeschäft leitet, zur Eile: „Wir sollten den Dekarbonisierungspfad in keinem Fall verlangsamen, weil sonst der Vorsprung gegenüber dem Rest der Welt verloren geht.“ Heute differenziere sich Europas Stahlindustrie mit sehr ausgefallenen Güten. In den nächsten fünf Jahren dürften das auch andere können. „Daher müssen wir dem Stahl eine weitere Eigenschaft hinzufügen und die heißt grün“, begründet sie. Die Tatsache, dass der auf der Hochofenroute hergestellte Stahl spätestens ab 2034 nicht mehr wettbewerbsfähig ist, ist jedoch noch kein Beleg für die internationale Wettbewerbsfähigkeit grünen Stahls „Made in Germany“.
„In Europa gibt es keinen Business Case für grünen Stahl“, lautet die ernüchternde Botschaft von Axel Eggert, Generaldirektor des europäischen Branchenverbands Eurofer. Ein Aus für die europäische Stahlindustrie darf das aber nicht bedeuten, appelliert Voigt: „Die Stahlindustrie wird in Europa gebraucht, denn sonst deindustrialisieren wir.“ Dabei geht der Fingerzeig nach Großbritannien. Das Argument ist valide, sind doch zwei Drittel der deutschen Industrieproduktion stahlintensiv.
Forderungskatalog
Umgekehrt stehen die europäischen Stahlhersteller heute schon unter massivem Wettbewerbsdruck. Die Gründe sind vielfältig und reichen von hohen Energiekosten über Nachfrageschwäche bis hin zu Überkapazitäten. Groebler, der auch Präsident der Wirtschaftsvereinigung Stahl ist, zählt daher auch eine ganze Reihe an Voraussetzungen auf, um grünen Stahl aus Deutschland wirtschaftlich zu machen: Senkung der Strompreise, Etablierung von Leitmärkten, um die Nachfrage anzuheizen, Verfügbarkeit von grünem Wasserstoff zu wettbewerbsfähigen Preisen und in ausreichender Mengen sowie Schutz vor Billigimporten. Im Endeffekt muss der Staat der Branche für lange Zeit unter die Arme greifen. „Wir müssen uns der Tatsache stellen, dass es Subventionen braucht, um die grüne Transformation hinzubekommen“, sagt Voigt.
Doch obgleich Stahl am Beginn vieler Wertschöpfungsketten steht, sollte sich Deutschland von der Idee der integrierten Hüttenwerke verabschieden. „Es wird zu einer Entkoppelung zwischen der Eisen- und Stahlproduktion kommen“, ist Voigt überzeugt. „In Mitteleuropa werden die Wasserstoffkosten auf einer 24/7-Basis dauerhaft fast zweimal so hoch sein wie im Nahen Osten. Damit wird es schwer Eisenschwamm wettbewerbsfähig herzustellen, denn die Wasserstoffkosten machen 60 bis 70% der Herstellkosten von Eisenschwamm aus“, verdeutlicht die Beraterin. Das Gros des für die Grünstahlproduktion erforderlichen Eisenschwamms muss importiert werden.
Nachfrage übersteigt das Angebot
Allerdings stellt sich die Frage, wie schnell und in welchem Umfang Kapazitäten weltweit aufgebaut werden. Heute zumindest sind die erforderlichen Mengen laut Voigt am Weltmarkt nicht verfügbar. Und das Problem wird sich verschärfen: „In den 2030er Jahren wird die Nachfrage nach grünem Stahl das Angebot übersteigen. Nimmt man die Klimaziele der Abnehmerindustrien ernst, muss der Preis für grünen Stahl steigen“, sagt Voigt der Stahlindustrie bessere Zeiten vorher.
Viel mehr als hoffen, dass sich die Prophezeiung bewahrheitet, bleibt Stahlchef Grimm vorerst nicht übrig. Mit den neuen Weiterverarbeitungsaggregaten ist Duisburg aber in jedem Fall gut aufgestellt – ob mit oder ohne DRI-Anlage.