KommentarWohnungsnot

Trauerspiel Tempelhof

Seit dem Volksentscheid 2014 gilt das Tempelhofer Feld als unbebaubar. Dass sich die Wohnungsnot verschärft hat, lässt Berlin nicht umdenken. Selbst der Ideenwettbewerb zeugt von Denkverboten.

Trauerspiel Tempelhof

Wohnungsnot

Trauerspiel
Tempelhof

Von Sebastian Schmid

Wenn ein Konzern erkennt, dass eine Strategie ungeeignet ist, um eine bestimmte Herausforderung zu bewältigen, sucht es alternative Lösungen. Wenn die Politik dasselbe feststellt, schiebt sie die Suche nach Lösungsansätzen auf. Zumindest gilt das für die anhaltende Wohnungsnot. Die erfolglose bis kontraproduktive Mietpreisbremse wurde im Bundestag gerade bis 2029 verlängert. Um einen steigenden Bedarf zu decken, ist sie vollkommen ungeeignet. dafür bräuchte es vor allem mehr Wohnbau. Doch auch da traut man sich an die wirklich schwierigen Fragen nicht heran - insbesondere in Berlin vor den Toren des Bundestags. Vor wenigen Tagen hat die Jury des Ideenwettbewerbs für die Nutzung des Tempelhofer Felds von rund 160 Ideen insgesamt sechs Konzepte vorausgewählt, die im September ausgestellt werden sollen. Nur zwei davon sehen eine Bebauung im Randbereich vor. In einem Volksentscheid hatte sich die Mehrheit der Berliner 2014 explizit gegen eine Bebauung ausgesprochen. Daran zu rütteln scheint keine Option. Dabei waren die Voraussetzungen damals gänzlich andere. Berlin zählte Ende 2013 insgesamt 3,375 Millionen Einwohner - 100.000 weniger als 1993. Die Entscheidung wurde also vor dem Hintergrund stagnierender bis sinkender Bevölkerungszahlen getroffen. 2024 wohnten indes bereits 3,685 Millionen Menschen in der Hauptstadt. Kein Wunder, dass sich die Wohnungsnot immer mehr verschärft. Ein neuer Bürgerentscheid täte angesichts der veränderten Ausgangslage dringend Not. Und mutigere Vorschläge für das Tempelhofer Feld ebenfalls. Stattdessen melden sich die üblichen Berliner Bremsen zu Wort. Architects for Future, der Berliner Naturschutzbund Nabu und der Berliner Landesverband des BUND lehnen jegliche Wohnbebauung schlicht ab. Dabei bräuchte Berlin nicht nur neuen Wohnraum, sondern auch dringend mehr Geld in der Stadtkasse. Das Tempelhofer Feld ist bereits wegen seiner Rolle in Zeiten der Luftbrücke ein Symbol der Freiheit. Heute ist es ein Mahnmal dafür, dass den Berlinern der Pragmatismus der Nachkriegszeit endgültig abhanden gekommen ist.

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