Im BlickfeldNyse und Nasdaq machen Druck

Trend zum Handel rund um die Uhr verschärft Börsenwettbewerb

Die Ambition von New York Stock Exchange und Nasdaq im 24-Stunden-Trading erhöht den Druck auf die internationale Konkurrenz. Zugleich wachsen Sorgen um Liquidität und Marktstabilität.

Trend zum Handel rund um die Uhr verschärft Börsenwettbewerb

Trend zum Handel rund um die Uhr verschärft Wettbewerb der Börsen

Die Ambition von New York Stock Exchange und Nasdaq im 24-Stunden-Trading erhöht den Druck auf die internationale Konkurrenz. Zugleich wachsen Sorgen um Liquidität und Marktstabilität.

Von Alex Wehnert, New York

An der Wall Street und am Times Square locken die Verführungen der Nacht. Durch eine Ausweitung ihrer Handelszeiten wollen New York Stock Exchange (Nyse) und Nasdaq die globale Wertpapiernachfrage künftig noch stärker abschöpfen – dies verspricht den Wettbewerb der internationalen Börsen noch anzuheizen. Denn seitdem die führenden US-Marktbetreiber bei der Wertpapieraufsicht SEC beantragt haben, an Werktagen deutlich länger für Trader offen stehen zu dürfen, stehen andere Handelsplätze unter Reaktionsdruck. Die London Stock Exchange erwägt wohl ebenfalls eine Expansion in den 24-Stunden-Handel, wie im Juli bekannt wurde.

Zögern in Frankfurt

Die Deutsche Börse zeigt sich da noch abwartender. Technisch sei der Marktbetreiber in der Lage, einen Handel rund um die Uhr anzubieten, sagte ein Sprecher Ende Juli bei der Zahlenvorlage zum zweiten Quartal. Die Börse richte sich dabei aber nach der Nachfrage der Marktteilnehmer, und diese sei derzeit nicht in entsprechender Form vorhanden. Für das konservative deutsche Investorenpublikum mag dies zwar zutreffen, betonen Analysten – im Kampf um die Aufmerksamkeit internationaler Anleger könnten ausgeweitete Handelszeiten aber zunehmend zur Waffe werden.

Bulle und Bär vor der Frankfurter Wertpapierbörse: Am führenden Deutschen Handelsplatz herrscht bezüglich einer Ausweitung der Handelszeiten noch große Skepsis.
Bulle und Bär vor der Frankfurter Wertpapierbörse: Am führenden Deutschen Handelsplatz herrscht bezüglich einer Ausweitung der Handelszeiten noch große Skepsis.
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Wie 24-Stunden-Angebote das grenzüberschreitende Trading prägen, zeigt sich bereits im Geschäft Over-the-Counter-Wertpapieren. „Wir fangen viel amerikanisches Interesse an europäischen Aktien auf“, sagt Jason Paltrowitz, Executive Vice President für Corporate Services bei OTC Markets – eine der alternativen Handelsplattformen, die aktuell bereits Übernacht-Trading für nach dem US-Rahmenwerk National Market System regulierte Wertpapiere anbieten.

Wachsendes Interesse an europäischen Werten

Der New Yorker Finanzdienstleister, bisher einziger regulierter Rund-um-die-Uhr-Anbieter für außerbörsliche Transaktionen in den USA, listet amerikanische Hinterlegungsscheine von Unternehmen wie Adidas, BNP Paribas, Heineken, LVMH oder Nestlé, deren Primärnotiz an europäischen Börsen mit Handelsschwerpunkt außerhalb der US-Kernzeiten besteht. „Wir betreiben zwar keine aktive Akquise von Emittenten, aber wir sind auf jeden Fall daran interessiert, mehr Unternehmen mit einer großen Geschäftspräsenz in den USA auch hier an den Markt zu bringen“, betont Paltrowitz.

OTC Markets hat ihre Präsenz in Deutschland gerade durch eine Kooperation mit der Deutschen Börse ausgeweitet. „Über unsere Kapitalmarktpartnerschaft bieten wir deutschen Emittenten einen Zugang zur hoch liquiden US-Investorenbasis, ohne dass sie ihre Primärnotiz verschieben müssen“, sagt Paltrowitz. Der amerikanische Markt sei traditionell insbesondere für Unternehmen attraktiv, die in der Heimat nach eigener Wahrnehmung eine Bewertungslücke aufwiesen.

Globaler Konkurrenzkampf

Das Problem kennt der deutsche Geschäftspartner nur zu gut. Unternehmen wie die Mainzer Pharma-Schmiede Biontech entschieden sich mit Blick auf die tiefe und liquide Investorenbasis von vornherein für ein Notiz in den USA, während insbesondere der Rückzug von Linde aus dem 2023 vielen Vertretern des Frankfurter Finanzplatzes in übler Erinnerung ist. Im Listing-Geschäft gelten die USA ohnehin als enteilt – mit einer Ausweitung der Handelszeiten von Nyse und Nasdaq drohen sie Märkten in Übersee also auch im Trading das Wasser abzugraben.

Eigentlich befinden sich Europas Börsenplätze derzeit in einer aussichtsreichen Position, wie auch Paltrowitz betont. Infolge makroökonomischer Verschiebungen steige das Interesse von US-Investoren an ausländischen Märkten. „Ein starkes rechtliches Rahmenwerk und verlässliche ökonomische Daten waren seit langem Säulen der US-Sonderstellung an den Kapitalmärkten“, betont Paltrowitz. Genau an diesen Säulen zweifeln Investoren infolge wiederholter Eingriffe von US-Präsident Donald Trump allerdings.

Sorge um Unabhängigkeit von Institutionen

So entließ der Republikaner nach der Abwärtsrevision von Arbeitsmarktdaten Anfang August in einem viel kritisierten Schritt Erika McEntarfer, Leiterin des Bureau of Labor Statistics (BLS). Als Nachfolger nominierte der Präsident den rechten Ökonomen EJ Antoni, der zu den Verfassern des „Project 2025“ zählt – einer Studie, die als Drehbuch für Trumps zweite Amtszeit gilt, die Existenzberechtigung staatlicher Institutionen infrage stellt und die Übertragung der gesamten Staatsgewalt an den Obersten Befehlshaber zum Ziel erklärt.

Angriff auf unabhängige Institutionen: Donald Trump setzt Fed-Chef Jerome Powell unter Druck.
Angriff auf unabhängige Institutionen: Donald Trump setzt Fed-Chef Jerome Powell unter Druck.
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Neben Trumps Versuchen, die Veröffentlichung von Wirtschaftsdaten zu beeinflussen, verunsichern vor allem seine scharfen Angriffe auf die Federal Reserve die Anleger. Diese führen nun zu einem Rechtsstreit um die Entlassung von Notenbank-Gouverneurin Lisa Cook, die als Gegnerin der vom Präsidenten geforderten rapiden Zinssenkungen gilt. Trump wirft Cook Hypothekenbetrug vor – ein Vorwand, unterstreichen Kritiker. Die wachsenden Sorgen um die Unabhängigkeit der Fed haben den Abwertungsdruck auf den Dollar im laufenden Jahr noch verstärkt und zu Turbulenzen am Bondmarkt geführt.

Aussichtsreise Position für EU-Börsen

„Wenn Europa richtig agiert, ist es sehr gut vorstellbar, dass der Kontinent nachhaltig internationale Kapitalzuflüsse anzieht“, führt Paltrowitz aus. Dafür müsse die Europäische Union ihre Kapitalmarktregulierung und -Infrastruktur stromlinienförmiger aufstellen. Paltrowitz sieht höhere Verteidigungsausgaben als Treiber für die europäischen Aktienmärkte – dies habe sich jüngst auch schon am Aufschwung der Mailänder Börse gezeigt.

Und doch sei fragten gerade asiatische Investoren europäische Werte außerhalb der regulären Handelszeiten in großem Stil über amerikanische Börsenplätze nach. Wenn nun neben kleineren Anbietern und Over-the-Counter-Plattformen auch die führenden Marktbetreiber in den 24-Stunden-Handel vorstoßen, dürfte sich dieser Trend noch verstärken – so sehen es die Pläne der Nyse dezidiert vor. Denn diese können aufgrund ihrer Stärke im Listing-Geschäft eben auch mit einer wachsenden Bandbreite internationaler Werte bei Tradern punkten.

Warnung vor Liquiditätseinbußen

Die Nyse will auch eine Alternative zu Brokern wie Robinhood darstellen, die durch Kooperationen mit Trading-Systemen wie Blue Ocean bereits ausgewählte Aktien und ETFs zum Handel rund um die Uhr bieten. Gleichsam sind die US-Brokerage-Plattformen mit ihrer wachsenden Nutzerbasis auch im Rund-um-die-Uhr-Geschäft ein wichtiger Distributionskanal für Börsenbetreiber. Sie tragen entscheidend dazu bei, neue Investoren an Aktien heranzuführen und somit trotz des politischen Umfelds die Tiefe und Liquidität des US-Kapitalmarkts zu stärken.

Broker wie Robinhood sind im 24-Stunden-Handel bereits vorgeprescht.
Broker wie Robinhood sind im 24-Stunden-Handel bereits vorgeprescht.
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Gerade mit Blick auf die Liquidität zeigen sich deutsche Vermögensverwalter bezüglich einer Ausweitung der Handelszeiten aber skeptisch, wie eine Umfrage der Börsen-Zeitung jüngst ergeben hat. Werner Eppacher, Global Head of Trading der DWS, hebt das Risiko hervor, „dass starke Kursausschläge in den illiquiden Randzeiten den Markt destabilisieren“. Damit schlägt er in die gleiche Kerbe wie die Nonprofit-Organisation Healthy Markets, die vor einer fragmentierten Liquidität und steigenden Volatilität infolge der Ausweitung der US-Handelszeiten warnt.

Wachsende Risikofreude

Investorenschützer fürchten zudem, dass gerade Privatanleger künftig in größerer Zahl in zunehmend riskantere Trades gelockt werden. „Retail-Trader werden in Übernachtsitzungen in einem Markt mit weniger Wertpapierkäufern und -Verkäufern agieren und damit schlechtere Kurse gestellt bekommen als während der üblichen Handelszeiten“, moniert die Organisation Better Markets. Und selbst OTC-Markets-Manager Paltrowitz mahnt vor den Risiken eines schnelllebigeren Tradings – zumal die „Gamification“, die Einbindung spielerischer Elemente auf Brokerage-Plattformen, ohnehin schon zu einer wachsenden Risikofreude von Investoren führe.

„Ich glaube, dass noch viel struktureller und regulatorischer Wandel notwendig wäre, bevor die großen Börsenbetreiber tatsächlich zum 24-Stunden-Handel übergehen können“, sagt der ehemalige J.P.-Morgan- und BNY-Mellon-Banker. Und doch müssen sich neben internationalen Handelsplätzen auch spezialisierte Rund-um-die-Uhr-Plattformen in den USA auf verschärften Wettbewerb durch Nyse und Nasdaq vorbereiten: An Letzterer soll die Ausweitung der Handelszeiten auf 24 Stunden bereits in der zweiten Jahreshälfte 2026 Realität werden.