Notiert inSchanghai

Trügerisches Quecksilber

In Peking soll es jüngst mörderisch heiß gewesen sein. Die Frage, wie hoch die Temperatur tatsächlich lag, wird zum neuen diplomatischen Streitfall zwischen China und USA.

Trügerisches Quecksilber

Trügerisches Quecksilber

Von Norbert Hellmann

Wenn man beim Smalltalk zunächst einmal über das Wetter redet, sollte das unverfänglicher sein, als mit einer politischen Diskussion zu beginnen. In Peking funktioniert das gerade nicht. In der aktuellen Wetterlage der chinesischen Hauptstadt schwingt eine geopolitische Note mit. Schuld daran sind selbstverständlich die Amerikaner.

Halten wir zunächst einmal fest, dass es in den meisten Teilen Chinas derzeit recht warm ist. In Schanghai etwa misst man so um die 35 Grad. Für Peking zeichnen sich in der ersten Juliwoche Spitzentemperaturen zwischen 34 und 38 Grad ab. So weit, so unaufgeregt. Es ist halt überall ein bisschen wärmer als in früheren Jahren. Manche behaupten nun, dass die Quecksilbersäule in der Hauptstadt zuletzt weit höher stieg als öffentlich ausgewiesen. Gibt es ein politisches Interesse, etwaige Hitzerekorde ein wenig herunterzuspielen, um das China-Klima frischer und fröhlicher darzustellen, als es wirklich ist?   

Lassen wir zunächst die offiziellen Wetterdaten sprechen: Mitte Mai bereits wurden in Peking 36 Grad erreicht, was für sich genommen ein Rekordhoch im Wonnemonat bedeutet. Danach ging es weiter aufwärts bis zum schicksalshaften 23. Juni, für den die Wetterstationen in der Spitze 40 Grad meldeten. Zahlreiche Anwohner jedoch stöhnten und ächzten gefühlt unter der Hitze mehr als je zuvor. Bei der US-Botschaft in Peking hat man darauf eine Antwort. Es soll wesentlich heißer gewesen sein, ohne dass sich der offizielle Messwert über die 40-Grad-Marke weiter hinaus bequemte. Laut Daten der botschaftseigenen Messstation kletterte das Thermometer am 23. Juni auf bis zu 45 Grad im Schatten. Damit wäre der Allzeit-Hitzerekord für die Kapitale pulverisiert worden.

Meteorologische Besserwisser

Verbürgen sich Amerikaner für meteorologische Wahrheiten, die chinesischen Behörden zu heiß erscheinen? Will man unerwünschte Schlagzeilen zu Peking als einem Epizentrum der Global-Warming-Misere verhindern? Das Thema ist brisant. In Zeiten, als nicht Hitzewellen, sondern Luftverschmutzung und Smog-Problematik ein Reizthema in China waren, tat sich die US-Botschaft nämlich damit hervor, hauseigene Messwerte über Feinstaubgehalt und toxische Luftqualität in Peking zu veröffentlichen. Denen schenkten besorgte Einheimische zum Ärger des Parteiapparats oft mehr Glauben als den harmloser erscheinenden offiziellen Daten.

Jetzt legen die Amerikaner also den Finger auf eine neue Wunde, nämlich Hitzerekordverschweigung. Von offizieller Seite hört man nichts zum bilateralen Temperaturmessungsgefälle. Auffällig ist aber, dass die Staatsmedien nach anfänglich eifrigen Berichten zur Hitzewelle im Mai nun Zurückhaltung üben. Sie verzichten auf die übliche Darstellung vom tapferen Umgang der Bürger mit meteorologischen Widrigkeiten und niedliche Fotostrecken mit Eis schleckenden Kindern und Wassermelone schlürfenden Senioren. Stattdessen findet man eine lebhafte Berichterstattung darüber, wie sich Teile der US-Bevölkerung mit saisonalen Hitzerekorden in Bundesstaaten wie Texas, Louisiana und Alabama quälen.

In sozialen Medien zankt man sich zur Peking-Wetterfrage. Nationalistisch gesinnte Gemüter unterstellen der US-Botschaft, mit gezielten Falschmeldungen von der Wetterfront sozialen Unfrieden stiften zu wollen. Liberal eingestellte Blogger hingegen ulken über Vertuschungstaktiken der amtlichen Wetterfrösche und legen gespielte Empörung über eine unerhörte Einmischung der USA in wahrlich innere Angelegenheiten Chinas an den Tag. Selbst wenn die Hitzemessung der US-Diplomaten korrekt sein sollte, sagt das nichts über die Wetterlage in China aus, witzeln einige. Das Botschaftsgelände sei ja US-Territorium. Nun, laut Wiener Abkommen sind diplomatische Vertretungen freilich nicht extraterritorial, sondern genießen nur besonderen Rechtsschutz. In diesem Fall aber kann man vielleicht doch einmal ein Auge zudrücken und festhalten, dass nur die Amis ein Hitzeproblem haben.

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