Zur Zeitenwende gehört mehr
Zur Zeitenwende gehört mehr
Arzneimittel
Zur Zeitenwende gehört mehr
Von Karolin Rothbart
78 Mrd. Euro hat Deutschland vergangenes Jahr für Rüstung ausgegeben – 28% mehr als im Jahr davor. Die Bundesrepublik ist damit von Platz sieben auf Platz vier der Länder mit den größten Verteidigungsbudgets aufgestiegen und liegt sogar vor Indien. Die 2022 von Olaf Scholz ausgerufene Zeitenwende in der Außen- und Sicherheitspolitik ist also in vollem Gange.
Das Problem ist, dass sie nicht zu Ende gedacht ist. Denn abgesehen von Panzern, Drohnen und Abwehrsystemen braucht es für echte Verteidigungsfähigkeit und mehr wirtschaftliche Souveränität auch eine dauerhaft verlässliche medizinische Versorgung. Doch bei der Verfügbarkeit von Arzneimitteln nimmt man in Deutschland und Europa schon seit einiger Zeit – wie bei seltenen Erden, Metallen und anderen kritischen Rohstoffen – eine zunehmende Abhängigkeit von China in Kauf.
Hohe Abhängigkeit
Deutschland und Europa sehen seit Jahren dabei zu, wie China zum dominierenden Generika-Produzenten aufsteigt. Das ist extrem fahrlässig.
Das zeigen Zahlen von Pro Generika. In einer Studie des Pharmaverbands wurden 56 versorgungsrelevante Wirkstoffe untersucht. Dazu zählen unter anderem Schmerzmittel, Antibiotika und Diabetes-Medikamente. Das Ergebnis: Bei über einem Drittel ist der Anteil chinesischer Hersteller so hoch, dass die Versorgung bei einem Lieferstopp gefährdet wäre.
China ist sich dessen bewusst, heißt es in der Studie. Der Aufstieg des Landes zum führenden Generika-Hersteller sei strategisch gewollt. Denn die dadurch entstehenden Abhängigkeiten könnten zur Durchsetzung geopolitischer Interessen genutzt werden. Ein Beispiel: Wenn China eine militärische Eskalation rund um Taiwan provoziert und die EU mit Sanktionen reagieren will, könnte die Volksrepublik mit Exportbeschränkungen bei Arzneimitteln antworten. Das Risiko dafür sei hoch.
Nicht nur auf Preis schauen
Nun wurde zwar schon zu Corona-Zeiten deutlich, dass sich Europa in der Arzneimittelversorgung zunehmend erpressbar macht. Doch noch kann der Kontinent gegensteuern und dafür sorgen, dass sich die Produktion für Hersteller hier wieder lohnt. Dafür braucht es entsprechende Anreize und ein Gesundheitssystem, das – trotz des hohen Kostendrucks – den Ernst der Lage erkennt und die Medikamenten-Beschaffung nicht allein vom Preis abhängig macht.
Denn so läuft es bislang in Deutschland: Bei Ausschreibungen für den Arzneimittel-Bezug wählen Krankenkassen in der Regel den Hersteller aus, der den höchsten Rabatt gewährt. 2024 beliefen sich die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für Generika nach Rabatten auf 2,34 Mrd. Euro. Ein Jahr zuvor waren es 2,4 Mrd. Euro. Es wird klar, wo aktuell die Prioritäten liegen.