LeitartikelMachtverschiebung zum Management

US-Regulierung verursacht schwere Schäden an Aktionärskultur

Donald Trump und seine Regulatoren verschieben Macht weg von Investoren und hin zu Unternehmen. Langfristig droht dies die Stärke des US-Kapitalmarkts auszuhöhlen.

US-Regulierung verursacht schwere Schäden an Aktionärskultur

US-Regulierung

Schwere Schäden an der Aktionärskultur

Von Alex Wehnert

Donald Trump und seine Regulatoren verschieben Macht weg von Investoren und hin zu Unternehmen. Langfristig droht dies die Stärke des US-Kapitalmarkts auszuhöhlen.

In den Vereinigten Staaten findet derzeit eine gewaltige Machtverschiebung statt, die den globalen Führungsstatus der Wall Street langfristig gefährdet. Denn US-Präsident Donald Trump und seine Regulatoren verleihen Management-Teams und Verwaltungsräten derzeit deutlich mehr Rechte und Ansprüche – und das zulasten der Aktionärsbasis, deren Beteiligung die einzigartige Tiefe und Liquidität des amerikanischen Kapitalmarkts sichert. Das Drängen des Republikaners auf ein Ende der quartalsweisen Berichtspflichten für börsennotierte Unternehmen bildet dabei nur die Spitze der Entwicklung.

Minderheitsaktionäre übervorteilt

Zuletzt hat die Börsenaufsicht auch den Weg für ein neues Stimmrechtssystem bei ExxonMobil freigemacht, durch das der Ölriese unbequeme Minderheitsaktionäre schwer übervorteilt. Dabei sollen die Vota registrierter Retail-Investoren auf Hauptversammlungen künftig im Sinne des Verwaltungsrats ausgezählt werden, sofern die Aktionäre nicht ausdrücklich widersprechen. ExxonMobil beruft sich darauf, die Teilhabe von Anteilseignern stärken zu wollen. Schließlich stimme der Großteil der Privatanleger, auf die 40% der umlaufenden Aktien des Konzerns entfallen, bei den Jahrestreffen nicht ab, da es für sie zu kompliziert sei, sich durch die Masse an Anträgen zu arbeiten.

Der Verwaltungsrat von ExxonMobil sichert sich durch ein neues Stimmrechtssystem mehr Einfluss.
Der Verwaltungsrat von ExxonMobil sichert sich durch ein neues Stimmrechtssystem mehr Einfluss.
picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Richard Drew

Doch indem sich ExxonMobil diese „verlorenen“ Stimmen einfach selbst zuschlägt, sichert sie sich ein Übergewicht im Vergleich zu Shareholder-Aktivisten, die mit eigensinnigen Initiativen in bestimmten Fällen zwar unnötige Störfeuer für Unternehmen zünden können, gemeinhin aber eine wichtige Funktion als Gesundheitspolizei des Kapitalmarkts einnehmen. In vorherigen Legislaturperioden stand die SEC Versuchen von Unternehmen, „Opt-in“-Prozesse für das Stimmrecht einzuführen, noch im Weg – mit Verweis darauf, dass diese die Unternehmensführung zu mächtig werden ließen und die Kontrolle des Managements durch Aktionäre erschwerten.

Gefährliches Kurzfrist-Denken bei ExxonMobil

Gerade bei ExxonMobil ist diese Kontrolle eigentlich dringend notwendig, machen sich die Texaner doch nach wie vor massiv von der Förderung fossiler Brennstoffe abhängig. Doch dieses Geschäft bietet aufgrund struktureller Preisrückgänge langfristig einen stark abnehmenden Grenznutzen. Statt Mittel in Zukunftsinvestitionen zu stecken, führt ExxonMobil in ungebremst großen Stil Kapital an die Aktionäre zurück, um sich die Breite der institutionellen Investoren gewogen zu halten – auch wenn Buybacks angesichts eines trüberen Liquiditätsausblicks in nicht allzu ferner Zukunft womöglich schuldenfinanziert erfolgen müssten. Auf die Abhängigkeit des Energieriesen als existenzielles Geschäftsrisiko hatte auch der kleine Hedgefonds Engine No. 1 hingewiesen, der vor vier Jahren überraschend einen Stimmrechtskampf gegen den Konzern gewann und sich drei Sitze im Verwaltungsrat sicherte. Die Niederlage bildete wohl den Stein des Anstoßes für das neue Stimmrechtssystem von ExxonMobil.

Nach dem grünen Licht der SEC dürften nun zahlreiche weitere börsennotierte US-Unternehmen dem Beispiel des Ölriesen folgen und danach trachten, die kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Anteilseignern abzuwürgen – dabei ist die lebhafte Debatte doch eine entscheidende Stütze der amerikanischen Aktionärskultur, die der europäischen so viel voraus hat. Für die Börsenaufsicht ist auf ihrem Deregulierungskurs damit aber noch lange nicht Schluss. Unter ihrem von Trump eingesetzten Chef Paul Atkins hat es sich die SEC generell zum Ziel gesetzt, die „Compliance-Bürden“ für Unternehmen zu reduzieren. So will sie börsennotierte Gesellschaften bei „technischen“ Regelverstößen zunächst warnen, bevor sie die Vollstreckungsabteilung vorbei schickt, und den Einfluss von Klimaschutz-Regeln und sozialen Faktoren auf das Reporting reduzieren.

Prozesse unter Ausschluss der Öffentlichkeit

Nahezu unbemerkt hat die SEC zudem die seit Jahrzehnten etablierte Praxis kassiert, Unternehmen den Zugang zum öffentlichen Kapitalmarkt zu versperren, wenn diese Sammelklagen durch Aktionäre verhindern. Nach der neuen Regelung können börsennotierte Gesellschaften missgestimmte Anteilseigner also in Schiedsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit zwingen und so viel negative Publicity vermeiden.

SEC-Chef Paul Atkins will Börsengänge wieder großartig machen.
SEC-Chef Paul Atkins will Börsengänge wieder „großartig“ machen.
picture alliance / Sipa USA | CQ-Roll Call

Ähnlich wie Trumps Vorstoß zur Abschaffung von Quartalsberichten – der durchaus seine positiven Seiten hat, gerade angesichts politischer Turbulenzen im aktuellen Umfeld aber katastrophale Folgen entwickeln könnte – steht dies unter dem von Atkins ausgerufenen Motto „Make IPOs Great Again“. Der Aufsichtschef nimmt damit Bezug darauf, dass sich die Zahl der börsennotierten Unternehmen in den USA seit 1997 halbiert hat und die für gewöhnliche Investoren schwer einsehbaren Private Markets rasant gewachsen sind. Vorgeblich will die Trump-Administration also wieder mehr Unternehmen in das Licht des öffentlichen Kapitalmarkts locken. Doch die Formel „Mehr Transparenz durch weniger Mitspracherecht für Anleger“ kann nicht aufgehen. Die Regulatoren höhlen mit der Aktionärskultur vielmehr die Stärke des gesamten US-Kapitalmarkts aus.