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US-Zölle zwingen Indien zum Spagat in der Handelspolitik

Die Strafzölle von US-Präsident Donald Trump treffen Indiens Exportbranchen hart. Doch das Land bleibt optimistisch, investiert in die Infrastruktur und sucht neue Partner.

US-Zölle zwingen Indien zum Spagat in der Handelspolitik

US-Zölle zwingen Indien zum Spagat in der Handelspolitik

Von Nina Bub, Frankfurt

Die Strafzölle von US-Präsident Donald Trump treffen Indiens Exportbranchen hart. Doch das Land bleibt optimistisch, investiert in die Infrastruktur und sucht neue Partner.

Die wirtschaftliche Entwicklung Indiens ist phänomenal, sagte der indische Notenbankpräsident Sanjay Malhotra bei einer Veranstaltung des IWF in Washington vergangene Woche. Die Geschichte ist tatsächlich beeindruckend: Indien ist die fünftgrößte Volkswirtschaft der Welt. Das Land liegt mit einem Bruttoinlandsprodukt (BIP) von rund 3.9 Mrd. US-Dollar nur knapp hinter Japan. Die Wachstumsdynamik ist einzigartig: Indien bleibt auch weiterhin die am schnellsten wachsende große Volkswirtschaft der Welt. Das BIP legte 2024 um rund 6,5% zu, in den vorangegangenen Jahren war der Zuwachs sogar noch höher und auch für 2025 wird nur ein geringfügig schwächeres Plus von 6,2% erwartet.

Trotz der im Vergleich zu westlichen Staaten enormen Entwicklung bleibt Indien jedoch hinter seinem Ziel zurück: „8% BIP-Wachstum sind im Moment leider völlig unrealistisch. Es wäre jedoch der Zuwachs, den Indien bräuchte, nur um die jedes Jahr auf den Markt strömenden neuen Arbeitskräfte zu absorbieren“, erklärt Werner Kemper von Germany Trade and Invest (GTAI), der Wirtschaftsförderungsgesellschaft des Bundes.

Höchste US-Strafzölle weltweit

Die prognostizierte Wachstumsdynamik ist mit Blick auf die Strafzölle, die US-Präsident Donald Trump gegen Indien erhebt, bemerkenswert. Ein kurzer Blick zurück: Noch im Februar war Indiens Premierminister Narendra Modi zu Besuch in Washington und nannte Trump einen Freund. Doch es folgten die Strafzölle seitens der USA, die sich Ende August abermals erhöhten und aufaddiert einen effektiven Zollsatz von 50% auf einige Warengruppen bedeuten. Davon betroffen sind unter anderem Textilien, Lederwaren, Juwelen und die Fischerei.

Diese arbeitsintensiven Branchen spüren die Zölle unmittelbar, da viele kleine Textil- und Lederhersteller ihren Hauptmarkt in den USA hatten, während ihre direkten Konkurrenten wie Vietnam und Bangladesch von niedrigeren Sätzen profitieren. Deren Produktpalette ist ähnlich; und die US-Importeure können darauf ausweichen. Kemper vom GTAI verweist auf die indische Region Ranipet, wo sich wegen der Lage am Fluss viele Gerbereien angesiedelt haben: „Von den 300 Kleinfirmen haben im September schon 50 aufgegeben. Das ist schon gravierend.“

Enorme Auswirkungen

Die Bedeutung der USA als Handelspartner in dieser Branche wird auch in den Handelsdaten deutlich: Ein Viertel der Ledererzeugnisse aus Indien ging 2024 in die USA. „Für diese Menschen wird es enorme Auswirkungen haben“, sagt Kemper vom GTAI. Es betreffe auch die Juwelenhersteller, Diamantenschleifer und den Garnelenfang. Insgesamt macht der Export von Waren aus Indien in die USA mit 87 Mrd. US-Dollar bisher 2,5% des indischen Bruttoinlandsprodukts aus.

„Indien hat in den letzten Jahren die Handelsbeziehungen zu den USA ausgebaut und plötzlich stehen sie vor einem Scherbenhaufen. Das ist aus indischer Sicht sehr bedauerlich“ sagt Heribert Dieter von der Stiftung Wissenschaft und Politik. Die Idee hinter den Zöllen: Trump kritisiert Indien für dessen Bezug von russischem Öl und sieht sie als Umgehung der Sanktionen an. Mit dem Export hält Russland seine Kriegswirtschaft am Laufen und Trump hat auch anderen Ländern, die weiterhin mit Russland Handel betreiben, Strafzölle angedroht. Indien hatte die Kritik an seinen Ölimporten aus Russland als ungerechtfertigt und unvernünftig zurückgewiesen und auf seine nationalen Interessen und wirtschaftliche Sicherheit verwiesen.

In den vergangenen Monaten ließ sich Indiens Regierung nicht von ihrem Kurs abbringen. Vor wenigen Tagen zeichnete sich jedoch möglicherweise eine Wendung ab: Nach Angaben von US-Präsident Donald Trump habe der indische Ministerpräsident Narendra Modi ihm versichert, dass das Land künftig kein Öl mehr aus Russland kaufen werde. Trump sagte, der indische Stopp des Kaufs von Öl aus Russland sei ein großer Schritt. Der Prozess dazu sei bald abgeschlossen. Nun gelte es, China dazu zu bringen, dasselbe zu tun.

Von indischer Seite wurde dieses Gespräch nicht offiziell bestätigt. Der indische Sprecher des Außenministeriums in Neu-Delhi, Randhir Jaiswal, erklärte vergangenen Donnerstag: „Was die USA betrifft, sind wir seit vielen Jahren bestrebt, unsere Energiebeschaffung auszuweiten“. Das habe sich in den vergangenen zehn Jahren stetig weiterentwickelt. Jaiswal ging allerdings nicht direkt auf eine Erklärung des US-Präsidenten Donald Trump ein, wonach Indien künftig kein Öl mehr aus Russland beziehen werde.

Erstes Zeichen für Neuausrichtung

Inzwischen zeichne sich ab, dass Indien proaktiv versuche, das Beste aus der Situation zu machen, schildert Dieter. Ein erstes Zeichen der Neuausrichtung Indiens ist der Besuch Modis in Japan, einem wichtigen Akteur in der Region und der nächstgrößten Volkswirtschaft der Welt vor Indien. Auch Deutschland und die EU scheinen aktuell ihre Bestrebungen zu verstärken, das geplante Freihandelsabkommen mit Indien zum Abschluss zu bringen: Der deutsche Außenminister Johann Wadephul war im September zu Besuch bei Modi. Unmittelbar zuvor hatte der indische Premierminister auf dem Sicherheitsgipfel der „Shanghaier Organisation für Zusammenarbeit“ in China Russlands Präsident Wladimir Putin getroffen – ein Zeichen dafür, dass sowohl die Beziehungen zu Russland intakt sind, als auch Indien seine grundsätzliche Vorsicht gegenüber China etwas abzulegen scheint.

Der Handel zwischen Indien und der EU umfasst jährlich ein Volumen von gut 160 Mrd. Euro und für Indien ist die EU der zweitwichtigste Handelspartner nach den USA. Die Abkommen von Indien mit Norwegen, der Schweiz und Großbritannien zeigen, dass Indien bereit ist, auf westliche Industrieländer zuzugehen. Die Öffnung des Beschaffungswesens im Freihandelsabkommen mit dem Vereinigten Königreich könnte auch für die EU als Blaupause dienen. Laut Ökonom Dieter war die Europäische Kommission bisher der größte Bremser, „weil sie kein Freihandelsabkommen, sondern ein umfassendes Wirtschaftsabkommen abschließen wollte, das tief in die Regulierung der indischen Wirtschaft eingegriffen hätte“. Inzwischen hätte die Kommission gelernt, dass die EU neue Partner brauche, auch in Südasien, und dass man diesen Partnern nicht vorschreiben könne, wie sie ihre Gesellschaften und ihre Wirtschaft zu organisieren hätten. „Insofern lernt die Kommission schnell – ob sie schnell genug lernt, um bis Ende des Jahres ein Abkommen abzuschließen, ist hingegen offen“, resümiert Dieter.

Fokus liegt auf dem Binnenmarkt

Das Wachstum in Indien ist maßgeblich durch privaten Konsum und staatliche Ausgaben für den Infrastrukturausbau getrieben. Als Reaktion auf die US-Zölle versucht der indische Staat nun, auf vielfältige Weise die Nachfrage im Inland anzukurbeln. Dazu gehört die Vereinfachung und Senkung der Mehrwertsteuer für Grundnahrungsmittel sowie für Leistungen im Bereich Bildung und Gesundheit, wie Kemper vom GTAI aus Neu-Delhi berichtet. Diese Maßnahmen sollen ganz gezielt die ärmere Bevölkerung entlasten und ihren Konsum stärken. Kemper verweist auch auf einen anderen wichtigen Faktor: das Wetter und die Landwirtschaft. Durch einen starken Monsun im vergangenen und aktuellen Jahr werden viele Arbeitskräfte, vor allem Frauen, bei der Ernte benötigt. Dadurch werde das Wachstum gestärkt, da die Beschäftigung wächst und die niedrigen Löhne meist direkt in Konsum verwandelt werden.  

Kemper: „Hier passiert unheimlich viel und der Staat nimmt sehr viel Geld in die Hand“. Es werden Straßen, Autobahnen, Schienennetze und der Luftverkehr ausgebaut. Er betont jedoch, dass ein Großteil der Investitionen staatlich sei, ein Ausbau von privaten Investitionen sei wünschenswert. Der Ausbau der Infrastruktur soll natürlich langfristig auch den Handel stärken, indem neue Handelsrouten erschlossen werden.