USA zwischen hoher Inflation und weicher Landung
USA zwischen hoher Inflation und weicher Landung
Günstige Aussichten trotz großer Abwärtsrisiken – Staatspleite ist wachsende Gefahr
Von Peter De Thier, Washington
Steht die weltgrößte Volkswirtschaft nach zwei Jahren unebenen Wachstums an der Schwelle zur nächsten Rezession oder werden die Resilienz des Arbeitsmarkts, der Industrie und des Finanzsystems den Weg pflastern für eine weiche Landung? Sicher ist nur, dass die Risiken vielfältig sind: von hoher Inflation und steigenden Zinsen über fragile Regionalbanken bis hin zu geopolitischen Risiken und der Möglichkeit einer Staatspleite, die von Tag zu Tag wahrscheinlicher wird.
Noch vor wenigen Monaten hatte J.P.-Morgan-Chase-Chef Jamie Dimon für Schlagzeilen gesorgt, als er vor einer Rezession warnte, die mit einem „Hurrikan“ zu vergleichen sei. Bald danach schwächte er die düstere Prognose ab und sprach nur noch von „Sturmwolken“. Kürzlich dann die komplette Kehrtwende: In einem Fernsehinterview vertrat Dimon sogar die Ansicht, dass es mit Blick auf die weiteren Konjunkturaussichten „gute Gründe“ gebe, zuversichtlich zu sein. Unter anderem nannte er die außerordentlich niedrige Arbeitslosenquote, die Lohnsteigerungen, vor allem am unteren Ende der Einkommensspanne, und die insgesamt günstige Finanzlage der privaten Haushalte. Das Wechselspiel zwischen der Weltuntergangsstimmung und dem Optimismus, den Dimon nun versprüht, spiegelt zugleich die Unsicherheit wider, mit der die Aussichten behaftet sind.
Einige der wichtigsten Eckdaten geben Anlass zu vorsichtigem Optimismus. So sank die Arbeitslosenquote im März auf 3,5%. Damit wäre eine Komponente des dualen Mandats der Notenbank, nämlich Vollbeschäftigung zu erreichen, erfüllt. Auch spiegelt die langsam steigende Partizipationsrate wider, dass Personen im erwerbsfähigen Alter, die sich in Folge der Corona-Pandemie aus dem Arbeitsleben zurückgezogen haben, nun wieder einer beruflichen Tätigkeit nachgehen wollen.
Unterdessen wird die bemerkenswerte Resistenz des Arbeitsmarkts von der hohen Inflation überschattet, der die Fed seit März vergangenen Jahres mit der stringentesten Geldpolitik seit den achtziger Jahren entgegenwirkt. Neun Zinserhöhungen, auf die Anfang Mai die zehnte folgen dürfte, haben die Verbrauchernachfrage ebenso wie die Investitionen gedämpft und somit einen wichtigen Beitrag dazu geleistet, dass der Inflationsdruck spürbar nachlässt. So kletterten die Verbraucherpreise, die Mitte letzten Jahres um mehr als 9% zugelegt hatten, im März nur noch um 5%.
Nachlassende Inflation
Einfluss haben die Währungshüter natürlich nur auf die nachfrageseitigen Inflationskomponenten. Dabei ist die Entwicklung auf der Angebotsseite ebenfalls vielversprechend. So haben die Lieferkettenstörungen begonnen sich aufzulösen. Auch gingen ungeachtet des andauernden russischen Angriffskriegs in der Ukraine die Energiepreise weiter zurück und lagen in den USA im März um 6,4% unter dem Vorjahresniveau. Die größte Herausforderung bei der Inflationsbekämpfung besteht nun in der Überwindung der weiter hohen Kerninflation, die vor allem von Dienstleistern und deutlich gestiegenen Wohnkosten getrieben wird.
Wie sind vor diesem komplexen Hintergrund also die weiteren Aussichten einzuschätzen? Unberechenbar sind der weitere Kriegsverlauf und die wirtschaftlichen Folgen der geopolitischen Unsicherheit. Etwas klarer sind hingegen andere Faktoren, beispielsweise die ökonomischen Auswirkungen der öffentlichen Schuldenlast und die akute Gefahr einer Staatspleite. Diese könnte bereits im Juni eintreten, wenn Finanzministerin Janet Yellen „außerordentliche Maßnahmen“ ausgeschöpft haben und dem Fiskus das Geld ausgehen wird. Käme es dazu, könnte eine Rezession unabwendbar sein. Nach Ansicht von Mark Zandi, Chefökonom bei Moody’s Analytics, „wären die Folgen für die Wirtschaft verheerend“. Ein Staatsbankrott würde nicht nur Chaos an den Finanzmärkten auslösen. Zu erwarten seien außerdem der Verlust von bis zu 7 Millionen Arbeitsplätzen, ein Anstieg der Arbeitslosenquote auf 8% und ein tiefer Einbruch des Bruttoinlandsprodukts (BIP), der mit der Weltwirtschaftskrise zu vergleichen sei, glaubt Zandi.
Dabei sind die Aussichten auf einen entsprechenden Kompromiss im Kongress derzeit eher düster. Zwar hofft Kevin McCarthy, der republikanische Fraktionschef im Repräsentantenhaus, dass demnächst ein Gesetz verabschiedet werden kann, um das Schuldenlimit anzuheben. Einige Vertreter des konservativen Flügels lehnen dies aber prinzipiell ab. Wegen der hauchdünnen Mehrheit darf McCarthy aber nur maximal vier Stimmen seiner Parteifreunde verlieren – eine knappe Geschichte.
Selbst wenn die untere Kongresskammer das Gesetz absegnen würde, dürfte dies sowohl beim demokratisch beherrschten Senat als auch bei Präsident Joe Biden auf Widerstand stoßen. Sie weigern sich nämlich, die von Republikanern geforderten Kürzungen bei gesetzlichen Ausgabenprogrammen zu akzeptieren. Die Fronten sind derzeit völlig festgefahren. Die Staatspleite könnte daher zur Realität werden.
Konjunkturrisiken lauern
Selbst wenn es Demokraten und Republikanern gelingen würde, einen gesichtswahrenden Kompromiss zu zimmern, lauern weitere Gefahren. So warnt die TD Bank in ihrem jüngsten Konjunkturausblick vor den Basiseffekten der hohen Zinsen. Wie der Bericht feststellt, haben die Zinserhöhungen in den USA nicht nur zu einer Umkehr an dem zuvor boomenden Häusermarkt geführt und lasten zudem auf den Unternehmensinvestitionen. Hinzu komme noch – das hätten die Pleiten der Silicon Valley Bank (SVB) und der Signature Bank bewiesen – „dass der rapide Zyklus von Straffungen auch die Anfälligkeit kleinerer Regionalbanken bloßgelegt hat“. Folglich müssten auch Gefahren für die Finanzstabilität berücksichtigt werden. Ein andauernder Vertrauensverlust seitens der Unternehmen und Verbraucher würde nämlich die negativen konjunkturellen Effekte des scharfen geldpolitischen Kurses weiter verstärken.
Noch schwerer quantifizierbar als die konjunkturellen Folgen einer möglichen Staatspleite und der Zinserhöhungen sind geopolitische Entwicklungen wie der weitere Kriegsverlauf sowie die zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China. Zwar müssen Politiker und Notenbanker sämtliche Abwärtsrisiken im Auge behalten, könnten aber mit den weiteren Aussichten insgesamt zufrieden sein. So durchlaufen die Prognosen der führenden Institutionen ein weites Spektrum. Der Internationale Währungsfonds (IWF) rechnet dieses Jahr in den USA mit einer Wachstumsrate von 1,6%, während das Conference Board eine Zunahme des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um nur 0,7% erwartet und die TD Bank mit einem prognostizierten Plus von 1,3% dazwischen liegt. Entscheidend ist aber, dass alle mit einem positiven Vorzeichen versehen sind und zugleich davon ausgehen, dass die Inflation weiter zurückgehen wird. Klare Signale dafür, dass eine weiche Landung mit stabileren Preisen wahrscheinlicher ist als eine Rezession.