Viel Verwirrung durch das Lieferkettengesetz
Zulieferer unter immer schärferer Beobachtung
Das Lieferkettengesetz in Deutschland verpflichtet Unternehmen seit 2023, Menschenrechte zu schützen. Jetzt zieht die EU nach.
Von Wolf Brandes, Frankfurt
Seit Januar 2023 gilt in Deutschland das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG), das Unternehmen verpflichtet, menschenrechtliche und ökologische Risiken in ihren Lieferketten zu identifizieren und zu beheben. Die Europäische Union folgt jetzt mit einer eigenen Richtlinie, die bis 2026 in nationales Recht umgesetzt werden soll. Ziel der Vorhaben ist es, Missstände in globalen Lieferketten zu bekämpfen und sicherzustellen, dass Gewinne nicht auf Kosten von Menschenrechten oder Umweltzerstörung erwirtschaftet werden.
Rana Plaza als Auslöser
Das LkSG hat seine Wurzeln in der Rana-Plaza-Katastrophe. Im April 2013 stürzte in Dhaka ein Fabrikkomplex ein, wobei über 1.000 Menschen ums Leben kamen. Die in diesem Gebäudekomplex hergestellte Kleidung war hauptsächlich für den Export bestimmt und wurde von Modemarken wie Primark und Benetton verkauft. Dieses tragische Ereignis führte zu einem Umdenken und legte die katastrophalen Arbeitsbedingungen in der Textilproduktion offen. Die Katastrophe zeigte, dass freiwillige Vereinbarungen nicht ausreichten. Daraus entstand der Ruf nach verbindlichen Regelungen. In Deutschland führte dies letztlich zum LkSG.
Die Rolle der BAFA
Das LkSG umfasst: 1. Risikomanagement. Das heißt, Unternehmen müssen Risiken in ihrer Lieferkette regelmäßig identifizieren und bewerten. 2. Abhilfemaßnahmen: Werden Verstöße entdeckt, müssen sofort Maßnahmen ergriffen werden, um diese zu beseitigen. Und 3. Berichterstattung: Unternehmen müssen jährlich Berichte über ihre Sorgfaltsprozesse veröffentlichen, die von der zuständigen Behörde, dem Bundesamt für Ausfuhrkontrolle (BAFA), überprüft werden.
Unternehmen, die Präventions- oder Abhilfemaßnahmen nicht oder nicht rechtzeitig ergreifen, handeln ordnungswidrig und riskieren Bußgelder. Über den im Rahmen des LkSG zu eröffnenden Beschwerdekanal landet jetzt eine wachsende Flut ungefilterter und vielfältiger Hinweise auf mögliche Menschen- oder Umweltrechtsrechtsverletzungen in ausländischen Lieferketten auf den Schreibtischen deutscher Unternehmen, sagt Julia Kahlenberg von der Kanzlei Pohlmann.
Die BAFA spielt eine zentrale Rolle bei der Überwachung der Einhaltung des LkSG. Sie führt risikobasierte Kontrollen durch und prüft Berichte, die von den Unternehmen eingereicht werden. Zwischen Januar 2023 und Juli 2024 führte die BAFA über 1.200 Kontrollen durch und erhielt 638 Berichte. Trotz der vielen Kontrollen und Berichte wurden bis zu diesem Zeitpunkt noch keine Sanktionen verhängt.
Herausforderungen für Unternehmen
Besonders kleine und mittelständische Unternehmen (KMU) sehen sich durch das LkSG mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Die Ergebnisse einer Umfrage der IHK Düsseldorf aus dem Juli 2024 zeigen, dass viele Unternehmen den bürokratischen Aufwand und die Kostenbelastung als Bürde empfinden. Ein zentrales Problem ist die Komplexität der Lieferketten. Vor allem für Unternehmen mit vielen Zulieferern und deren Sub-Zulieferern – oft in verschiedenen Ländern – ist es schwierig, die Transparenz zu gewährleisten, die das LkSG fordert. Nur 30% der großen Unternehmen gaben an, die Arbeitsbedingungen bei all ihren direkten Zulieferern zu kennen. Bei kleineren Unternehmen waren es sogar noch weniger.
Chancen durch das LkSG
Trotz der Kritik sehen Unternehmen auch Chancen im Lieferkettengesetz. Die Verbesserung der Reputation und eine langfristige Sicherung der Nachhaltigkeit in der Lieferkette sind positive Aspekte, die vor allem von größeren Unternehmen hervorgehoben werden. Viele hoffen, dass durch die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben ein transparenteres und effektiveres Lieferantenmanagement möglich werde. Allerdings zeigen die Umfrageergebnisse auch, dass besonders kleinere Unternehmen den Nutzen des Gesetzes skeptisch sehen. 35% der befragten KMU gaben an, keine Vorteile durch das Gesetz zu erwarten.
Die auf Compliance spezialisierte Kanzlei Pohlmann & Company sieht das LkSG als Herausforderung und als Chance zur Verbesserung. Kahlenberg, Partnerin bei Pohlmann, betont: „Eine sorgfältige Untersuchung ist nicht nur eine gesetzliche Pflicht, sondern auch eine strategische Chance, um langfristige Nachhaltigkeitsziele in der Lieferkette zu erreichen.“ Die wachsende Anzahl von Hinweisen zu möglichen Menschenrechts- oder Umweltverletzungen stelle Unternehmen aber vor große Aufgaben. Unternehmen müssen abwägen, ob sie diese Untersuchungen selbst durchführen oder „an unabhängige Dritte delegieren“.
Uwe Erling, ebenfalls Partner bei Pohlmann, hebt hervor, dass es auch möglich sei, dass „der Lieferant den Vorwurf weitestgehend selbst aufklärt“, dabei jedoch von einem unabhängigen Dritten überwacht wird. Diese Vorgehensweise könnte für viele Unternehmen eine praktikable Lösung sein, da sie so die Einhaltung der gesetzlichen Pflichten sicherstellen können, ohne eigene Ressourcen zu stark zu belasten.
Ein weiteres zentrales Ergebnis der IHK-Umfrage betrifft die Internationalisierung der Unternehmen. Besonders große Unternehmen sind stark international aufgestellt: Fast alle dieser Unternehmen haben Standorte in der Eurozone, drei Viertel sind in Nordamerika vertreten, und die Hälfte hat Niederlassungen in China oder UK. Auch bei den kleineren Unternehmen haben 60% internationale Standorte. Das stellt die Unternehmen bei der Überwachung der Lieferketten vor Herausforderungen.
Globaler Rückzug
Mit Blick auf die Beschaffungsmärkte zeigt sich, dass sowohl große als auch kleinere Unternehmen stark von internationalen Zulieferern abhängig sind. Rund ein Drittel der großen Unternehmen prüft, ob sie sich aus problematischen Märkten zurückziehen sollen, was durch das LkSG angestoßen wurde.
Das LkSG ist ein Vorreiter für die europäische Lieferkettenregelung. Am 24. April 2024 hat das Europäische Parlament einer entsprechenden EU-Richtlinie zugestimmt, die ab 2026 umgesetzt werden soll. Diese Richtlinie sieht ähnliche Pflichten wie das deutsche Gesetz vor, umfasst jedoch eine geringere Anzahl an Unternehmen. Dafür bringt sie strengere Pflichten für die betroffenen Firmen mit sich.
Die Rolle von unabhängigen Dritten, die im Rahmen der EU-Richtlinie die Einhaltung der Sorgfaltspflichten überprüfen sollen, wird erheblich an Bedeutung gewinnen. Diese externen Prüfer sollen sicherstellen, dass Unternehmen und ihre Zulieferer sich an die vereinbarten Verhaltenskodizes halten und Maßnahmen ergreifen, wenn Verstöße festgestellt werden. Diese Überprüfung durch unabhängige Dritte ist in Deutschland bisher weniger stark ausgeprägt.
Bürokratische Hürden
Das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz hat eine Debatte über die Verantwortung von Unternehmen in globalen Lieferketten ausgelöst. Während das Gesetz zweifellos einen wichtigen Beitrag zum Schutz von Menschenrechten und Umwelt leistet, sehen sich viele Unternehmen – vor allem KMU – mit erheblichen Herausforderungen konfrontiert. Die bürokratischen Hürden und der damit verbundene Personalaufwand stellen für viele eine Belastung dar. Inwieweit das LkSG und die EU-Richtlinie dazu beitragen, Lieferketten fairer zu gestalten, bleibt abzuwarten. Klar ist jedoch, dass Unternehmen stärker in die Pflicht genommen werden.